Zeichnung (90) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Loving cups. Am 9. Juli 2019 ist David Marc gestorben. Er war einer der ersten und besten Analytiker des amerikanischen Fernsehens. Seine Bücher Demographic Vistas (1984) und Comic Visions (1989) waren grundlegend, seine Essaysammlung Bonfire of the Humanities (1995) ist genial. Hier steht er im Herbst 1974 stoisch neben seinem VW,  mit dem wir in den Catskill Mountains einen Abhang hinabgerutscht waren. Unser Freund Tim Kennedy, der Filmemacher und spätere Landschaftsplaner, verläßt fluchtartig den Unfallort. Wir waren Nachkriegskinder und sind langsam aber sicher zu Theoretikern dieser Übergangszeit geworden, die für ihn viel eher in einem neuen Krieg mündete. Sein verehrter Lehrer, Ken Jacobs, der ihn wegen einer Bagatelle früh verstoßen hat, hatte 1975 zu mir als erstem Deutschen in jenem Kreis gesagt: 'Ich würde kein Wort mit dir reden, wenn es den Vietnam-Krieg nicht gegeben hätte.' David stand eine solche Harschheit nicht zu, weil er wußte, daß unsere persönlich erlebten Kriege noch ganz andere sein würden." (Aus: arsenal, september 19).

(1975) 

Drawing (91) from THE BASIS OF MAKE-UP

"An outing to the lowland plains of northern Germany, 1975. Beside a cornfield close to Horneburg, we throw a brick wrenched out from a wall into a puddle of water and explain to ourselves why the clouds reflected in it move at different speeds. The far-off clouds are small and slow, the nearer ones large and speedy. And this applies both horizontally and vertically and defines a unique point of view that every photograph contains, whether it wants to or not. Silke Grossmann is wearing a heavy, light brown leather coat. Her shadow has separated itself from her and is thinking about the same things that she is. Back then, we lived next door to the Chilehaus built by wannabe-Nazi general construction inspector Fritz Höger in Hamburg and acknowledged its north German brick expressionism with stoicism. The life of painter Heinrich Vogeler was of greater interest for us, and the analysis of the photograph Assembling for a Demonstration (1928) by Alexander Rodchenko changed our lives forever." (From: arsenal, june 19).

(1975) 

Zeichnung (91) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Ein Ausflug in die norddeutsche Tiefebene, 1975. Neben einem Kornfeld bei Horneburg werfen wir einen aus einer Einfriedung herausgebrochenen Klinkerstein in eine Wasserpfütze und erklären uns die verschiedenen Geschwindigkeiten der Wolken, die sich darin spiegeln. Die entfernten Wolken sind klein und langsam, die nahen groß und schnell. Und das gilt sowohl horizontal als auch vertikal und definiert einen eigenen Standpunkt, den jede Fotografie, ob sie es will oder nicht, enthält. Silke Grossmann trägt einen schweren, hellbraunen Ledermantel. Ihr Schatten hat sich von ihr abgetrennt und denkt über dasselbe nach wie sie. Wir lebten damals neben dem vom Möchtegern-Nazi-Generalbauinspektor Fritz Höger erbauten Chilehaus in Hamburg und nahmen dessen norddeutschen Backstein-Expressionismus stoisch zur Kenntnis. Der Lebensweg des Malers Heinrich Vogeler war für uns von größerem Interesse, und die Analyse der Fotografie Versammlung für eine Demonstration (1928) von Alexander Rodchenko veränderte unser Leben für immer." (Aus: arsenal, juni 19).

(1975) 

Zeichnung (92) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Der Maler (P) mit Zeigepinsel in der Hand und sein Modell (M), einem VW-Käfer entsteigend, zu einer Zeit, als die Abkürzung „Vauweh“ ihren zivilen Charme noch nicht verloren hatte, und das Wort „Volkswagen“ bei mir noch kein Grauen erregte. Zwischen beiden Personen liegen Berge geordnet gestapelter Unterwäsche und eine Straße aus Tee. Gemalt wurde die Erscheinung eines schwarzen Wollhandschuhs als weißes Nachbild. Zu der Zeit, also 1974, bestanden wir darauf, daß ein Kalauer die Welt in ihren Beziehungen am Verläßlichsten darstellen könne. Die Spötterdämmerung begann erst später, obwohl ich schon 1968 das Angebot, Pardon-Redakteur zu werden, abgelehnt hatte, um Philosphie zu studieren, was vorerst auch im Sande verlief. Noch waren Fotografien rohe Sätze und alberne Beweisstücke. Die Sprache, die die fotografischen Abbilder in der Lage waren zu konstruieren, erschien uns erst drei Jahre später als Möglichkeit, dank Alexander Rodchenko. Aber schon immer war klar: Nie im Leben würde ich mir ein deutsches Auto kaufen." (Aus: januar 19).

(1976) 

Zeichnung (93) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Text under construction"

Mit den Pfoten die Wirklichkeit um einen Spalt öffnen. 

