Die Basis des Make-Up

Die Basis des Make-Up

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Zeichnung (35) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Eine weiße und eine graue Garderobengarnitur aus einem Prospekt für Billigmöbel. Eine Gedenkfeier für den 1959 mit dem Flugzeug abgestürzten Buddy Holly auf einem Sofa in Achim, 1964. Es kommt zu einer unverzeihlichen Straftat: Ich zerschlage zu seinem Song Rave On mit einem Fang-den-Ball-Spiel eine der drei nicht ersetzbaren Glastüten der Deckenlampe im Wohnzimmer unserer Nachbarn. Verlegen spielen wir Paare, die nicht funktionieren. Der schwere Schatten eines unbegriffenen Ursprungs legt sich über die Szenerie - oder sind es die Umrisse der Reste eines von Ameisen auf der Suche nach nahrhaftem Klebstoff abgefressenen Flaschenetiketts? In Latenz und transparent über allem: Der junge Mann mit den ausufernden Brustwarzen, der sich so aufreizend das Hemd über den Kopf zieht, aus der damaligen Werbung für ein Solarium. Daß sich Zeiten nachträglich materiell ineinanderschieben lassen, in der Voraussicht aber keine Materie bieten, ist der Nährboden für extrapolierenden Sarkasmus. Die Welt lässt sich tatsächlich als Satz erkennen und begreifen." (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

(1984) 

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Zeichnung (34) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Die schwarze Garderobe. Im Closed-Circuit-TV ist das Abbild eines gerahmten Bildes an der Wand eines Zimmers am Eppendorf Marktplatz in Hamburg zu sehen, 1974, kurz vor meiner Abreise in die USA. Das Bild zeigt in Nahaufnahme ein Heftpflaster auf nackter Haut. Ein entschiedener Abgang in die Unentschiedenheit. Wer das eigene Opfer zu ernst nimmt, scheidet aus. Die drei Panoramen des Films Arrowplane - Wiese, Stadt und Strand - und ein zerschnittener Filmstreifen hängen an der Wand. Im Anschnitt zwei Leuchtkörper mit Stromkabeln. Diese Idylle wurde ergänzt durch das vom BKA veröffentliche Diagramm zum Hergang des Selbstmordes von Andreas Baader in seiner Stammheimer Zelle, das hier um eine Umdrehung seines Halses erweitert wurde. Der am Hinterkopf angesetzte Schuß bahnt sich, nachdem die Kugel von der inneren Schädeldecke, dem Kieferknochen und dem Gehörgang umgelenkt worden ist, durch die Augen der in der Hamburger Gänsemarkt-Passage mit den Füßen unter die Decke genagelten Gänse fort. Allen Verschwörungstheoretikern dieser Erde gewidmet." (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

(1984)

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Zeichnung (33) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Krude Landschaften, Abbruchkanten und das Bewußtsein, darin eingesponnen zu sein und nicht mehr daraus zu erwachen. Die Atomisierung meiner Gefühle, aus der sich kein qualitativ neues Element ergibt, hat ihre Logik. Ein Flug zu den Filmfestspielen in Edinburgh (BORO) mit dem Film Normalsatz Anfang der 80er Jahre. Ich hatte schon einmal 1965 auf dem Felsen, von dem sich dort traditionell die verzweifelt Verliebten stürzen, gesessen und einen Personenzug bei seiner Einfahrt in einen Tunnel unter einem Friedhof beobachtet. Ganz anders als bei Hitchcock. Bevor sich die Welt in Zucker, Fett und Kohlehydrate aufspaltete, wie hier an einem Schokoriegel exemplifiziert. Ich dachte an David Larchers Fahrt in eine Autofalle auf Martinique und das Emblem seines Lastwagens als Stempelabdruck. In der Projektion zerriß die Filmkopie dann genau in der Szene, in der meine Super-8-Kamera umkippte. Ich rutschte von der Bank, schlug mit dem Gesicht voran zu Boden und krieche seitdem in Spurenelementen herum." (Aus: The End, Disko 22, 2011).

(1983) 

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Zeichnung (29) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"(Possible) Material, mögliches Material. Die Windungen der Weser zwischen der Horstedter Fähre und der Brücke bei Uesen südlich von Bremen. Ein Duschkopf, aus dem Sand rieselt, kreuzt sich mit einem Förderband für Sand. Titel der Rollbilder im Hintergrund: Sandberge und Fensterfluchten. Im benachbarten Dorf Bierden gab es Dünen, deren Sand nach dem II. Weltkrieg beim Wiederaufbau von Bremen in den Hochhäusern der Wohnsiedlung Neue Vahr verbaut wurde. Ein auf der Flucht in die Freistadt Bremen im Sand bei Achim von Kopfgeldjägern gestellter Leibeigener wollte sagen: 'Ach, im Sande muß ich sterben', kam aber nur bis 'Ach, im', bevor er geköpft wurde. Daher der Name. Und die Vorliebe für halbe Sätze. Der Überseedampfer Bremen aus einer Kinderzeichnung mit einer Haifischflosse vor Manhattan. Wochenlanger Streit mit meiner Schwester, die behauptete, es gäbe keine Haifische vor der amerikanischen Küste. Ich konnte die Abbildung, die mir als Beweis dienen sollte, im Bertelsmann Volkslexikon von 1956 nicht wiederfinden." (Aus: flypaper #5, 2010).

