Zeichnung (559) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Hamburg, 1976. Sich vollaufen lassen, abgefüllt werden, drei Stadien der Trunksucht: Nippen, Schlürfen, Binge drinking auf Nimmerwiedersehen. Exzeßhafte Nivellierung körpereigener und fremder Flüssigkeiten. Der innere Horizont, das 90-Grad-Kräfteverhältnis zwischen Horizont und Schwerkraft, nach innen gekehrt und nach außen gewendet. Im Lokal Zu den Vereinigten Aggregatzuständen, ein vergeistigtes Dasein als Kurz-Comic. To be transported: Als das Wesen einer Reise erschien mir die Ortsgebundenheit von Gedanken und in deren Folge die Möglichkeit ihrer Entwurzelung. Die Gedanken tauchten in der gleicher Geschwindigkeit auf, in der sie wieder ausgespuckt und fortgespült wurden, wie wandernde Wolken. Ich kann nicht packen, aber auch das war mir zunehmend egal. Anstatt zu packen, kaufte ich immer neue Koffer - alle in unterschiedlichen Größen. Hoffnungslos ernüchtert verstaute ich die Koffer dann ineinander wie die Puppen einer Matrjoschka und reiste ab. An jeder Grenze hinterließ ich einen der Koffer unter großen Verlustgefühlen beim Zoll." (Aus: The Travel Almanac Nr. 4, 2012).

(1976)

Zeichnung (560) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Als 14jähriger wollte ich, zum Entsetzen meiner Mutter, nach Australien auswandern. Hier die Silhouette dieses Erdteils unter einem Küchentisch mit sieben Schlössern in Achim. Die Buchstabenkombinationen ZU, U und UZ als Neonlampen der Bedeutungen "Closed", "Underground" und "Unsere Zeit", die Zeitung der DKP. Was bleibt an der Form Fabel verlockend, welcher Erzähler glaubhaft im Körper verankert? Die silbernen Rippen des World Trade Centers spiegelten die Sonne so scharf durch mein Fenster, daß die über den Stuhl gehängte Jacke einen Schatten auf die Linoleumplatten warf. Der Einsatz der Lebenszeit ohne instant gratification, also keine strategische Kommunikation mit einer nur zu diesem Zwecke herbeiprojizierten Gesellschaft, ein unhysterischer Umgang mit Zeitmangel beim Abschreiben der im Körper versteckten Geschichte. Die facettenhafte Potenzierung von Blickrichtungen, die prägenden Ortskoordinaten einer Landschaft, deren vorübergehende Sprachwerkzeuge wir sind. Und endlich der von den reflektierten Sonnenstrahlen umgeworfene Stuhl." (Aus: The Travel Almanac Nr. 4, 2012).

(1976) 

Zeichnung (561) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Hamburg, 1977. Der Innenraum eines Containers mit quadratischem Ausblick. Darin zwei Selbstportraits - eine multiple Persönlichkeit als Teilnehmer verschiedener Universen - nackt an einer Glasscheibe sitzend und gehend mit vorgestrecktem linkem Arm in einem Lodenmantel und mit Hut, beide Ansichten von hinten. THE GLASS - Das Glas, zum Zersplittern gespannt, eine unheimliche Materie, durch die wir schauen können, als lebten wir in einer Utopie. THE SAID - Das Gesagte, eine Stele aus der Vergangenheit, die den Schatten des Gehenden durchkreuzt. Es ist unsere Bekleidung, hängt von uns herab, macht uns lesbar wie die letzte Mode. Mein im Fensterrahmen gespiegeltes Profil bildet als Vexier-Bild ein Gefäß, in Vorbereitung auf den Film Normalsatz. THE CASE - Der Fall, in jeder Sekunde neu. Ein positiv angeschaltetes und ein negativ ausgeschaltetes Ohr aus weißem und aus schwarzem Marmor. In der Tat höre ich nur auf einem Ohr und kann wählen, zu hören oder nicht zu hören. Ein Quadrat im Quadrat, in dem sich alles, besonders aber die Mehrdeutigkeit, ereignet. " (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

(1977) 

Zeichnung (562) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Text under construction"

29 Palms in der Joshua Tree Wüste bei Los Angeles, Sylvester 1992. Ein Yucca-Tree mit Telegrafenmast. Unterbrochene Kommunikation. Helmut Herbst zerschneidet mit der Schere eine Nacktschnecke, Birkert 1996. Ich selbst am Strand in Dänemark, 1968 von Rüdiger Neumann fotografiert. Im Positiv unter dem Abflußstampfer, im Negativ zerschnitten.

