Zeichnung (80) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Links die Farben der Vokale bei Arthur Rimbaud: A = Schwarz, E = Weiß, I = Rot, O = Blau und U = Grün. Aus einem Handbuch für Marine-Infanteristen: Ein Stahlhelm bedeutet Protection, Schutz. Das Dreieck der Herzpositionen in den Silhouetten dreier Leichen, 1969 in den Hollywood Hills ermordet von der Bande um Charles Manson. Rechts ein vertikales Band aus Büchern und Heften. Die Paradoxie des Schreibens, das Wechselspiel von Verbergen und Preisgeben, jede Schrift ein Grauwert: zwei mit einer Schelle verkreuzte Arme vor einem teilweise geschwärzten Text. Jeder Schriftsteller behauptet als Leser von heute das Gegenteil von dem, was er schreibt. So wird er gründlich verstanden und kommt sich dabei noch schlecht hingekritzelt vor. Dieses Gefühl reicht er an die beschriebenen Tatsachen weiter: 'Ich bin eine Bombe, also bist auch du eine Bombe.' Die Schubladen voll mit gezierten Testamenten , die überforderte Nachkommen im Klo versenken. Sie gehen keinen etwas an, deshalb veröffentliche ich sie. Als Schrift und Verbrechen." Aus: flypaper #5, 2010).

(1993) 

Zeichnung (81) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Text under construction"

Everwell. 

(1996) 

Zeichnung (82) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Johnson City im Staat New York an der Grenze zu Pennsylvania, August 1975. Mein Einzug in das obere linke Apartment eines Hauses für vier Parteien an der Sherman Street. Die Öffnungen der vorgesetzten Veranden sind mit dunklen Drahtgittern bespannt und verheißen nichts Gutes. Ein Moskitonetz aus NYC wird herabgelassen und eingeholt. Wir rauchen Gras und hören The Soulful Sound von Jimmy Reed. Ich trage eine schwarze Zimmermannshose aus einer Schneiderei in Hamburg-Veddel und ein zweireihiges, graues Jackett aus der Altkleidersammlung des Roten Kreuzes. Ich kann mich kaum noch bewegen, schwebe aber langsam an der vorderen Fassade des Hauses empor. Eine Leinwand bewegt sich im Wind. Im Schweben verändert sich meine Position um 90 Grad. Auf der Höhe des Daches angelangt blicke ich über das Haus hinaus auf die Skyline der Triple Cities: Die Gebäude der Schuhfabrik von George F. Johnson, der der Stadt seinen Namen gab, werden sichtbar; dahinter die der IBM-Mutterfabrik in der Nachbarstadt Endicott und die sanften Hügel von Binghamton." (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

(1976) 

Zeichnung (83) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Am Horizont die Explosion einer Wasserstoffbombe im Pazifik, 1952. David Marc vor meinem gepackten Koffer in Johnson City, 1974. Die Zeichnung eröffnet das Kapitel 'Kultur ohne Kontext' seines Buches Bonfire of the Humanities mit der Legende: 'Ein Mangel an Bauplänen hat die Möchtegern-Architekten einer Neuen Welt in einen Haufen Heimwerker verwandelt.' Vier Finger einer ausgestreckten Hand, an den Fingerspitzen drei gefaltete Hosen und ein Stapel Grundbücher aus der DDR. Davor eine Stoffprobe mit der Silhouette zweier Männer. Carola Regnier sinniert als 'Bela' in Der Zynische Körper, 1990: 'Durch welchen Grad von Nähe fühlst du dich porträtiert? Durch einen Rasterpunkt auf dem Abdruck eines Satellitenphotos, dessen Größe die Stadt Toledo repräsentiert, oder durch ein Runzelkorn so groß wie eine Pore deiner Haut? Oder schwebt dir für den Ort deines Ichs eine dazwischenliegende Relation vor? Ausgestattet mit all der Schüchternheit, die der Bezeichnung des Besonderen auf seinen gestrigen Raumkoordinaten zusteht.'" (Aus: flypaper #5, 2010).

