Die Basis des Make-Up

Die Basis des Make-Up

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Zeichnung (53) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Zwei Radfahrer, deren Silhouetten Schlagschatten auf eine ebene Straße werfen, von Silke Grossmann Ende der 70er Jahre in Amsterdam fotografiert. Ihr Profil ist rechts im Anschnitt zu sehen. Sie blickt in einen von Geschichte definierten Raum von unendlicher Tiefe und Höhe, in dem 1944 während der Invasion in der Normandie britische Fallschirmspringer vom Himmel herabschwebten. Viele der Soldaten wurden im Flug abgeschossen. Auf dem Gelände des jetzigen Flughafens Schipohl gab es zu jener Zeit Kleingärten, in deren Hütten der Schweizer Kunstfreund und Hotelier Hans Obrecht und der spätere Direktor des Stedelijk Museums, Willem Sandberg, jüdische Kinder versteckt hielten. Dreißig Jahre später malte Obrecht seiner kranken, ans Bett gefesselten Frau in ihrem Schlafzimmer im Hotel Amstelrust an der Amstel 252 eine Tür an die Zimmerdecke, weil sie beim Erwachen an der Vorstellung litt, in einem Raum ohne Ausgang eingesperrt zu sein. Die Kraft des Imaginären sollte den Realismus der Angst überwinden und tat es auch." Aus: arsenal, mai 17

(1977) 

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Zeichnung (447) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Der zum Schlafsofa mutierte Kopf einer Giraffe überragt das in vier Teile zerlegte Portrait einer Frau. Nachdenklich betrachtet sie eine elektrisch betriebene Hand, die vor einer Rasierklinge ein Glas serviert. Darüber ein Stab mit zwei weiteren Plastikhänden an den Enden und ein umgekehrt auf einen Stiel aufgesetzter Besen, der ins Bild ragt. Die Frau denkt, Das alles sind Bedeutungsperspektiven, deren Sinn ich nicht erkenne, obwohl er offen vor mir liegt. In vier Teile zerlegt könnte ich vielleicht alles besser verstehen. Zuerst einmal sollte ich schlafen und keine Reue mehr empfinden. Sie döst ein und genießt einen Anfall von Schuldlosigkeit. Nach dem Aufwachen setzt sie ihre Teile wieder zusammen und beschließt, ihre Arbeit von Anderen machen zu lassen. Ein selbstfahrendes Auto läßt sie zuvorkommend die Straße überqueren. Sie bedankt sich mit einem Kopfnicken, das in eine Zentrale übertragen wird. Sind die Leute heute wieder freundlich, denkt ein Beamter. April April, ruft die Frau in die versteckte Kamera." Aus: arsenal, april 17

(1993) 

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Zeichnung (556) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Der zum Schlafsofa mutierte Kopf einer Giraffe überragt das in vier Teile zerlegte Portrait einer Frau. Nachdenklich betrachtet sie eine elektrisch betriebene Hand, die vor einer Rasierklinge ein Glas serviert. Darüber ein Stab mit zwei weiteren Plastikhänden an den Enden und ein umgekehrt auf einen Stiel aufgesetzter Besen, der ins Bild ragt. Die Frau denkt, Das alles sind Bedeutungsperspektiven, deren Sinn ich nicht erkenne, obwohl er offen vor mir liegt. In vier Teile zerlegt könnte ich vielleicht alles besser verstehen. Zuerst einmal sollte ich schlafen und keine Reue mehr empfinden. Sie döst ein und genießt einen Anfall von Schuldlosigkeit. Nach dem Aufwachen setzt sie ihre Teile wieder zusammen und beschließt, ihre Arbeit von Anderen machen zu lassen. Ein selbstfahrendes Auto läßt sie zuvorkommend die Straße überqueren. Sie bedankt sich mit einem Kopfnicken, das in eine Zentrale übertragen wird. Sind die Leute heute wieder freundlich, denkt ein Beamter. April April, ruft die Frau in die versteckte Kamera." Aus: arsenal, april 17

(1993) 

