Die Basis des Make-Up

Die Basis des Make-Up

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Zeichnung (12) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Ein Vorhang über Nadur auf Ghawdex, der zweitgrößten Insel des maltesischen Archipels, schiebt sich zwischen Europa und Afrika. Die Ansiedlung auf dem Höhenrücken blieb mir lange fremd und verschlossen. Die Zeichnung stammt aus einer Zeit, in der ich den Ort immer nur zügig durchquerte und keineswegs daran dachte, mich dort niederzulassen. Erst viel später kam mir der Ortsname Nadur vor wie eine Abmilderung von Natur. Vielleicht ist dies eine Ahnung gewesen: Ein aus der schlottrigen Hose eines Trainingsanzugs ragender Fuß setzt im nächsten Moment vorsichtig auf dem felsigen Boden auf. Ein Code-Ritter. Vier alchimistische Zeichen für Tod zieren sein rechtes Hosenbein. Auf der Kuppe eines Tafelberges ein Hausbau mit einer großen Terrasse als Vision - das B-B-Haus von ARTEC im Burgenland. Heimat reimt sich so wenig auf Herkunft wie Zukunft auf Vergangenheit. Zwei mit Mandeln bestückte Schokoladenblöcke bilden die Vorlage für die Oberflächenstruktur einer interaktiven Fassade, die jeden erdenklichen Code übersetzt." (Aus: arsenal, märz 13).

(2005) 

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Zeichnung (11) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Johnson City im Staat New York an der Grenze zu Pennsylvania, August 1975. Mein Einzug in das obere linke Apartment eines Hauses für vier Parteien an der Sherman Street. Die Öffnungen der vorgesetzten Veranden sind mit dunklen Drahtgittern bespannt und verheißen nichts Gutes. Ein Moskitonetz aus NYC wird herabgelassen und eingeholt. Wir rauchen Gras und hören The Soulful Sound von Jimmy Reed. Ich trage eine schwarze Zimmermannshose aus einer Schneiderei in Hamburg-Veddel und ein zweireihiges, graues Jackett aus der Altkleidersammlung des Roten Kreuzes. Ich kann mich kaum noch bewegen, schwebe aber langsam an der vorderen Fassade des Hauses empor. Eine Leinwand bewegt sich im Wind. Im Schweben verändert sich meine Position um 90 Grad. Auf der Höhe des Daches angelangt blicke ich über das Haus hinaus auf die Skyline der Triple Cities: Die Gebäude der Schuhfabrik von George F. Johnson, der der Stadt seinen Namen gab, werden sichtbar; dahinter die der IBM-Mutterfabrik in der Nachbarstadt Endicott und die sanften Hügel von Binghamton." (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

 (1976)

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Zeichnung (10) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Als alles wieder aufgebaut war, begann in der Bundesrepublik Anfang der 70er Jahre eine zweite Welle umfassender Renovierungskampagnen. Weltverbesserung und Aufrüstung durch Asbestverschalungen, Rigipswände und Glasbausteine. Hier: Projekt Windfang, die Haustür als Zentrum der Identitätsbildung, das Vordach als Damoklesschwert. Vor dem Haus Platten aus Beton, in deren Ritzen man Gifte gegen Graswuchs spritzte. Und in die Ausgänge der Ameisenbauten puderte man süßliches E 605. Dazu Wegwerf-Instruktionen für die braunschwarzen Polaroidnegativ-Abziehfolien. Eine amerikanische Mülltonne fliegt als universales Emblem über einem Friseurstuhl, den wir aus dem Sperrmüll vor dem Zippelhaus geholt hatten, zu dem wir ihn später wieder zurückbrachten. Dahinter die zwei Arten ein "Y" zu schreiben auf der Seitenfläche eines kastenförmigen Flugroboters. Eine Reminiszenz an die Waterbugs in NYC – riesige, fliegende Albino-Kakerlaken. Zwei schwarze Sperrholzplatten schützen die beim Ausrasieren der Specknacken nötige Intimsphäre." (Aus: arsenal, märz 14).

(1976)

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Zeichnung (9) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Als alles wieder aufgebaut war, begann in der Bundesrepublik Anfang der 70er Jahre eine zweite Welle umfassender Renovierungskampagnen. Weltverbesserung und Aufrüstung durch Asbestverschalungen, Rigipswände und Glasbausteine. Hier: Projekt Windfang, die Haustür als Zentrum der Identitätsbildung, das Vordach als Damoklesschwert. Vor dem Haus Platten aus Beton, in deren Ritzen man Gifte gegen Graswuchs spritzte. Und in die Ausgänge der Ameisenbauten puderte man süßliches E 605. Dazu Wegwerf-Instruktionen für die braunschwarzen Polaroidnegativ-Abziehfolien. Eine amerikanische Mülltonne fliegt als universales Emblem über einem Friseurstuhl, den wir aus dem Sperrmüll vor dem Zippelhaus geholt hatten, zu dem wir ihn später wieder zurückbrachten. Dahinter die zwei Arten ein "Y" zu schreiben auf der Seitenfläche eines kastenförmigen Flugroboters. Eine Reminiszenz an die Waterbugs in NYC – riesige, fliegende Albino-Kakerlaken. Zwei schwarze Sperrholzplatten schützen die beim Ausrasieren der Specknacken nötige Intimsphäre." (Aus: arsenal, märz 14).

