Die Basis des Make-Up

Die Basis des Make-Up

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Zeichnung (358) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Details einer römischen Freskomalerie aus der Grabkammer eines Turmspringers in Paestum, 5. Jahrhundert vor Christi, mit der Silhouette des nackten Tauchers. Dazu der Einblick in eine Fabrikationsanlage für Gummihandschuhe aus dem 20. Jahrhundert nach Christi. Eine hell behandschuhte Hand zieht einen schwarzen Handschuh von einer der vielen Gußformen. Wir sind Inseln der Wahrnehmung, Singularitäten, Körper, die andere Körper und Geister verdrängen und trostlos durch eine Zeit gleiten, die uns kein Kontinuum mehr darstellen kann. Hier ist ein Blick gescheitert, dort ist er wieder eingefangen worden, im Tal der Tränen der Fotografie die Konstellationen des Wirklichen preisend. Oder verwirklicht durch ein Mosaik kleiner Steine, das eine vorübergleitende Bewegung zum Stillstand bringt und in unser Bewußtsein hämmert. Wie eine Theorie, die isolierte Blicke zu einer Sinnbaracke zusammennagelt, so als habe sie alles gesehen. Das alles schreit, Ich werde gelebt haben, aber ich habe nicht gewußt. Es ist über mich gekommen." (Aus: arsenal, juni 15)

(1993)

 

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Zeichnung (52) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Blicktheater mit zwei nackten, deutschen Spionen auf einem Schiff im Mittelmeer zu Zeiten des II. Weltkrieges. Wir sehen einen räuberischen, einen technisch vermittelten, einen neugierig kontemplativen und einen sich selbst negierenden Blick. Die Männer werden von einer Frau beobachtet, die eine Sonnenbrille auf ihrem kahlen Kopf zurückgeschoben hat. Viel früher hatte sie selbst nackt an Deck gestanden, und ihre langen Haare hatten ihr dabei den Blick auf die Wellenberge verwehrt. Jetzt ist ihr Blick von einer sanften Traurigkeit gezeichnet, die von ihrem Ausschluß aus der Welt der Männer und von deren nichtsnutzigen Projektionen herrühren mag. Der Spion mit der Schiebermütze filmt eine ferne, außerhalb des Bildrahmens liegende Szenerie. Der Spion mit den nassen Haaren ruht in sich selbst und blinzelt in die Sonne. Ein tierisches Interesse hat ihn erfaßt, das die Darstellungen der beiden Frauenfiguren in einer Vorher-Nachher-Konstellation zu begreifen versucht. Dann grübelt er über sein Scheitern nach." (Aus: arsenal, juli august 15)

(1976)

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Zeichnung (587) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Lavertezzo, 14. September 1994. Unschöne Konstellationen, ein Urwald aus Verleugnungen und Verrat, der mich stückweise umzubringen scheint. Von der Tessiner Talsperre Diga Valle Verzasca, einem Bondfilm-Drehort, stürzen sich nicht nur Bungie-Jumper. Die Flutwelle, die ein zerborstener Betonwall erzeugen würde, würde alle Gemeinden am gegenüberliegenden Ufer des Luganer Sees ertränken. LAC – der See, RIM – der Reim, die Ritze, die Spalte, LACRIMA – die Träne. Bernsteintropfenartige Artificial Tears: Einer der schwarzen Tropfen hängt rechts oben von einem Finger vor der breit gezerrten Fassade des The Claridge Hotels in Chicago herab und wird dann unten rechts von einer Fingerkuppe gezupft. Ueli Etters Babosa Gigante, eine Nacktschneckenart, auf deren Rücken sich der Wirkstoff für die bewußtseinsreduzierende Droge Agony bildet, klettert an der Seite des in der Höhe verzerrten Hotels empor. In den Bergen, über den Wolken, hört man klägliche Schreie von Vieh und von den Hippies, die an ihrer Landwirtschaft verzweifeln." (Aus: arsenal, september 15)

(1999)

