Die Basis des Make-Up

John Erdman und Claus-Wilhelm KlinkerDie Basis des Make-Up

Belgien, am 9. Oktober 1979. Ein Koch (Bernd Broaderup) bohrt ein Loch in die Tür zur camera obscura seines Chefs (John Erdman), einem persisch-amerikanischen Teppichhändler. Dieser haust mit zwei befreundeten Frauen (Carola Regnier, Silke Grossmann) und einem selbstverliebten Trinker (Kiev Stingl) neben den hellen Räumen seiner Bediensteten (Eckhard Rhode, Claus-Wilhelm Klinker) in einer düsteren Teppichhöhle. Auf dem schmalen Grat zwischen beruflichem und privatem Dasein, Abhängigkeiten und Machtausübung, versucht jeder, seinen Deal mit der Liebe über Wasser zu halten.

Abb.:  John Erdman und Claus-Wilhelm Klinker

Offener Voyeurismus beherrscht die Szenerie. Wo immer es geht, spießen sich die Menschen gegenseitig an ihren Gefühlen auf und treiben sich die Keile der Liebe ins Fleisch, A will ausschließlich B, doch B liebt nur C, und C kann nur mit A, romantische Liebe wird zur masochistischen Institution, ihre Darstellung zur Komödie. Der Teppichhändler, am Ende angekommen, verkündet: "Das einzige, was dem Laien wirklich bleibt, sind Ratlosigkeit und schlechte Zähne."

Bernd Broaderup und Claus-Wilhelm KlinkerBRD 1979-84
16 mm, s/w und Farbe
84 Minuten (24 B/Sek.)

DIE BASIS DES MAKE-UP bildet zusammen mit den Filmen NORMALSATZ (1978-81) und DIE WIESE DER SACHEN (1974-87) die Trilogie der Siebziger Jahre.

Regie, Kamera, Schnitt: Heinz Emigholz
Buch: Heinz Emigholz ("Friendly Nash" von Marcia Bronstein, "Majakowskijs Sonne über Land getragen" von Eckhard Rhode, Anfang von "Cock-A-Doodle-Doo" von Herman Melville)
Licht: Axel Schäffler
Ton: Alfred Olbrisch
Musik: Kulturhaus-Orchester Bukarest
Mischung: Richard Borowski

Darsteller:
John Erdman, Bernd Broaderup, Eckhard Rhode, Claus-Wilhelm Klinker, Carola Regnier, Kiev Stingl, Silke Grossmann, Hannes Hatje, Sheila McLaughlin, Klaus Dufke, Marcia Bronstein, Heinz Emigholz, Gary Schneider

Kiev StinglProduziert von Pym Films für das ZDF mit Hilfe von Marion Kollbach, Hermann Stölten, John Erdman, Alfred Olbrisch, Eckhard Rhode, Bernd Schultheiß, Klaus Dufke, Silke Grossmann, Elfi Mikesch, Rüdiger Neumann, Elke Granke, Renate Merck, Michael Esser, Sandra Nettelbeck, Christoph Holch, Cinegrafik, Atlantik Film, Normalsatz, The Basis of Make-Up und Die Republik

Drehorte: Hamburg, Manhattan
Drehzeit: Oktober 1974 bis November 1984
Filmverleih: Freunde der Deutschen Kinemathek, Metropolis Filmarchiv, Hamburg (englische Fassung)
Videovertrieb: Filmgalerie 451

Uraufführung: Metropolis, Hamburg, 30. März 1985
TV-Erstausstrahlung: ZDF, 17. April 1985
Festival-Premiere: Berlinale, Panorama, 16. Februar 1986

Heinz Emigholz DIE BASIS DES MAKE-UP, der Text des Films


Claus-Wilhelm KlinkerKritiken

„Den anderen zu beherrschen, ohne daß er es merkt. Den anderen töten, indem man ihn liebt. Das sind Geschichten, die vor Emigholz’ magischer Kamera in Muster aufgelöst werden, in Muster wie ‘sich verweigern’, ‘sich streiten’, ‘einander die Wahrheit sagen’. Alle diese Satz-Bild-Muster, diese Dreiecke, Quadrate, Kreise, Mäander ergeben den Teppich seines Films. Das Muster ist die Handlung, es erzeugt die Spannung.“
Benedikt Erenz, DIE ZEIT, 16/1985