(1994) 

Zeichnung (84) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Selbstportrait mit vorgehaltener Hand kurz nach dem Entschluß, in den Süden von L.A. nach Laguna Beach umzuziehen. Zwei schwere, hölzerne Ledersessel in der 1939 fertiggestellten zentralen Los Angeles Union Station. Am linken Bildrand ein menschliches Gehirn, das an einer Glasscheibe nach unten rutscht. Laguna Beach ist 1993 abgebrannt - und hoffentlich auch die deutsche Schauspielerschar, die hier von SAT.1–Gnaden weilt oder sich als wandelnde Investitionsleichen von silly German money am Als-ob ergötzt. Nachdem es keine Nazis mehr zu spielen gibt, kann man immerhin noch versuchen, keine zu sein - eine komplexe Aufgabe für eine Karikatur des Geschäftslebens. Im Hintergrund der Explosionspilz einer Wasserstoffbombe auf einem Atoll im Pazifik als Kontext und logisches Zentrum der Welt. Davor vierzehn Schilder mit Testmaterialien, die der radioaktiven Strahlung ausgesetzt wurden. Es galt, die Gelegenheit zu nutzen. Fünf Vögel fallen tot vom Himmel, darunter auch der Pelikan, der so überraschend an der Abbruchkante zum Pazifik an mir vorbeiflog." (Aus: The End, Disko 22, 2011).

(1994) 

Zeichnung (85) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"King Tetris in Aktion. Quadratformationen, die in allen möglichen Kombinationen aus einem hilflos in Spielsucht erstarrten Kopf herausfallen. King Tetris ist auf Autopilot und reagiert tranceartig auf jede Bewegung an seiner Blickperipherie. Dennoch strecken sich aus seinem Inneren zwei Arme einem möglichen Retter entgegen. Aber nur eine Gabel, die fortschreitend ihre Zinken verliert, nähert sich seinem Gesicht. Dahinter eine Mikrobe, die Durchfall erzeugt, als Bombe über dem Hospital einer Kleinstadt, die sich auf den Ausbruch einer Seuche einstellt. Die reine Zeit der Spiele gegenüber dem erzwungenen Verlauf einer Krankheit. Der im pathologischen Spielen stattfindende Austritt aus der Realzeit ist suchterzeugend. Der erzwungene Eintritt in die Realzeit eines analogen Krankheitsverlaufs niederschmetternd. In beiden Fällen macht sich eine Finsternis breit, die alles zu verschlingen droht. Die Krone der Schöpfung entledigt sich ihrer Pflichten. Ihr Kopf verschwindet zwischen den Zähnen eines Reißverschlusses." (Aus: arsenal, oktober 15).

 (1994)

 

Zeichnung (86) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Im Kreissegment am unteren Bildrand das Bild einer Menschenmasse am 1. August 1914, dem Tag nach der Mobilmachung zum Ersten Weltkrieg, auf dem Münchner Odeonsplatz - nach einer Fotografie von Heinrich Hoffmann, dem späteren Leibfotografen Adolf Hitlers. In der oberen, rechten Ecke die Vergrößerung des Ausschnitts daraus, auf dem Hoffmann 1931 den jubelnden Adolf Hitler entdeckte, den er 1914 noch nicht kannte. Von links unten nach rechts oben ein ausgekugeltes menschliches Gelenk. Von rechts unten nach rechts oben Spuren menschlicher Schritte. Es sind die einer Einheit französischer Fremdenlegionäre, die sich mit denen von Gary Cooper und Marlene Dietrich mischen - auf einer "Wanderdüne in der Sahara" in den Paramount Studios in Hollywood, 1930, bei den Dreharbeiten zu Morocco von Josef von Sternberg. In der Mitte eines Stadions am Boden hockend ein besiegter Fußballspieler, der sich sein Trikot über den Kopf gezogen und mit dieser Geste Melancholie als Höchstform männlicher Sexualität kongenial umgesetzt hat." (Aus: arsenal, november 11).