(1976)

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Zeichnung (7) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Drei Giraffen beim Fernsehen in einem Motel, das Modul eines Endlosbildes für eine italienische Kinderzimmertapete. Im Gegensatz zum Fernsehen, das irgendwann einmal angefangen hat und in das wir uns lebensgeschichtlich ein- und wieder ausklinken, bringt es der Film – als traditionelle Kulturform mit Anfang, Mitte und Schluß – immerhin noch dazu, dass sich die Geister über ihn entzweien. Filme sind endliche Produkte. Das filmische Abbild verkündet stolz, so war ich einmal und so bin ich nun. Das Fernsehen vertritt als Medium eine ganz andere Wahrnehmung von Realität. Es ist das nicht zu definierende Bild des Fließenden und damit auch die beständige Behauptung eines Gegenteils. Es ist als Form die bislang erfolgreichste Parodie des Lebens. Alles, was wir dazu beitragen, hat nichts mit uns zu tun. Wir tauchen im Fernsehen auf und bedeuten dadurch nichts mehr. Keine Chancen für die Kritik und ihre selektiven Methoden, dagegenzuhalten." (Aus: arsenal, februar 09).

(1976) 

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Zeichnung (6) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Hamburg, 1978, der Alptraum einer angehaltenen Zeit: auf einem düsteren Gedankenblitz zwei Brote, ein Laib und ein Kasten, angesogen von einem Flakon gefüllt mit Milch - die Ausgangssituation für einen Film mit dem Arbeitstitel Normalsatz der Gleichzeitigkeit. In meiner Zimmerecke der Wellenkamm aus einem japanischen Holzschnitt. Drei schwarze Dampfer gleiten ungestört in Formation und großer Fahrt durchs Wellental, eine nicht umkehrbare Bewegung: Die Künste vervollständigen sich, das Leben erfüllt sich - unweigerlich und ohne Begleitung. Daß die Welt vornehm zugrunde gehe, war eine in der sozialen Klasse meiner Herkunft weit verbreitete Einsicht, und daß sie in ihrer Darstellung keiner Verdoppelung bedarf, die meine dazu. Vielleicht ist die Verzweiflung von damals hier zu elegant nachgezeichnet worden. Daß eine erneute Wendung der Filmemacherei aus ihrer Erstarrung herausgeführt hat, spricht allerdings dagegen. Der schwankende Raum einer unterkühlten Wahrnehmung und ihre Auswirkungen bleiben gleichwohl bestehen." (Aus: arsenal, januar 12).

(1978) 

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Zeichnung (5) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Manhattan, 1974. Ein unlogischer Schattenwurf auf das Fenster eines leeren Apartments mit Ausblick auf die beiden Türme des World Trade Centers. Der Auszug und die Aussicht auf eine Rückkehr - irgendwann, immerhin, später - in einer als endlos empfundenen Zeit. Doppeltrapezförmige Holzsärge erzeugen in mir Übelkeit, ich schrecke vor ihnen zurück, scheue ihren Anblick. Hier dagegen ein Designer-Sarg aus Italien unter einem marmoriert gemusterten und in Falten gelegten Überwurf auf einem schwarzen Teppichfetzen - later, sometime, nevertheless - am Ende der Zeit. Gespräche mit Ken Jacobs in einem Frühstückslokal an der Chambers Street über die Zeitenwende im Iran, die prophezeite Ankunft Hazrat Mehdis, deren Begleitumstände Mohammed Atta siebenundzwanzig Jahre später in NYC heraufbeschwören zu müssen meinte. Wir liefen ohne Ziel zwischen den Börsianern umher, alles schien zum letzten Mal billig zu sein: Dies war einmal unsere Zeit. Der heraufdämmernde Hohn der Besserverdienenden, die juckende Haut und das Kratzen." (Aus: flypaper #5, 2010).

(1975)

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Zeichnung (1) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"NYC, September 1974. Ein Traum geträumt im vierten Stock des Bürohauses 100 Hudson Street in Lower Manhattan. Eine Schaufel schwebt über einem Schiffsdeck und wirft einen senkrechten Schatten - am Wendekreis des Krebses, zur Zeit der Sommersonnenwende. Eine symbolisch kolorierte Welt: B = ein Stück blauer Himmel, G = ein Fleck grauer Farbe an der Kabinenwand eines Schiffes, an der ein Rettungsring hängt. Das Deck ist blankgescheuert, die Reling weiß lackiert. Das Meer glitzert ruhig vor sich hin. Eine über der Szene schwebende Stimme prophezeit: "The pain starts at 10 pm", der Schmerz beginnt um zehn Uhr abends. Der Beginn einer Reise, der Horror vor der Linie des Horizonts. Die Selbstständigkeit der Dinge, die Ritzen zwischen den Schiffsplanken als Fluchtlinien und die Beschwörung eines bis dahin abwesenden Schmerzes. Dieses ist die erste Zeichnung der Serie Die Basis des Make-Up. Den Traum nach dem Erwachen niederzuschreiben, erschien mir zu kompliziert. Vergessen wollte ich ihn auch nicht, deshalb die Skizze." (Aus: flypaper #5, 2010).

(1974)

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