Zeichnung (599) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Mein nackter, weißer Unterarm mit der Aufschrift 'bed' in der Handschrift von David Larcher. Ein Ausschnitt aus seiner Widmung Something to read in bed in dem xeroxkopierten Exemplar einer chinesischen Zeichenschule, die er mir 1973 in Hamburg in die Eppendorfer Landstraße zuschickte. Vier wundersame Formen von Lichtspiegelungen, die Anfang der 90er Jahre auf Umwegen über einen düsteren Hinterhof in Moabit in das Berliner Zimmer meiner Wohnung reflektiert wurden. An ihren Rändern Prismafarben, ein paar Minuten lang vom Bett aus zu sehen an einem herbstlichen Spätnachmittag. Dahinter die in drei Teile zerrissene Schwarzweißpostkarte mit den gepolsterten Hockern Arlew und Wilson und der großen Prunkvase Dover, die schon immer ein Anlaß zum Lachen gewesen war. Die zu versteigernden Objekte sahen aus wie zu Möbeln erstarrte Kalauer.  Im Hintergrund grafisch umgesetzte elektrische Impulse aus der Gehirnmasse Lenins. Ergrautes Eiweiß, ein Brei, in dem die Nachfolgenden hilflos herumgestochert hatten, und für jede Interpretation zugänglich." (Aus: The End, Disko 22, 2011).


(1997) 

Zeichnung (600) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"... YX, der angebetete Sekundentod: ein Startsprung in den regulierten Styx, den Höllenfluß in seinem Betonbett. Die Menschen als zu Lebzeiten abgestoßene Leichenteile einer sich auf ewig teilenden Gesellschaft. Ich habe meinen Freunden Geldmünzen unter die Zunge gelegt, aber sie nicht getröstet. Schon Tausende sind diesen Weg gegangen, auf dem es keinerlei Trost gibt. Im Hintergrund Säureregen auf ein Kaninchenauge, in dessen Glaskörper sich Trichter eingefressen haben. Davor A LAMP – eine Fadenlampe mit Reflektoren vor einem skizzierten Tapetenhintergrund, die Funzel der Aufklärung. Unten links Elektroden und Meßgeräte an offen gelegten Gehirnregionen eines Schimpansen in der Echtzeit-Forschung. Oben rechts die Betäubung eines Kalbes mit einem Schlagbolzen auf der Tötungsstrecke eines Schlachthofes. Der letzte Blick des entsetzten Tieres gilt dem großen Messer, das seine Kehle durchschneiden wird. Das Primat der Gemütlichkeit: Herr, laß das Verdrängte an uns vorüberziehen und das Unvermeidliche möglichst angenehm vonstatten gehen." (Aus: The End, Disko 22, 2011).

(1996) 

Zeichnung (601) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"The World: ein Hosenstall. Transparent: der geschlossene Eingriff einer bügelfreien Anzughose. Liebe als Arbeit: ein hingehaltenes Schiffsmodell vor einem Paar, das in Missionarsstellung den Geschlechtsverkehr ausübt und vorher weder Lust noch Zeit hatte, sich die Anziehsachen auszuziehen. Die schwarzen Flächen waren Papierreste auf einem Polaroid-Negativ der Szenerie. RO ID = Das rohe Es, die Verabredung und das Einvernehmen, tierisch sein zu dürfen. Harvey Weinstein sollte zum Christentum übertreten, dann würde ihm alles vergeben werden. Seine Übergriffe waren jedem und jeder Filmschaffenden seit langem bekannt, auch ante delictum. Das journalistische Getue, das sich jetzt so plötzlich um seine miese Rolle rankt, trägt alle Ingredienzien für einen neuen McCarthyismus in sich. Einen Vorgeschmack davon konnte man bekommen, als auf dem Think:Film-Kongress 2012 der Film Traité de bave et d’éternité (1951) von Isidore Isou bei Andrea-Dworkin-Aficionados urplötzlich in Ungnade fiel." (Aus: arsenal, juni 18).

