Die Basis des Make-Up

Die Basis des Make-Up

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Zeichnung (266) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Das Fischungeheuer aus dem Park von Bomarzo mit einem positiven wie negativen Teppichmuster in seinem aufgerissenen Maul. Der dazugehörige Teppich hing einmal im Victoria and Albert Museum in London. Ich habe ihn dort so oft wie möglich aufgesucht. Sieben Lachse springen auf dem Weg zu ihren Laichgründen einen Flußlauf hinauf, als Osmoregulierer aus dem Salzwasser ins Süßwasser. Eine Barackenwand mit dreiteiligem Fenster und halb heruntergelassenen Sichtblenden bildet hier das aktuelle Tor zur Hölle, das sich nicht verdrängen läßt. Ein Trupp islamistischer Schwarzer Witwen bei ihren Schießübungen im Niemandsland. Menschen töten ist wie Vögel abschießen. Das gilt für alle Beteiligten. Eine gefräßige Natur, versteinerte Menschen, Visionen im Bauch von Ungeheuern. Im Auge des Monstrums spiegelt sich eine schnell dahinziehende Wolke, die von hinten von der Sonne beschienen wird. Es ist noch früh am Morgen, und die Atome sammeln sich nur langsam zu dem Entschluß, noch einmal aufzustehen, um durch das Tor zu schreiten." (Aus: arsenal, märz 16).

(1996) 

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Zeichnung (327) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Selbstportrait mit langen Haaren, Neapel 1971. Die Wüste ohne Adverbien der Zeit und des Ortes, eine schwere Depression zersetzt eine toskanische Landschaft. Blitzeinschlag in einen der mittelalterlichen Wehrtürme von San Gimignano. Ein Stein in der Form des Oktaeders aus Albrecht Dürers Melencolia I löst sich von einer Dachbrüstung und fällt mir auf den Kopf. Auch Dürer muß diesen Zustand gekannt haben. Die Sonne hinterläßt uns als Gemüse. Das ist der Nutzen im Laufe der Zeit. Man denke an den Ballonflug über die ägyptischen Pyramiden, zu dem Michael Jackson seine Göttinnen Jackie Onassis, Diana Ross und Elizabeth Taylor einlud, um die Schöpfung westlicher Prägung zu krönen. Wer jeden Ort dieser Welt gesehen hat, muß sich auf die Landschaft seiner Träume verlassen. Um dann daran zu verzweifeln, daß sich Träume nicht auf Wunsch bruchlos fortsetzen lassen. Ihre Logik ist eine andere, sie läßt die Synapsen immer wieder neu kombinieren. Dann hilft nur noch Milk, das milchig-weiße Propofol, um dem Alb zu entrinnen." (Aus: arsenal, januar 16).

(2007) 

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Zeichnung (352) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Eine Möwe auf dem Kopf einer Bronzestatue von Winston S. Churchill. Dahinter die Trümmer der in der Nacht vom 28. zum 29. März 1942 nach einem Bombentreffer zerschellten Glocken der Lübecker Marienkirche. Am oberen Bildrand drei Himmelsleitern, die nicht den Boden berühren. Der herabstürzende Oktaeder aus Albrecht Dürers Melencolia I läßt die Backsteinpflasterung des Bodens aufbrechen. Darunter tut sich eine weiße Leere auf. Daß wir die erste Generation waren, zu deren Aufwachsen synchron ganze Städte wieder aufgebaut wurden, war uns als Kinder nicht bewußt. Inzwischen schaudert es mich, daß wir es als normal empfanden, zwischen Ruinen aufzuwachsen, so wie es auch jetzt weltweit Zehntausende von Kindern tun. Auch lebten dort Menschen, vor denen man uns warnte, die uns aber nichts taten. Displaced Persons waren wir selbst. Die kindliche Ignoranz und die Selbstverständlichkeit, mit der wir Ruinenfelder als Spielplatz benutzten, macht dazu Hoffnung. Abgesehen davon, daß die Traumata unabweislich später einsetzten." (Aus: arsenal, februar 16).