„Daß dabei einem, der als Goy bezeichnet wird, der Kopf in die Backröhre gestopft wird, erinnert mich nur an die arme Sylvia Plath, die sich so das Leben nahm. Aber Problematik von Frauen ist an der Basis des Make-Up wohl kaum gefragt.“
Anne Rose Katz, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 20. April 1985

Eckhard Rhode „Und das Kulturhaus-Orchester Bukarest spielt dazu; ‘Maso-Hymnen’ hat Emigholz diese weinerlichen bis aggressiver Aufnahmen aus dem Jahr 1949 genannt.“
DER SPIEGEL, 16/1985

„Nicht nur die Videos werden gehortet, sondern auch Bücher, Zeitschriften, Magazine: das Stoff- und Story-Archiv eines Amateur-Hollywood. Und in einer Szene sieht man, wie sich zwei Männer gegenseitig die Schnauzbärte abrasieren. Die ‘Spiegel’ Video und Film werden nachgeahmt. Kindlich-erotisch spielt ‘Natur’ das Künstliche. Der Spiegelmensch der Romantik. Schlemihl hat seinen Schatten wieder.“
Ulrich Kurowski, EPD FILM, 10/90


Carola Regnier, Kiev Stingl und John Erdman Frieda Grafe

Der Eisschrank als Hausorgan

Das einzige offizielle Forum, das seine Filme in Deutschland hatten, war in Berlin bei den Filmfestspielen. Sein zuletzt fertiggestellter Film DIE BASIS DES MAKE-UP wurde in diesem Jahr abgelehnt. Das ist ein Symptom und auch ein Witz. Heinz Emigholz würde die Bezeichnung Faktum sicher vorziehen und warnen vor den Fallstricken von Interpretation, die von versteckter Bedeutung und tieferem Sinn lebt. Bei ihm liegt alles offen. Die Bedeutung zuallererst. Die Vorkommnisse in seinen Filmen vollziehen sich simultan. Wie Dinge sich im Kopf ereignen. In seinen Zeichnungen, die 1984 in der Zeitschrift REPUBLIK erschienen, ist jeder Strich Bedeutung und jeder Punkt sagt etwas. Sie gleichen einer umgeleiteten Schrift. Ihre Linearität betont weniger das Wesen von Zeichnung generell, als daß sie an Ideen und Überlegungen von van de Velde denken lassen: wie die Linie Negativ- und Positivräume schafft.
Der in Berlin abgelehnte Film liegt nach Emigholz’ Vorstellung vor NORMALSATZ und nach THE BASIS OF MAKE-UP, die beide in früheren Jahren in Berlin gezeigt wurden. Ihnen wird noch ein weiteres Stück, DIE WIESE DER SACHEN, folgen.