(1983) 

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Zeichnung (27) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Text under construction"

Achim, 1957. Es regnet Geschirr zwischen Haus- und Fährglockenschaufeln auf einem Sportplatz. Ein Urahn betätigt sich als Hochspringer. Ein anderer vergräbt sein Gesicht in einem Teller. 

(1982) 

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Zeichnung (20) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Hamburg, 1981. Rechts unten der Geschäftsmann auf der Erbse aus Nr. 14 hinter der aufgeklappten und verbogenen Kühlerhaube eines Cabriolets. "dead Fessel of Wegelagerer, deutsch": eine Schriftzeile des Hasardeurs und singenden Afrikaforschers Kiev Stingl, dessen profunder Song einsam WEISS boys gerade erschienen war. Übers Blatt verstreut drei Teile eines schwarzen Taucheranzuges, von denen das Kopfteil aus einem parallelogrammförmigen Äther hervorragt. In der Mitte ein Glatzkopf mit Käppi, eingezwängt in einem durch Latten markierten, viereckigen Raum. Seine Kopfbedeckung ziert eine Antenne, die in den Äther ragt und an der auf Augenhöhe des Trägers das 360-Grad-Landschaftspanorama des ersten Schenec-Tady-Filmes aufgehängt ist. Links unten die Skizze eines Automaten zur Ausführung von Prügelstrafen - ein Zitat aus der Bild-Zeitung: Der Delinquent muß eine Lochkarte mit dem Strafmaß in den Apparat schieben, sich dann vorbeugen und die Stockschläge durch Betätigung eines Knopfes selbst auslösen. Seine Täterschaft wird protokolliert." (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

(1984) 

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Zeichnung (18) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Hamburg, 1978. Beim Gerede von Heimat ist darauf zu achten, dass ein jeder den Kapitalismus als die seine anerkennen möge, denn eine andere gibt es nicht. Wir sind frei im Sinne von begrenzt verwertbar, den Partikularinteressen unseres Wirtschaftsgesetzes ausgeliefert. Dieser Realität ein transzendental umfassendes Seinsprogramm entgegensetzen zu wollen, artet nur in völkischen Schwachsinn aus. Da sterbe ich lieber als Ware, die keinen Markt gefunden hat. Alles andere ist zu persönlich, nicht intelligent genug und deshalb verbrecherisch. Fürsprecher dieses Systems aber sollten den Mund halten, denn es ist per se menschenleer. Die Skyline von Achim in den 50er Jahren, bei Tag und bei Nacht und seitenverkehrt auf den Kopf gestellt. Tatsachen, die für sich sprechen: Die Zinkwanne im Garten, in der einmal pro Woche gebadet wurde, eine zwei Zentimeter große Ziermuschel auf der Kommode, der blühende Zweig unseres Kirschbaums, das Namensschild meines Schulheftes, eine Aktenlitze und der angedrohte Abwurf einer Atombombe." (Aus: The End, Disko 22, 2011).

(1978)
 

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Zeichnung (14) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"In Hamburg, 1975, als es noch "Leitmedien" gab.  Manchmal kam es vor, daß sich am Eingang zur Tiefgarage des Spiegel-Hauses an der Hamburger Brandstwiete eine Frau mit einem Umschlag in der Hand postierte, den sie wie ein Schild vor sich hielt und auf dem geschrieben stand: "Für Rudolf Augstein persönlich".  Der Wachtturm? Die Mutter von Julian Assange? Als würde das einen Unterschied machen. Dazu ein Traum, geträumt in der benachbarten Kleinen Reichenstraße: R = Es beginnt zu regnen. Drei Radfahrer schweben auf einem Ring aus Stahl an einem Fallschirm ins Meer. Ein fahrerloser PKW rast die Küstenstraße entlang. Vor seiner Windschutzscheibe ist ein schwarzes Tuch aufgespannt, in das von allen Seiten her Blitze einschlagen. Auf seinem Rücksitz sitzt ein Geschäftsmann auf einer Erbse. Nebenan im Afrikahaus druckt Hermann Gremliza in konkret die von mir in Kalifornien übersetzten, wirren Schriften von Charles Manson ab. Um ganz sicher zu gehen, lässt er dazu den DKP-Frischling Martin Walser eine bewahrpädagogische Einführung schreiben." (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

( 1975)

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Zeichnung (11) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Johnson City im Staat New York an der Grenze zu Pennsylvania, August 1975. Mein Einzug in das obere linke Apartment eines Hauses für vier Parteien an der Sherman Street. Die Öffnungen der vorgesetzten Veranden sind mit dunklen Drahtgittern bespannt und verheißen nichts Gutes. Ein Moskitonetz aus NYC wird herabgelassen und eingeholt. Wir rauchen Gras und hören The Soulful Sound von Jimmy Reed. Ich trage eine schwarze Zimmermannshose aus einer Schneiderei in Hamburg-Veddel und ein zweireihiges, graues Jackett aus der Altkleidersammlung des Roten Kreuzes. Ich kann mich kaum noch bewegen, schwebe aber langsam an der vorderen Fassade des Hauses empor. Eine Leinwand bewegt sich im Wind. Im Schweben verändert sich meine Position um 90 Grad. Auf der Höhe des Daches angelangt blicke ich über das Haus hinaus auf die Skyline der Triple Cities: Die Gebäude der Schuhfabrik von George F. Johnson, der der Stadt seinen Namen gab, werden sichtbar; dahinter die der IBM-Mutterfabrik in der Nachbarstadt Endicott und die sanften Hügel von Binghamton." (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

 (1976)

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