Zeichnung (579) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"T - Das Tor zur Hölle. Das qualmende Einschlagloch der Boeing 767 der American Airlines, Flug 011, im Nordturm des World Trade Centers in NYC am 11. September 2001. Aus der Sicht meines ehemaligen Büros an der Hudson Street. Sitzende Gefangene des ersten Golfkrieges bilden auf der Umrisslinie eines virtuellen Quadrates einen Rahmen im Rahmen. Ich denke nicht, dass damit ein zwangsläufiger Zusammenhang hergestellt worden ist, eher ein hinreichender. Auf der unteren Bildkante gehen Gefangene von einer Wüste zur anderen. In welcher Wüste auch immer. Alle Konfigurationen der Dinge liegen in ihrem Sand in den möglichen Kombinationen seiner Körner begraben, bis sie gefunden und aufgegossen werden. Der Sand ist Die Wiese der Sachen. Dazu vier Ansichten des Oktaeders aus Dürers Melencolia I, einem Potpourri begrenzter Möglichkeiten: das Leben in einem verfaulten Topf zwischen abhanden gekommenen Zeitsystemen. Weltuntergangsphantasien, assoziativer Schwachsinn, religiöser Wahn, Verschwörungstheorien - alles reif für ein Betonfaß auf dem Grund des East Rivers." (Aus: The End, Disko 22, 2011).

(2007) 

Zeichnung (580) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Hotel Durant, Oakland 1998. Die Menschen auf den Straßen kommen mir vor wie die Modelle, die sich El Greco in der Irrenanstalt von Toledo für seine Portraits der zwölf Apostel ausgesucht hat. Alle näher zu Gott als die normalen Menschen, so sein Argument. Und alle Sitzriesen. Seltsam, wie die Mode pro Saison auch einen bestimmten Körperbau favorisiert. Hier der in der Mitte abgeknickte Körper von Johannes, dem Täufer, kopiert aus dem Gemälde Die Beerdigung des Grafen Orgaz von El Greco. An der von seinem Lendenschurz verdeckten Sollbruchstelle eine mittelalterliche, von angetriebenen Pferden ausgeführte Vierteilung eines Delinquenten. Die Tiere könnten auf die Namen Europa, Amerika, Zeichnung und Film hören. Bei Moe's an der Telegraph Avenue ein Buch zu den Bauten Pier Luigi Nervis erstanden. Die schwarzen Bildteile markieren tragende Elemente und Details der Konstruktion des Pirelli-Hochhauses in Mailand von 1958. Abends dasselbe Gebäude in der Eröffnungssequenz des Films La Notte von Antonioni wiedergesehen." (Aus: flypaper #5, 2010).

(1999)

Zeichnung (581) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Ein in ein Quadrat integriertes, graues Schamquadrat als diffuses Zentrum: Hier bin ich gewesen, aber ich erinnere mich nicht genau. Eine Pinienallee in Cap Martin an der Côte d'Azur, noch gab es Sandwege und Telegraphenmasten, und wir fuhren mit Schrottautos quer durch Europa und wurden nicht gestoppt. Demon gewann 1977 den Spezialpreis der Jury des Filmfestivals in Hyérès. Wir badeten derweil in einem Abwasserkanal und erfuhren erst ein halbes Jahr später davon. Das vermerkte Geld wurde nie überwiesen. Drei Turmspitzen von Antoni Gaudís La Sagrada Familia in Barcelona ragen ins Bild als Vorzeichen zukünftiger Filme. Im Zentrum die Silhouette einer dritten Spitze und darauf die negative Silhouette eines 2001 vom Nordturm des New Yorker World Trade Centers springenden Menschen. Zur falschen Zeit am rechten Ort oder zur rechten Zeit am falschen Ort sein. Der Zusammenfall von Ort und Zeit im Tod, eine nicht mehr zu leugnende Identität. Das vorübergehende Glück, danebenzuliegen, aber dann keine Zeit mehr haben, seine Haltung zu korrigieren." (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

(2007) 

Zeichnung (582) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

Ein Palmenhain in der Südsee. Vier Schminkutensilien, die sich am Kopf einer verhüllten Person zu schaffen machen. Sie ist mit einem Helm und Häkelsachen aus der Herbst-Winterkollektion 2006/7 von Vivienne Westwood bekleidet - ein perfektes Make-Up. Jede Angst hat einen Namen und eine Adresse, aber dieses Blatt machte sie mir schon beim Zeichnen. Ich hatte keine Ahnung vom Dot Painting der australischen Ureinwohner, die auf entrindeten Baumstämmen und den geglätteten Seiten der Rinden mit getupften Farbpunkten die Sterne des Universums darstellen, als ich auf den Helm den Grauton übertrug, den eine Xerox-Maschine in den 70er Jahren als Kopie einer Kopie der Kopie einer schwarzen Fläche hervorgebracht hatte. Ich dachte an die Firma Hugo Boss, die die Daten einer systematischen Vermessung von Wehrmachtsrekruten als Grundlage für die Schnitte ihrer Anzüge benutzt. Eine Fratze starrt dich an, aber diese Fratze ist hinter Mode verborgen. So bleiben Blicke im Fleisch stecken wie Schrotkörner in einer Kaltschaummatratze. (Aus: arsenal, oktober 10).