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Zeichnung (85) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"King Tetris in Aktion. Quadratformationen, die in allen möglichen Kombinationen aus einem hilflos in Spielsucht erstarrten Kopf herausfallen. King Tetris ist auf Autopilot und reagiert tranceartig auf jede Bewegung an seiner Blickperipherie. Dennoch strecken sich aus seinem Inneren zwei Arme einem möglichen Retter entgegen. Aber nur eine Gabel, die fortschreitend ihre Zinken verliert, nähert sich seinem Gesicht. Dahinter eine Mikrobe, die Durchfall erzeugt, als Bombe über dem Hospital einer Kleinstadt, die sich auf den Ausbruch einer Seuche einstellt. Die reine Zeit der Spiele gegenüber dem erzwungenen Verlauf einer Krankheit. Der im pathologischen Spielen stattfindende Austritt aus der Realzeit ist suchterzeugend. Der erzwungene Eintritt in die Realzeit eines analogen Krankheitsverlaufs niederschmetternd. In beiden Fällen macht sich eine Finsternis breit, die alles zu verschlingen droht. Die Krone der Schöpfung entledigt sich ihrer Pflichten. Ihr Kopf verschwindet zwischen den Zähnen eines Reißverschlusses." (Aus: arsenal, oktober 15).

 (1994)

 

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Zeichnung (278) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Ein Afrikaner, dessen Wangen von zwei angespitzten Holzstäben durchbohrt sind, steckt mit seinem Kopf im Plastikmodell eines übergroßen Brustkorbskeletts. Davor ein halbnackter Arbeiter in Baku, in der UDSSR der 30er Jahre, mit einem Tuch über dem Kopf beim Schaufeln von Ölschlamm. Beide in ihren Sackgassen, aber die Hervorhebung des Ersteren durch mittelalterliche Bedeutungsperspektive spricht für sich. Ein Weißer in schwarzer Haut und ein Schwarzer in weißer Haut, aus Dingen werden Menschen. Den Verdammten dieser Erde verging der Internationalismus wie von selbst, falls er ihnen nicht schon zuvor ausgetrieben worden war. Der Befreiungskampf und das Opfer wurden zur Regel, von Feuer zu Feuer. Die Gleichheit im Skelett, in dem unsere Herzen schlagen, ist gegeben und nicht zu übersehen. Verzweifelte Reinwaschungen, Putzzwänge als Überbleibsel der Völkermorde. Was durchscheint ist die sisyphusartige Organisation gesellschaftlicher Arbeit, die die Biografien ihrer Mitglieder als Abfall ausscheidet, in allen Regimen." (Aus: arsenal, november 15).

(1999)

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Zeichnung (60) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Zwei Darmabschnitte hängen als Damoklesschwerte an Stöcken über einer häuslichen Szenerie. Ich sitze mit Sheila McLaughlin auf dem Boden des grüngrauen Flurs im 4. Stock von 100 Hudson Street, NYC, zur Jahreswende 1974/75. Gezeichnet nach einer Fotokopie von David Larcher, in die sein damaliges Signet angeschnitten eingeprägt ist. Rechts und links eingefaßt wird die Momentaufnahme von zwei Modellen, die Nervenfasern in Phantomsicht darstellen sollen. Beim erzwungenen Auszug aus dem verwahrlosten Bürogebäude setzten wir die Etage mittels des an der Wand hängenden Feuerwehrschlauchs unter Wasser. Das zwölfstöckige Haus war schon zuvor heruntergekommen und wartete auf Spekulanten, die es zu einer Luxusherberge umgestalteten. Jahre später stand ich unten auf der Straße und blickte zu meiner ehemaligen Fensterfront empor. Eines der Fenster öffnete sich und jemand schrie voller Hohn It’s nice up here zu mir herunter. Keine Ahnung, wieviel Schaden das Gebäude dann später beim Einsturz des World Trade Centers genommen hat." (Aus: arsenal, dezember 15)

(1997)

 