(1978) 

Zeichnung (94) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Das tödliche Dreieck der Projektionen BA–AC–CB: A liebt B, B liebt C und C liebt A. Ein Ringelreihen aus dem Film Die Basis des Make-Up, mit John Erdman als Teppichhändler und Eckhard Rhode und Claus-Wilhelm Klinker, deren Gesichtsprofile hier das Bild durchkreuzen, als dessen Gehilfen. John Erdman deklamiert am Ende des Film neben einem Kotflügel mit dem Gesicht zu Boden liegend: 'Durch den Regen zeichnet sich ein vergrößertes Stück Straße ab, auf dem ich mit dem Gesicht zu liegen scheine. Die Lippen im Staub, aber regungslos, mit einem langsam schwindenden Bewusstsein. Nur Geräusche. Das einzige, was dem Laien wirklich bleibt, sind Ratlosigkeit und schlechte Zähne.' Auf der unteren Bildebene versinkt ein Tempel in den Steinplatten eines nordkoreanischen Platzes. Auf seinem Tympanon prangt das Wort LIBRA, für 'Pfund' oder 'Waage',  vielleicht aber auch für 'Bibliothek'. Für das ZDF war dieser Film 1985 der 'schlechteste, den wir je gesendet haben', für mich eine ziemlich gelungene und erfolgreiche Kontaktanzeige." (Aus: arsenal, mai 13).

(1996)

Zeichnung (95) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Hamburg an der Elbe, Ende der 70er Jahre. Die Bänke aus Beton vor dem Spiegel-Hochhaus an der Ost-West-Straße waren von einem Lastwagen über den Haufen gefahren worden. Man hat sie daraufhin mit Stahlplatten aneinander geschraubt. Am Morgen meiner Abreise fuhr ich aus einem  Alptraum hoch, der von einem Glas Bier handelte: Zuerst erschien das Glas zur Hälfte voll mit Bier ohne Schaum und bis zur Füllhöhe außen schwarz angemalt. Die Oberfläche des Bieres wurde mit einem Schokoladenkeks abgedeckt, auf den eine dicke Schicht Butter aufgetragen wurde. Der Rest des Glases wurde dann mit Bierschaum aufgefüllt, der über den Rand hinunterlief, und oben mit einem weiteren, schwarzen Keks abgedeckt. Dann wurde auch der obere Teil des Glases außen schwarz angemalt. Alles wie in einem Trickfilm, menschliche Protagonisten hatte der Film keine. Es ist ratsam, vor Träumen dieser Art die Flucht zu ergreifen. Ihre Geschichten steigen aus den Innereien auf und kehren die Zeit um. Ein Rachefeldzug der Exkremente, deren Ausscheiden unmittelbar bevorsteht." (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

(1978) 

Zeichnung (96) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Text under construction"

Chilehaus. 

(1976) 

Zeichnung (97) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

Wildenten im Formationsflug. Ein Präservativ als Corpus Delicti auf einem blanken Holzfußboden, auf dem Bundeskanzler Kohl und ein Diplomat stehen. Wackelnde Zähne, nachdem das Zahnfleisch zurückgewichen ist. Ein abgeschossenes Kamikaze-Flugzeug im Pazifik, 1944. 

(1988)

"In der Entwicklungsgeschichte der Fire-and-Forget-Waffen, Bomenladungen, die selbsttätig ihr Ziel finden, gebührt dem japanischen Kapitän zur See Motoharu Okamura die Ehre des Avantgardisten. Als Antwort auf den unvermeidlichen Verlust von Flugzeugen bei Kamikaze-Angriffen schuf er die Vernunftslösung Oka, zu deutsch Kirschblüte, eine Trinitroanisol-Ladung mit Antrieb, die weit vor dem Explosionsort von einem Mitsubishi–Bomber ausgeklinkt und von einem menschlichen Piloten, der sich als grobe Ausführung eines Computerchips an sie angeschnallt hatte, ins Ziel gelenkt und gezündet wurde. Die heutige Diskussion über Künstliche Intelligenz samt Ethikprogramm und therapierbaren Maschinen läßt einen nur 'Wie gehabt' seufzen... 

Zeichnung (98) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Ein Bretterverschlag an der Chambers Street in NYC, 1975. Silke Grossmann ist nach der Lektüre von Prousts Die Wiedergefundene Zeit eingeschlafen. Zeitdilationen - die Traumpfeile weisen, ausgehend von den gerichteten Zeilen der Übersetzung von Eva Rechel-Mertens, in alle möglichen Richtungen und in unsere Nicht-Unmöglichkeiten hinein. Geliebte Übersetzungen - nicht zu verwechseln mit eher plumpen Übertragungen in Codes, die das mechanische Umtaufen der Welt ermöglichen, so wie der Kaiser das mit seinen neuen Kleidern auf den politischen Jahrmärkten tut. Gelebte Translationen - keine Parallelverschiebungen, sondern eine fast restlose Verwandlung, die von danach nur schwer nachweisbaren Katalysatoren in die Wege geleitet wurde. Die beiden verglasten Oberlichter, die hier das Kopfkissen krönen, waren zuvor Bestandteile des Vordaches von 100 Hudson Street gewesen. Beamen und Collagieren - das Auftauchen in fremden Welten, und sei es auch nur in der einer Zeichnung, als Linien, s/w und tot, aber wiedererkennbar, in einem neuem Leben: Renewal." (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

(1978) 

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