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Zeichnung (349) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Zwei Hubschrauber setzen Soldaten im ersten Golfkrieg nahe der in Brand gesetzten kuwaitischen Ölquellen ab. In den Rauchwolken schwebt ein Paar handgearbeiteter englischer Herrenschuhe zu Boden, positiv und negativ. Die Szenerie geht in einen Raum der Barnes Collection in Philadelphia über, in dem dutzende Gemälde von Pierre-Auguste Renoir in Petersburger Hängung ausgestellt waren. Nebenbei gefragt: Haben die neuerbauten Museen für Moderne Kunst in den Golfstaaten schon eröffnet oder haben sie schon wieder dichtgemacht? Sind ihre westlichen Direktoren immer noch dankbar für die Over-the-Top-Architekturen ihrer Gebäude? Und gibt es noch Künstler, die stolz darauf sind, dort ausgestellt zu werden oder sind sie alle schon tot? Allgemein verbreiteter Schrecken in der Gegenwartskunst: Der Erkenntniswert der mit Hilfe von verquer moralinen Ablaßzahlungen erworbenen Exponate verflüchtigt sich rapide. Das könnte in Relation zu ihrem Geldwert gesetzt werden, lautet das Menetekel an der Wand. Die Abrißbirne wartet schon." (Aus: arsenal, märz 17).

(1994) 

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Zeichnung (329) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Zwei Hubschrauber setzen Soldaten im ersten Golfkrieg nahe der in Brand gesetzten kuwaitischen Ölquellen ab. In den Rauchwolken schwebt ein Paar handgearbeiteter englischer Herrenschuhe zu Boden, positiv und negativ. Die Szenerie geht in einen Raum der Barnes Collection in Philadelphia über, in dem dutzende Gemälde von Pierre-Auguste Renoir in Petersburger Hängung ausgestellt waren. Nebenbei gefragt: Haben die neuerbauten Museen für Moderne Kunst in den Golfstaaten schon eröffnet oder haben sie schon wieder dichtgemacht? Sind ihre westlichen Direktoren immer noch dankbar für die Over-the-Top-Architekturen ihrer Gebäude? Und gibt es noch Künstler, die stolz darauf sind, dort ausgestellt zu werden oder sind sie alle schon tot? Allgemein verbreiteter Schrecken in der Gegenwartskunst: Der Erkenntniswert der mit Hilfe von verquer moralinen Ablaßzahlungen erworbenen Exponate verflüchtigt sich rapide. Das könnte in Relation zu ihrem Geldwert gesetzt werden, lautet das Menetekel an der Wand. Die Abrißbirne wartet schon." (Aus: arsenal, märz 17).

(1994) 

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Zeichnung (150) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Dial NERVOUS for the time. Mit angespitzten Bleistiften die Buchstabenwählscheibe eines schwarzen Telefons bedienen, obwohl der schwere Hörer noch aufliegt. Ein Blick aus dem vorderen Raum unseres Railroad-Apartments auf die nächtliche President Street in Brooklyn im Winter 1975. Von links unten ragt ein Nordlicht ins Bild, das den Telefonapparat abschirmt. Der Vermieter hatte uns einen mannshohen Kühlschrank zur Verfügung gestellt, um die Kücheneinrichtung zu vervollständigen. Vor unserer Haustür war der Schrank beim Transport zu Boden gefallen. Dabei hatte sich seine Tür weit geöffnet, und Horden von Kakerlaken entströmten seinem Inneren. Weithin sichtbar liefen sie über den Schnee und verschwanden in irgendwelchen Ritzen. Nicht nur deshalb verabscheuten uns die Nachbarn mit puertoricanischer und italienischer Abstammung. Wir wohnten direkt auf der Trennlinie zwischen ihnen, eine weitere Ethnie war nicht erwünscht. Ein anonymer Brief, der kurz darauf in unserem Briefkasten befand, begann so: 'Dear Sirs ...'". (Aus: arsenal, januar 17).

(1984) 

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Zeichnung (151) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Fortsetzung des anonymen Briefes, Brooklyn 1975: '... The people of President Street are upset of your actions. The little children SEE what's going on in that room. Either you put something to cover your windows, or you get off the block and move. We are waiting 1 week. If you don't cover your windows, you'll hear from us again but next time not so friendly. Thank you for your cooperation.' Eine gewisse Verstörung und Verunsicherung waren die Folge, und wir zogen in vorweggenommener Aktion zurück nach Manhattan. Rechts zwischen den Textzeilen des Briefes stellt eine auf dem Boden knieende Frau ein Warnschild in einem weißen Kreis auf. Auf der linken Seite ein Telefon-Doodle mit einem Frauenakt ohne Kopf, dem Portrait meiner Stirn und dem Kopf eines französischen Polizisten. Das vorsätzliche Bemühen, Häßlichkeit zu produzieren, gelang ohne große Anstrengungen und auch ohne die ideologischen Verrenkungen der albern deutsch „wild“ genannten Malerie der 80er Jahre. Tatsächlich kann ich überall Hakenkreuze erkennen." (Aus: arsenal, februar 17).