(2007) 

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Zeichnung (478) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Ein Kanonier mit einem Knochenstumpf als rechten Arm präsentiert die Öffnung eines Kanonenrohres, einer 12–Inch–Gun, auf einer Postkarte. Sie wurde vom Schlachtschiff USS Delaware imJuli 1900 abgeschickt. 'Where the marks are is where the gun opens', steht auf der Rückseite der Karte zu lesen. (Edward T.) FUSCO (Incorporated)-Briefpapier, gefunden in 100 Hudson Street, 1974. Eine Hand kratzt mit ihren Nägeln an einer gekalkten Wand entlang. Eine Lampe, die in einem begrenzten Rahmen Schwärze abstrahlt, steht als Science-Fiction-Objekt neben dem Fenster, das bei Tage von einem überlangen Vorhang verhüllt ist. Sein Stoff verdeckt auch die Grube im Fußboden, in der ich in Brooklyn zu liegen kam. Ich erinnere mich genau an diesen Körper, den es nicht mehr gibt. Wir sind die Überlebenden, die Verzehrer und die Ausgetauschten. Die fremd gehenden Vergesser, die lustlosen Kombinierer. Wäre die Geschichte schon zuende, würden mir mehr als ein paar Namen dazu einfallen. So wie sie ist, macht sie auf kein Ende neugierig." (Aus: arsenal, april 16)

(1997) 

 

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Zeichnung (129) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Eine Frühstücksidylle, ein transparentes und zerhacktes Beil aus Fleisch, auf dessen Schnittfläche dunkle Muskelfasern zu sehen sind. Ein Hund stürmt eine Holztreppe hinunter zum Ort seiner Fütterung in der Küche eines amerikanisches Vorstadthauses irgendwann in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Eine Frau gießt sich im gleißenden Licht eines Reklamesets beherzt eine Tasse Kaffee ein. Im Zentrum das Logo von Pym Films, die exzerpierte Retina aus dem Auge eines Kaninchens, drohend, als stünde die Rache für Willy Kühnes Tierversuch durch einen Berserker von Hund im nächsten Moment bevor. Oder lefzt er nur angeregt durch die Geräusche des Futternapfes und den Geruch des Trockenfutters wie in einem Laboratorium von Ivan Pavlov? Der Junge mit den kurzgeschnittenen Haaren, die Frau im Faltenrock, die Konditionierung des Personals ist offenkundig, das Licht, in dem es erscheint, weltumspannend, unausweichlich, porentief. Der 'Menschenversuch', von dem Vlado Kristl sprach, setzt zu einer letzten Regression an." (Aus: arsenal, april 15).

Lynne Tillman: "Everything was going wrong. Suddenly I thought I didn't really love her. She poured the coffee in a determined way. She never read my thoughts but this time she laughed and said, 'All you can really love is the dog.' I poured too much dog food into the bowl and the dog appeared, larger than life." 

(1977) 

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Zeichnung (130) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Eine konstatierte Tierreihe, TPMS: Kröte, Fisch, Hund, Reptil – Tetrapoda (T), Piscis (P), Mammalia (M), Sauropsida (S). Das Pym-Logo als Pupille im gespiegelten Horusauge, dem Auge des Re. Maltesische Fischerboote tragen Horusaugen an ihrem Bug. Unten links zeichnet eine Stenografin das Logo positiv auf ihrem Notizblock ab. Rechts daneben ein von innen mit einem Bleistift durchbohrter, herausgezogener Augenlidmuskel, der jede Sicht nach außen verhindert. Gelangweilt spielen die Menschen Blinde Kuh und protokollieren dabei ihre Bewegungen. Sie hantieren mit Stäben und Fingern und ihre Blicke materialisieren sich auf Bahnen. Der Chef sitzt mit verbundenen Augen in der Mitte und darf mit dem Finger ins Leere oder auf Menschen zeigen. Innere Augen leiten die Entwürfe der Ingenieure, sie müssen auf Zuruf skizziert werden. So wurde die Visuelle Kommunikation als universales Gebet eine Abkürzung zum Tode und zum Protokoll letzter Anblicke. Ich habe etwas gesehen, aber weder bin ich gekommen, noch bin ich ein Sieger." (Aus: arsenal, mai 15).
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(1983) 