(1994) 

Zeichnung (87) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Eine Urszene des Real Estate: Perplexheit nach dem Rauswurf aus Hudson Street 100. Ein Portrait des amerikanischen Regisseurs Jim Jennings im Februar 1975 in unserem gemeinsamen Apartment an der President Street in Brooklyn. Eine Hand reicht ein Holzbrett ins Bild, auf dem eine halbe und eine ganze Scheibe Schwarzbrot liegen. Jim, der seine Filme durch seine Arbeit als Klempner finanzierte, wippt vor einem Stadtplan von Manhattan und Brooklyn auf einem Stuhl. Chinesische Folter: Durch ein Bambusrohr ergießt sich eiskaltes Wasser in den linken Ärmel seiner Wolljacke. Menschen ohne Kapital machen sich Illusionen über die Dauer ihrer Arbeitskraft. Nicht nur marktkonforme Kräfte geben sich alle Mühe, ihre individuellen Qualitäten auszulöschen. Nahezu zwanghaft arbeiteten wir, arm wie die Kirchenmäuse, mit unseren eher melancholisch eingestimmten Gründungsmythen dagegen an. Jim trieb es in die Jazzclubs, und ich begann, das anonyme Proletendasein eines entlaufenen Leibeigenen in einer Freien Hansestadt auszukosten." (Aus: arsenal, mai 14).

(1977)

Zeichnung (88) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Schräg einfallende Hagelkörner eines Eisregens sammeln sich in einer flachen Schale aus afrikanischem Balsaholz auf dem Fenstersims eines Brownstone-Gebäudes in Brooklyn, 1975. Im Fensterrahmen ein Portrait von Silke Grossmann, schlafend und halb verdeckt von zwei Kissen. Der englische Satz I love you ausgeführt in indianischer Knotenschrift - ein zirkelhafter Unsinn also. Wie und wo und was ist ein Ich, und für wielange existiert es? Es konstituiert sich permanent nur für Sekunden. In dieser Zeitspanne stellt es keine Fragen, sondern behauptet Antworten. Darin trifft es sich mit anderen, zufällig anwesenden und angeschalteten Ichs. Man verbündet sich in einer anhaltenden Illusion, die kräftiger erscheint als die Stabilität des Ichs selbst. Die Freundschaft beruft sich auf das Ich des anderen. Dadurch stützt sie es in einer Gegenwart, die auch nur Sekunden andauert. Diese Illusion ist eine Form von Energie, die schneller als in Lichtgeschwindigkeit agiert. Jetzt ist der Code entschlüsselt, alle Gene verfügbar, ein Ende also in Sicht." (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

(1976) 

Zeichnung (89) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Silke Grossmann in Bademantel und Filzpantoffeln hinter einer Tür und der Schublade eines Schrankes im Zippelhaus, Hamburg 1976. Am Tisch dieser Küche wurde, wie im Film Hotel zu sehen, diskutiert, was zu tun sei, wenn die Dritte Generation mit einem Luger im Anschlag und der GSG 9 auf den Fersen sich bei uns Einlaß erzwingen würde. Der englische Satz I love you erscheint Buchstabe für Buchstabe übersetzt in Keilschrift, also weiterhin auf Englisch. Die Plastikwannen, die unter der Fußbodenkante aus dem Raum hinauswandern, sind gefüllt mit Henna und Hamamelis. Der Zwieback ist ein Raumschiff, das in unseren Mündern schmelzen würde. Das ist er also, der Rand der Gesellschaft. Vom Küchentisch aus war am Horizont im Hafen der Richtplatz sichtbar, auf dem der kopflose Körper Störtebeckers noch an dreizehn Gefolgsleuten entlanglaufen konnte und sie so vor dem Henker bewahrte. Die Anstrengungen der Polizei, den Frauenmörder im Stockwerk über uns zu überführen, blieben erfolglos. Eine universale Annahme von Unzurechnungsfähigkeit lag in der Luft." (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

(1976) 

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