(1984) 

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Zeichnung (391) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Die Chinesische Landschaft, 1971, eine häusliche Szene, durch ein Fisheye gesehen. In memoriam an die Mode, Wasserleitungsrohre rot und blau anzustreichen, um deren „Funktionalität zu betonen“. Bude der Welt, Massenchöre, dem Ruf der Trommel folgend: Modernität. Aus den Öffnungen und Ritzen einer perfekten Küche wachsen bananenförmige Dildos – oder sind es Mondsicheln? Eine Frau putzt, kocht und spült sie ab, ein Kind hält ein Exemplar davon ratlos vor sich in der linken Hand und schaut ins Nichts. Eine Haushaltsrolle wartet auf ihren Einsatz. Auf den Holzdielen foltern Ureinwohner ihresgleichen mit Analdehnungen. Alle Gewalttätigkeiten vergangener Jahrhunderte erscheinen wie neu erdacht. Versprochen ist versprochen: Hinter den Schwarzen Löchern des Universums lauern eschatologische Paradiese. Die Menschen sollten, auch um Außerirdische nicht mit unserem Körperbau zu erschrecken, in wahhabitischer Manier nur noch verschleiert herumlaufen. Die dem Universum unterstellte Balance ist lediglich eine Momentaufnahme." (Aus: arsenal, dezember 16)

(1977) 

Titelblatt von "The Chinese Landscape", Raw MailBook Nr. 8, NYC 1979. 

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Zeichnung (299) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Die Großbaustelle einer Teilchenbeschleunigungsanlage tief unter der nordamerikanischen Wüstenerde, im Hintergrund Spuren von Protonen auf einem Bildträger. Verschmelzungsprozesse von Elementarteilchen sollen hier erforscht und ein Beweis für die Existenz von Antimaterie gefunden werden; eine unendliche Abfolge ungelesener Daten ist das Ergebnis. Ein Hohlraum der Heterosexualität mit seiner klar gegliederten Sexualsymbolik. Links am Bildrand zwei Ruderer im deutschen Weltmeisterschafts–Achter. Auf einem lupenförmigen Ruderblatt kehrt sich die Röntgenplatte mit den Protonenspuren ins Negativ. Unten rechts ein Riesenpenis aus Holz in einem Shinto-Tempel in Kyoto, Japan. Seine Eichel wird gerade von einer Angestellten oder einem Angestellten aufpoliert. Die politische Korrektheit überlieferter Kunstformen müsse dringend überprüft werden, fordert eine mental überforderte akademische Welt. Aber daß wir im Mittelalter leben, wissen wir doch. Man sollte eher Zeitkapseln versenken, mit herzlichen Grüßen an die Nachgeborenen." (Aus: arsenal, november 16).

(1994) 

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Zeichnung (21) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Woher kommst du, wohin gehst du? Die Weser bei Horstedt in Niedersachsen, auf der ein Porzellanservice auf dem Weg zur Nordsee dahingleitet. Im Sumpf hinter dem Deich auf der anderen Seite des Flusses das Haus meines Großonkels. Vorn ein Anlegeplatz mit Glocke zum Rufen des Fährmannes, der dann herübergerudert kam und uns abholte. Während der Überfahrt mußten wir eindringendes Wasser aus dem undichten Bootsrumpf schöpfen. Keiner konnte schwimmen. Ich höre noch unsere „Hallos“ in mir, wie die aus Vampyr von Dreyer. Das war auch die Stelle, an der ich meine selbstgebaute Holzkiste zu Wasser lassen wollte, um mich darin den Fluß hinunter, um Europa herum und dann im Atlantik an der afrikanischen Küste entlang bis zum Kamerun treiben zu lassen. Von dort aus würde ich dann zu Fuß in die Sahara gehen. Kamerun, so hießen auch die Dünenberge nahe unseres Hauses, die in den 50er Jahren für den Wiederaufbau von Bremen abgetragen wurden. Die Namensgebung ein weiterer Ausdruck wilhelminischen Schwachsinns, der alles durchdrang." (Aus: arsenal, oktober 16).

(1984) 

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