(1988) 

Zeichnung (602) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Wer einen Fluß auf gerader Linie überqueren will, wird stromabwärts abgetrieben, falls er nicht gegen die Strömung anrudert. 'Eine Insel ist ja nichts weiter als die Spitze eines hohen Berges', schreibt Joseph Conrad schnörkellos lapidar in seinem Roman Victory, und dieser Satz allein genügt schon, um seine Produktion vom pompösen Szenejournalismus und Rassismus seines Zeitgenossen Gabriele d'Annunzio abzusetzen. Eine am Boden liegende Frau fragt sich, was aus dessen 'Lifestyle' geworden ist, und liftet 1978 die Fliese eines Wand-zu-Wand-Teppichs. Der 'Untergang der weißen Rasse', wie ihn Louis-Ferdinand Céline erst nach der Kapitulation der 6. deutschen Armee in Stalingrad vermelden zu müssen meinte, erledigte sich von selbst und auf den Bahnen, die Conrad immer wieder beschrieben hat. Über allem schwebt das am Strand des geplanten Kraft-durch-Freude–Bades Prora auf Rügen aufgefundene Skelett eines KZ-Häftlings. So kam das Wort zur Tat, unwiderruflich blutig." (Aus: arsenal, september 09).

(1978) 

Zeichnung (603) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Im negativen Raum: Eine einzelne Aubergine unter den Lichtstrahlen einer Glühbirne auf dem Rost eines Kühlschrankes. Eine rahmensprengende WORLD als Rechteck im Zentrum, umgeben von den Richtungsangaben LEFT, DOWN, RIGHT, UP. Kreisförmig darum herum angeordnet das Wort P-I-C-T-U-R-E. Von dessen einzelnen Buchstaben strahlen Blickpfeile in alle Richtungen des Raumes ab, das Off ansaugend wie ein Vakuum. Ein Hinweis darauf, dass der Kopf sich relativ frei im Raum bewegen könnte, und dass Blicke die Welt konstituieren. Das am Strand auf Rügen aufgefundene Skelett eines KZ-Häftlings wird von einem Spaziergänger in gebügelten Hosen und mit nackten Füßen in Sandalen begutachtet. Schwarze Knochen? Erkläre nicht, was ist, denn es ist. In einer Welt, in der Worte keine Konsequenzen haben, kann alles gesagt werden. In einer Welt, in der alles gesagt wird, ist bereits alles getan worden. Die Illusionen des Pop und das Ende der Popkultur mit ihren Hekatomben von Toten. Der umgelegte Schalter, eine Gesellschaft ex nihilo." (Aus: flypaper #5, 2010).

(1978) 

Zeichnung (604) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Je länger man einem Menschen ins Gesicht sieht, desto intensiver schaut ein Totenkopf zurück. Hier als Cargo im Bauch des russischen Linienschiffes Borodino, das am 27. Mai 1905 in der Schlacht von Tsushima von der japanischen Flotte versenkt worden ist. Ein halbnackter Archäologe versucht, dessen Leck unterhalb des Wasserspiegels symbolisch zu reparieren. Links unten die Silhouette einer Menschengruppe, die der 'Leute'-Rubrik der Frankfurter Rundschau in den 70er Jahren als Vignette vorangestellt war. Ein klischiertes, vergangenes Klischee. Die Blickrichtung der Gezeichneten ging wie verabredet nach rechts oben, Prominenz stand damals noch für Autorität. Nachdem alle Schleusen geöffnet worden und alle Schotten geborsten sind, kanalisiert Prominenz in den Bildmedien nur noch Haß. Promis als pathetische Jesus-Figuren, ihre Betrachter die edlen Römer, die sie lustvoll ans Kreuz nageln. Die schwarze Stele ein Denkmal für den weißen Faden, der einmal Ende der 70er Jahre im Zippelhaus in Hamburg von unserer Bettwäsche herabhing." (Aus: flypaper #5, 2010).

(1978) 

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