(1996) 

Zeichnung (563) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Ein Parkour Reiter sitzt Anfang der 90er Jahre auf einem Sale-Sign über dem Scull Rock in der Joshua Tree Wüste bei Los Angeles. Alle Hörner sind aufgerichtet, aber alle Hoffnungen gescheitert. Ein Callboy sinniert beim Kaffetrinken: „Sie konnte sein Sterben nicht ertragen, weil sie sich darin bis in die Unendlichkeit hinein gespiegelt wiedererkannte. Das Wesen so eines Spiegels ist es, daß er alle Blickpunkte in sich vereint, ohne selbst einen einzunehmen. Dieses Schicksal möchte ich nicht erleiden.“ Die Tasse des Österreichers wird von einem Strandbagger auf Sylt angekratzt. Der Kaffeesatz fällt auf eine Untertasse und prophezeit ihm ein Kanzleramt. Rüdiger Neumann gleitet am linken Bildrand hinunter, von mir 1968 am Hennestrand in Dänemark fotografiert, während der Dreharbeiten zum Film Hommage à Caspar David Friedrich. Damals wie heute haßte ich den programmatischen Postkarten-Kitsch dieses Malers. Angesichts der im Zentrum seiner Bilder stattfindenden Verblödung liebten wir das Treiben an den Peripherien." (Aus: arsenal, april 19).

(1996) 

Zeichnung (564) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Nach einer Serie von Albträumen ein Morgen wie kein anderer. Ein apokalyptischer Herrenreiter mit abgerissenem Kopf reitet auf einer Zahnbürste, die aus dem Fenster eines Hauses im Süden ragt. Daneben eine Yucca Palme. Ich rutsche am linken Bildrand herunter, 1968 von Rüdiger Neumann in Dänemark fotografiert. Ein Propeller ragt als Ventilator von oben ins Bild. Dazwischen fahren, von oben und von unten, positive und negative Blitze. Die Sätze, die ich dazu in der Nacht hingekritzelt hatte, waren: „Was unsere Körper durchdringt, wissen wir nicht. Aber wir ahnen, was in ihnen kleben bleibt. Die größte Sorge bereitet die Gleichschaltung der Gefühle. Sie verbreitet ein unerträgliches Maß an Negativität und Positivität. Behalte den Zeitpunkt, an dem du schlafen gehst, für dich. Die Bewußtlosigkeit ist der unverbrüchliche Ort und Zustand deiner Persönlichkeit. Ihr entspringt eine Sprache, die sich selbst spricht. Sie ist es, von der wir durchdrungen werden. Die Versuche dagegen, sie zu durchdringen, müssen scheitern.“ (Aus: arsenal, dezember 19)

(1996) 

Zeichnung (565) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Identitätskäse: Wenn jemand sagt, er sei auf der Suche nach seiner Identität, sollte man ihm wünschen, daß er sie nicht findet. Im Sinne der Festlegung bedeutet Identität unter unserem Wirtschaftsgesetz immer nur Versklavung, und das gilt für Heteros,  Schwule und Transsexuelle gleichermaßen. Ich kenne nicht zwei identische Sexualitäten, nur weiche Übergänge, solange sie gestattet sind. Die Clones-Bewegung der 70er Jahre war eine Sackgasse, und die politischen 'Identitären' von heute sind nur noch ein dummer Witz der Weltgeschichte. Das Coming Out von Irgendetwas mag für kurzfristige Glücksmomente herhalten, vergessen wird dabei aber, daß wir immer noch in prekären Gesellschaften leben, die jederzeit ihren Spieß umdrehen können, und es auch tun werden. Das Identische wird den Menschen zugeschrieben, wer es sich selbst zuschreibt, ist ein Idiot. Jeder kluge Mensch lebt schon aus Notwendigkeit in seinem ganz persönlichen Schrank. Geheimnisse bleiben nicht, was sie sind, sie setzen sich nur in neuer Gestalt fort." (Aus: arsenal, november 20).