(2007) 

Zeichnung (583) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Ein Raumschiff in der Form eines geschliffenen Diamanten transportiert Wasser auf einen ausgetrockneten Felsenplaneten. Jemand umarmt einen Baum und horcht auf die Geräusche des im Stamm aufsteigenden Wassers. Gabriele d’Annunzio liest in der Uniform eines Feldpredigers aus seinen Tagebüchern vor: 'Bei uns gibt es nur einen politischen Weg: Zerstören. Was jetzt ist, ist nichts, ist Moder, ist der Tod, ist gegen das Leben.' Er versucht vergeblich, Kontakt mit den Außerirdischen aufzunehmen. Das Wasser verzieht sich zu einer Fratze, als es von d’Annunzio gelobt wird: 'Vorzüglich ist das Wasser.' Es kann auf falsche Freunde verzichten. D’Annunzio blödelt weiter vor sich hin: 'Vorhin sah ich aus dem Fenster die Hühner meiner Haushälterin. Wäre ich eines von ihnen, würde mich keiner daran hindern, mein Ei zu legen', um dann weiter zu toben: 'Warum bin ich nur ein Mann? Warum bin ich nicht ein ganzes Heer? Meine Kühnheit ist gegenwärtig grenzenlos.' Das Wasser zieht es vor zu schweigen." (Aus: arsenal, dezember 18).

(2007) 

Zeichnung (584) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Text under construction"

Doppelprotrait von Ueli Etter und Wolfgang Müller in der Galerie Eisenbahnstraße, Berlin 1986. Positives und negatives Baumgestrüpp. Flugzeugabsturz zwischen den Bäumen. Kormorane. Uelis Spirale aus seinem Kopf. Großes Fluggerät, Papierdrachen, Tröte. Punktwiese. 

(1996) 

Zeichnung (585) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Text under construction"

Jack-in-the-Box und siamesischer Zwilling in positiv und negativ mit zwei Flaschen in den Händen auf der Straße. John Erdman grinst, und ich reibe mir die Augen. Ueli Etters Spirale aus der Zuckerdose in Laguna Beach. Auf meinem Hemd ein Teppichmuster. Viermal der gleiche Ast. Das Flaschen–Dreieck, die Flaschen–Geometrie. 

(1996) 

Zeichnung (586) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Das tödliche Dreieck der Projektionen BA–AC–CB: A liebt B, B liebt C und C liebt A. Ein Ringelreihen aus dem Film Die Basis des Make-Up, mit John Erdman als Teppichhändler und Eckhard Rhode und Claus-Wilhelm Klinker, deren Gesichtsprofile hier das Bild durchkreuzen, als dessen Gehilfen. John Erdman deklamiert am Ende des Film neben einem Kotflügel mit dem Gesicht zu Boden liegend: 'Durch den Regen zeichnet sich ein vergrößertes Stück Straße ab, auf dem ich mit dem Gesicht zu liegen scheine. Die Lippen im Staub, aber regungslos, mit einem langsam schwindenden Bewusstsein. Nur Geräusche. Das einzige, was dem Laien wirklich bleibt, sind Ratlosigkeit und schlechte Zähne.' Auf der unteren Bildebene versinkt ein Tempel in den Steinplatten eines nordkoreanischen Platzes. Auf seinem Tympanon prangt das Wort LIBRA, für 'Pfund' oder 'Waage',  vielleicht aber auch für 'Bibliothek'. Für das ZDF war dieser Film 1985 der 'schlechteste, den wir je gesendet haben', für mich eine ziemlich gelungene und erfolgreiche Kontaktanzeige." (Aus: arsenal, mai 13).

(1996) 

Zeichnung (587) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Lavertezzo, 14. September 1994. Unschöne Konstellationen, ein Urwald aus Verleugnungen und Verrat, der mich stückweise umzubringen scheint. Von der Tessiner Talsperre Diga Valle Verzasca, einem Bondfilm-Drehort, stürzen sich nicht nur Bungie-Jumper. Die Flutwelle, die ein zerborstener Betonwall erzeugen würde, würde alle Gemeinden am gegenüberliegenden Ufer des Luganer Sees ertränken. LAC – der See, RIM – der Reim, die Ritze, die Spalte, LACRIMA – die Träne. Bernsteintropfenartige Artificial Tears: Einer der schwarzen Tropfen hängt rechts oben von einem Finger vor der breit gezerrten Fassade des The Claridge Hotels in Chicago herab und wird dann unten rechts von einer Fingerkuppe gezupft. Ueli Etters Babosa Gigante, eine Nacktschneckenart, auf deren Rücken sich der Wirkstoff für die bewußtseinsreduzierende Droge Agony bildet, klettert an der Seite des in der Höhe verzerrten Hotels empor. In den Bergen, über den Wolken, hört man klägliche Schreie von Vieh und von den Hippies, die an ihrer Landwirtschaft verzweifeln." (Aus: arsenal, september 15)

(1999)

Zeichnung (588) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

City of Angels, 28. April 1998. Hermes, der Götterbote, als beinamputierte Marmorstatue im Museum von Santa Barbara. Die Skyline von Westwood Village auf einer Postkarte aus den 1950er Jahren erzeugt eine Ahnung von der vergangenen, staubigen Schönheit dieser Stadt. Darüber das untere Ende des Sunset Boulevards in Pacific Palisades bis zur Kreuzung zum Pacific Coast Highway in Los Angeles. Die working rich donnern mit ihren Hubschraubern auf einer Linie zwischen dem Flughafen LAX und Malibu entlang. Ein Shuttle vom Los Liones Drive fährt den Paseo Miramar hoch zur Villa Aurora, Hausnummer 520. Die aus Australien importierten Eukalyptusbäume sind in Südkalifornien eine Pest, weil ihre tiefreichenden Wurzeln den anderen Pflanzen das Wasser entziehen. Die hier gezeichnete steht im Garten der Feuchtwanger Villa. Man verteilt Häppchen und setzt Fackeln gegen Moskitos. Hinter dem Computer, an dem sich die Gäste auf Bestellung meine Zeichnungen ausdrucken lassen können, bildet sich eine Schlange. Hélas, es gibt etwas umsonst! (Aus: arsenal, november 10).

(1999) 

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