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Zeichnung (172) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Details einer römischen Freskomalerie aus der Grabkammer eines Turmspringers in Paestum, 5. Jahrhundert vor Christi, mit der Silhouette des nackten Tauchers. Dazu der Einblick in eine Fabrikationsanlage für Gummihandschuhe aus dem 20. Jahrhundert nach Christi. Eine hell behandschuhte Hand zieht einen schwarzen Handschuh von einer der vielen Gußformen. Wir sind Inseln der Wahrnehmung, Singularitäten, Körper, die andere Körper und Geister verdrängen und trostlos durch eine Zeit gleiten, die uns kein Kontinuum mehr darstellen kann. Hier ist ein Blick gescheitert, dort ist er wieder eingefangen worden, im Tal der Tränen der Fotografie die Konstellationen des Wirklichen preisend. Oder verwirklicht durch ein Mosaik kleiner Steine, das eine vorübergleitende Bewegung zum Stillstand bringt und in unser Bewußtsein hämmert. Wie eine Theorie, die isolierte Blicke zu einer Sinnbaracke zusammennagelt, so als habe sie alles gesehen. Das alles schreit, Ich werde gelebt haben, aber ich habe nicht gewußt. Es ist über mich gekommen." (Aus: arsenal, juni 15)

(1993) 

 

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Zeichnung (180) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Blicktheater mit zwei nackten, deutschen Spionen auf einem Schiff im Mittelmeer zu Zeiten des II. Weltkrieges. Wir sehen einen räuberischen, einen technisch vermittelten, einen neugierig kontemplativen und einen sich selbst negierenden Blick. Die Männer werden von einer Frau beobachtet, die eine Sonnenbrille auf ihrem kahlen Kopf zurückgeschoben hat. Viel früher hatte sie selbst nackt an Deck gestanden, und ihre langen, dunklen Haare hatten ihr dabei den Blick auf die Wellenberge verwehrt. Jetzt ist ihr Blick von einer sanften Traurigkeit gezeichnet, die von ihrem Ausschluß aus der Welt der Männer und von deren nichtsnutzigen Projektionen herrühren mag. Der Spion mit der Schiebermütze filmt eine ferne, außerhalb des Bildrahmens liegende Szenerie. Der Spion mit den nassen Haaren ruht in sich selbst und blinzelt in die Sonne. Ein tierisches Interesse hat ihn erfaßt, das die Darstellungen der beiden Frauenfiguren in einer Vorher-Nachher-Konstellation zu begreifen versucht. Dann grübelt er über sein Scheitern nach." (Aus: arsenal, juli august 15)

(1976)

Lynne Tillman: "The woman, who was naked, looked like a figure from a seventeenth century Japanese drawing. That she was naked made me think she might be from the north of Germany or further, perhaps Sweden. She stopped looking naked after I thought that. A thought something like 'Nudity is permissible in northern countries.' I didn't wonder why but turned instead to look at a man I thought of as the tourist. He was so well-prepared for travel that, even though he too was naked, he wore a cap. He might play golf, I imagined. My friend was looking angrily at the tourist who, in his effort to capture the ocean, which is how I figured he might put it to the folks back home, was taking his picture too. He always said what everyone who doesn't like having their picture taken says - primitive people think their images being stolen - implying that he too felt like that. He was not like that - primitive - about anything but photography, although the only movies he liked were Westerns, which he said were Wittgenstein's favorites, an odd position for a primitive, I told him."

(1976) 

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Zeichnung (538) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Zwei Darmabschnitte hängen als Damoklesschwerte an Stöcken über einer häuslichen Szenerie. Ich sitze mit Sheila McLaughlin auf dem Boden des grüngrauen Flurs im 4. Stock von 100 Hudson Street, NYC, zur Jahreswende 1974/75. Gezeichnet nach einer Fotokopie von David Larcher, in die sein damaliges Signet angeschnitten eingeprägt ist. Rechts und links eingefaßt wird die Momentaufnahme von zwei Modellen, die Nervenfasern in Phantomsicht darstellen sollen. Beim erzwungenen Auszug aus dem verwahrlosten Bürogebäude setzten wir die Etage mittels des an der Wand hängenden Feuerwehrschlauchs unter Wasser. Das zwölfstöckige Haus war schon zuvor heruntergekommen und wartete auf Spekulanten, die es zu einer Luxusherberge umgestalteten. Jahre später stand ich unten auf der Straße und blickte zu meiner ehemaligen Fensterfront empor. Eines der Fenster öffnete sich und jemand schrie voller Hohn It’s nice up here zu mir herunter. Keine Ahnung, wieviel Schaden das Gebäude dann später beim Einsturz des World Trade Centers genommen hat." (Aus: arsenal, dezember 15)

(1997) 

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