Popkäse: Wenn Madonna, eine Frau aus dem Mittelstand mit all ihren Sorgen und Nöten, diese auf einer neuen Platte besingt, kann man sicher sein, daß ihre männlichen Kritikaster Schlange stehen, zumal weil die „Alte“ schon sechzig Jahre alt ist und das tut, was – wie Cher meint – niemanden etwas angeht, auch wenn sie sich ihre Brüste auf den Rücken operieren lassen würde. Wenn sie dann auch noch die Schamlosigkeit besitzt, auf einer reduktiven European Song Contest-Veranstaltung „falsch“ zu singen, wird gleich das Ende einer ganzen Karriere proklamiert. Dabei hat auf dem ESC noch nie jemand „richtig“ gesungen, es kam immer alles faul an. Wie wäre es mit ein paar Fakten? Zum Beispiel, daß es zur Profession gehört, solcherlei Klamauk nicht ernst zu nehmen, eine Stellprobe daraus zu machen und später den richtigen Soundtrack darunterzulegen. Wohl zu schwer zu begreifen für Idioten, die nach Israel fliegen, um eine Queen of Pop korrekt singen zu hören... EILMELDUNG 2020: Zu schön, daß der Popkäse diesmal nicht stattfindet.

Hormunculus, Nervendichte–Relation, positiv und negativ. Ein Römischer Brunnen wird von ihm verspeist oder verstopft ihm den Mund. Die Abbildung eines Geschlechtsverkehrs aus dem Magazin Der Spiegel.

(1996) 

Zeichnung (566) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Die verhüllte Gipsbüste der Eleonora Duse, genannt Das Verschleierte Zeugnis (VZ), in der 'Werkstatt' Gabriele d'Annunzios in seiner Villa am Gardasee. Lifestyle als Autobiographie, die trübe Suppe per se. Vier Zypressen auf dem Vittoriale, dem Gelände, auf dem er staatlich gesponsert sein Fashion Business betrieb. Die Duse erbricht den Inhalt einer Wärmflasche aus Gummi. Ein gestürzter Hirsch, der Schatten eines fallenden Engels, ein Hochspringer auf dem Scheitelpunkt. Dazu die Umrisse des Torpedobootes MAS 96, mit dem d'Annunzio 1918 Schiffe versenken wollte. Im 'Reliquienzimmer' der Villa das zerbrochene Steuerrad des Motorbootes, mit dem sein Vertrauter Sir Henry Segrave 1930 auf Lake Windermere einen Geschwindigkeitsrekordversuch unternahm, den er mit dem Leben bezahlte. Adolf Loos, ganz cool: 'Wenn wir im Walde einen Hügel finden, sechs Schuh lang und drei Schuh breit, mit der Schaufel pyramidenförmig aufgerichtet, dann werden wir ernst, und es sagt etwas in uns: Hier liegt jemand begraben. Das ist Architektur.'" (Aus: flypaper #5, 2010).

(1994) 

Zeichnung (567) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Montage ist das ausschlaggebende Merkmal der amerikanischen Pop-Kultur, schreibt David Marc. Und was ist mit der europäischen? Ein halb zu Seite gezogener Theatervorhang: Schwarzlicht fällt aus dem Schirm einer Designerlampe in das weit aufgerissene Auge eines Kaninchens. Davor als letzter Anblick die am Tor einer Garageneinfahrt auf dem Piazzale Loreto in Mailand an den Beinen aufgehängten und zur Schau gestellten Leichen von Benito Mussolini und Clara Petacci, Ende April 1945. Als kulturelles Begleitprogramm dient der Garten von Gabriele d'Annunzios Vittoriale mit dem zwischen Zypressen aus dem Berg ragenden Bug des Kreuzers Puglia. Alles muß, nichts kann. Erst Rauben, dann Vergraben. Grundvoraussetzung für jede Diktatorenlaufbahn ist es, sich von vornherein als Untoter zu empfinden, toter alle diejenigen, die man noch zu töten gedenkt. Ein Programm zur Verbreitung der eigenen Erlebnistiefe. Die 'Entschuldigungen' und 'Wiedergutmachungen' der überforderten Erben der Schreckensregime fußen auf demselben Prinzip." (Aus: flypaper #5, 2010).

(1993)

Zeichnung (568) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Text under construction"

(Hotel) GALVEZ in Galveston, Texas. Der Damm, der das Ijsselmeer von der Nordsee abtrennt. Die Explosion von Texas City in den 40er Jahren. Das Hotel, das als Hauptquartier des Küstenschutzes diente. Die eigene Sihouette als Graben im Meer. Auf der Autobahn einschlafen und in einem von Teig triefenden PKW in den Himmel fahren. Geborstenes Flugzeug mit vereinzelten Passagieren. Ein junger Schuster mit Schuhsohlen aus Autoreifen. Der Himmel positiv und negativ gestaucht.

(1997) 

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