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Zeichnung (192) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Selbstportrait mit langen Haaren, Neapel 1971. Die Wüste ohne Adverbien der Zeit und des Ortes, eine schwere Depression zersetzt eine toskanische Landschaft. Blitzeinschlag in einen der mittelalterlichen Wehrtürme von San Gimignano. Ein Stein in der Form des Oktaeders aus Albrecht Dürers Melencolia I löst sich von einer Dachbrüstung und fällt mir auf den Kopf. Auch Dürer muß diesen Zustand gekannt haben. Die Sonne hinterläßt uns als Gemüse. Das ist der Nutzen im Laufe der Zeit. Man denke an den Ballonflug über die ägyptischen Pyramiden, zu dem Michael Jackson seine Göttinnen Jackie Onassis, Diana Ross und Elizabeth Taylor einlud, um die Schöpfung westlicher Prägung zu krönen. Wer jeden Ort dieser Welt gesehen hat, muß sich auf die Landschaft seiner Träume verlassen. Um dann daran zu verzweifeln, daß sich Träume nicht auf Wunsch bruchlos fortsetzen lassen. Ihre Logik ist eine andere, sie läßt die Synapsen immer wieder neu kombinieren. Dann hilft nur noch Milk, das milchig-weiße Propofol, um dem Alb zu entrinnen." (Aus: arsenal, januar 16).

(2007)

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Zeichnung (245) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Eine Möwe auf dem Kopf einer Bronzestatue von Winston S. Churchill. Dahinter die Trümmer der in der Nacht vom 28. zum 29. März 1942 nach einem Bombentreffer zerschellten Glocken der Lübecker Marienkirche. Am oberen Bildrand drei Himmelsleitern, die nicht den Boden berühren. Der herabstürzende Oktaeder aus Albrecht Dürers Melencolia I läßt die Backsteinpflasterung des Bodens aufbrechen. Darunter tut sich eine weiße Leere auf. Daß wir die erste Generation waren, zu deren Aufwachsen synchron ganze Städte wieder aufgebaut wurden, war uns als Kinder nicht bewußt. Inzwischen schaudert es mich, daß wir es als normal empfanden, zwischen Ruinen aufzuwachsen, so wie es auch jetzt weltweit Zehntausende von Kindern tun. Auch lebten dort Menschen, vor denen man uns warnte, die uns aber nichts taten. Displaced Persons waren wir selbst. Die kindliche Ignoranz und die Selbstverständlichkeit, mit der wir Ruinenfelder als Spielplatz benutzten, macht dazu Hoffnung. Abgesehen davon, daß die Traumata unabweislich später einsetzten." (Aus: arsenal, februar 16).

(2007)

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Zeichnung (515) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Das Fischungeheuer aus dem Park von Bomarzo mit einem positiven wie negativen Teppichmuster in seinem aufgerissenen Maul. Der dazugehörige Teppich hing einmal im Victoria and Albert Museum in London. Ich habe ihn dort so oft wie möglich aufgesucht. Sieben Lachse springen auf dem Weg zu ihren Laichgründen einen Flußlauf hinauf, als Osmoregulierer aus dem Salzwasser ins Süßwasser. Eine Barackenwand mit dreiteiligem Fenster und halb heruntergelassenen Sichtblenden bildet hier das aktuelle Tor zur Hölle, das sich nicht verdrängen läßt. Ein Trupp islamistischer Schwarzer Witwen bei ihren Schießübungen im Niemandsland. Menschen töten ist wie Vögel abschießen. Das gilt für alle Beteiligten. Eine gefräßige Natur, versteinerte Menschen, Visionen im Bauch von Ungeheuern. Im Auge des Monstrums spiegelt sich eine schnell dahinziehende Wolke, die von hinten von der Sonne beschienen wird. Es ist noch früh am Morgen, und die Atome sammeln sich nur langsam zu dem Entschluß, noch einmal aufzustehen, um durch das Tor zu schreiten." (Aus: arsenal, märz 16).

(1996)

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