Zeichnung (513) aus DIE BASIS DES MAKE-UP
"Ein Hotel in Galveston, Texas 1989, das Ende der Welt. Ein Sturm fährt durch die verbrannte Landschaft von Iwo Jima. Eine Riesenwelle ist im Anmarsch auf eine Hütte auf Stelzen. Darüber ein dicht über dem Boden schleifendes, enthäutetes Gesicht, dessen Stirn in die schwarzen Orkanwolken hineinreicht. Aus dem Antlitz quellen Adern, Nervenstränge und Muskeln, an denen wilde Hunde zerren. Die Augen sind geschlossen, das Gesicht verharrt in gleichgültiger Trance. Der Wirt und die Bedienung der Melancholie ist der Mensch. Er vererbt und überträgt sie. Die Zeit als einen Stoff begreifen, der verschiedene Texturen aufweist. Sie gleitet vorbei, und sie ist sperrig. Die Verwahrlosung der Zwischenräume. Ich sah mich wochenlang zu festgesetzten Zeiten am Tag den Hund ausführen. Dazwischen eine Raserei von Zeit, die es mir unmöglich machte, mich an irgendetwas zu erinnern. Ich lebte in einem Zeitraffer. Ich habe spät begriffen, daß die Zeit ein Geschenk ist. Aber dieses Wissen konnte sich gegenüber ihrem Tun nicht behaupten." (Aus: flypaper #5, 2010).
(1997)
"Luhmühlen, 27. September 1992. Der Wirt und die Bedienung der Melancholie ist der Mensch. Er vererbt und überträgt sie. Gibt es melancholische Tiere? Wie äußert sich deren Stimmung, was denken die anderen Tiere über sie? Ist ihre natürliche Zurückgezogenheit vor dem Tode ein Luxus, den die anderen Tiere nicht ertragen? Die Zeit als einen Stoff begreifen, der verschiedene Texturen aufweist. Sie gleitet vorbei, und sie ist sperrig. Ein paar Balken im Zeitstrom – Essen, Schlafen, Arbeiten, den Hund ausführen. Die Verwahrlosung der Zwischenräume. Ich sah mich wochenlang zu drei festgesetzten Zeiten am Tag den Hund ausführen. Dazwischen existierte gar nichts mehr. Ich führte den Hund aus, und dann führte ich den Hund aus. Dazwischen eine Raserei von Zeit, die es mir unmöglich macht, mich an irgendetwas Konkretes zu erinnern. Ich lebte in einem Zeitraffer. Sonne und Mond stoben wie vom Hund verfolgte Kaninchen über den Himmel, das Flickern von Tag und Nacht schmerzte mir in den Augen. Manchmal angelten meine Hände nach einem Rettungsanker. Falls sie dabei einen Kriminalroman erfaßten, lenkte er mich keineswegs vom Zeitrausch ab, er verschlang mich vielmehr. Ich habe erst sehr spät begriffen, daß die Zeit ein Geschenk ist, aber dieses Wissen blieb gegenüber ihrem Tun nicht durchgängig. Wenn du die Zeit so vor dich hinstellst, in welchem Medium lebst du dann? Ein wie ein Fesselballon dicht über dem Boden schleifendes Gesicht, dessen Stirn in eine sich über den Horizont erstreckende Wolke hineinreicht. Das Gesicht eines vom Körper abgetrennten Kopfes, aus dessen Halsansatz Adern und Nervenstränge, Muskeln und Knochen hervorquellen, an denen wilde Hunde reißen. Sie verbinden das Gesicht mit dem Boden. Die Augenlider sind geschlossen, das Gesicht zeigt keinen Schmerz, sondern eine trancehafte Gleichgültigkeit." (Aus: Das schwarze Schamquadrat, 2002).