John Erdman und Claus-Wilhelm Klinker Daß seine Arbeit die verdiente Anerkennung finde - dem steht wahrscheinlich sein multimediales, interdisziplinäres, synästhetisches Engagement entgegen. Er zeichnet nicht nur, er hat, für einen Experimentalfilmer selten, ein ungewöhnliches Ohr für Sprache, eine gesteigerte Aufmerksamkeit für Normalsätze der Kommunikation und deren Mutationen, die die poetische Sprache vollbringt.
Emigholz übersetzte den Mallarmé-Text „Der Dämon der Analogie“ in Film und verlängerte mit seinen Mitteln die Intentionen des Dichters, ein unhierarchisches Verhältnis zwischen Wörtern und Bildern herzustellen, ein bildliches Denken, in dem die Abhängigkeit der Bilder von der Sprache in Gleichberechtigung umgeformt wird. Für Mallarmé, für die Symbolisten waren die Objekte - und die Sprache sahen sie auch als Objekt - nicht in erster Linie dazu da, Sinn zu machen. Sie entdeckten, daß sie in grundsätzlicheren Verhältnissen zueinander stehen, daß eigene Zusammenhänge zwischen ihnen sich generieren, die ihnen eine eigene Lebendigkeit geben.
Emigholz’ neuester Film hat mehr vom Erzählfilm als alle früheren, weil er sich mit dessen Elementen auseinandersetzt, mit Story, mit Schauspielern, was heißt, mit Dar-stellung. You mean, you make them up, fragte Warhol erstaunt einen Romancier, der ihm von Figuren und Geschichten in dem Buch erzählte, das er gerade schrieb. DIE BASIS DES MAKE-UP hat eine Hauptfigur, einen sadomasochistischen Teppichhändler, der einem Haushalt aus Freunden und Bediensteten vorsteht. Die Herrschaft hat eine perverse Art, sich ernähren zu lassen, widernatürlicher als alles, was an Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Hausgemeinschaft sich tut, die ein Muster an Unproduktivität sind, weil A B liebt, B C und C A. Die Dreiecksgeschichte wird zum Ringelreihen.
Der Teppichhändler intoniert seine Texte stark amerikanisch, wodurch die Wörter eine Eigenmächtigkeit bekommen und die kausale Sinngebung der Sätze zusammenbricht. Mal redet er für sich, mal als Erzähler, mal als Figur, in seiner Hand laufen verschiedene Erzählfäden zusammen. Das charakterisiert ihn mehr als sein Beruf. Der imprägniert eigentlich mehr den Erzählraum. Er weckt Assoziationen zu "Tausendundeiner Nacht", und mit dem Orientalischen kommt, wenn man Roland Barthes fragen mag, sofort ein Air von Homosexualität ins Spiel, von "türkischen Liebschaften".
In den siebziger Jahren wurde in Frankreich der Textbegriff entwickelt, der die alte Werk-Vorstellung ablöste, gleichzeitig den Autor als Eigentümer in Frage stellte und den Leser als Co-Produzenten einführte. Was gibt es textähnlicheres als einen Teppich, und ihn fliegen zu lassen hat das Kino keine Mühe. Bei Emigholz geschieht es ohne Tricks. Er macht Bilder, in denen nicht die Schwerkraft herrscht, die, im Kino üblich, jedes Bild nach einer imaginären realistischen Horizontalen ausrichtet und den als einzig normal empfundenen, zurechtgestutzten Raum entstehen läßt, der nur eine Projektion von Normierung ist.
Bei Emigholz wirkt auch das Mechanische als vegetative Kraft. Er betreibt eine Umwertung der Werte künstlich/natürlich, normal/pervers. Konventionen vor allem sind widernatürlich.
Filme wie die von Emigholz, die Theorie und Praxis miteinander verknüpfen, die deshalb experimentell genannt werden - eine Bezeichnung, gegen die, auf Kunst bezogen, Gertrude Stein schon protestierte, weil sie die falsche Vorstellung von etwas Provisorischem weckt -, solche Filme haben bei uns keinen Platz mehr, seit die unabhängigen Kooperativen eingegangen sind. Den Schaden tragen die Zuschauer, denen weisgemacht wird, daß Film ausschließlich erzählt, ob dokumentar oder fiktiv macht keinen Unterschied. Mangels Anschauung fehlen ihnen die Kriterien, um Filme von innen zu sehen und an ihnen zu partizipieren.

(aus: SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 23. März 1985)


Claus-Wilhelm Klinker, Klaus Dufke und Bernd Broaderup D. Holland-Moritz

Die Ohren sehen mehr als die Augen hören

Eine Verdichtungsgrammatik

Ein beherrscht linksdrehendes Senkblei, ich, der Aushilfskellner, gewohnt, Tauschgeschäfte mit ständig rechtsdrehenden Spindeln auf einer polierten Mahagonifläche zu tätigen, einem abgegrenzten Verhandlungsraum, wurde ziemlich aus der Fassung gebracht, als mich Heinz Emigholz eines Abends, selbstversunken vor seinem Glas Rotwein sitzend, unvermittelt fragte: „Bist du eigentlich sentimental?“ In dieser Situation konnte meine einzige Antwort nur aus einem perplexen „Jaaa schon“ bestehen und schnell fiel mir noch ein, daß ein gewisser Pessimismus, was die Handicaps unserer Sprachwelt anbelangt, auch zu meinen Zügen zählt. Die Emigholzsche Frage wurde für mich noch in der selben Nacht zu einem substantiellen Phänomen, nahm „die Erscheinung eines äußeren Objektes an, an das man sich erinnern kann“, eine Formulierung, die Heinz Emigholz in seinem Buch KRIEG DER AUGEN, KREUZ DER SINNE treffend zu Tage fördert. Und während sich seine abendliche Frage, beinahe plastisch geworden, wie ein Kreisel unter der Decke meines Schlafzimmers drehte, dachte ich noch, daß wir, die durch die vielen Zeichen- und Sprachstrategien Instrumentalisierten, die Rädchen im Ge-triebe, vielleicht ganz gut daran täten, uns nach einer neuen, komplexen, organischen Praxis des kommunikativen Austauschs umzuschauen.

Eckhard Rhode und Claus-Wilhelm Klinker Einem eben solchen, sich drehenden Kreisel nicht unähnlich, bildet eine rotierende Kamera in ARROWPLANE (1974), einem 16mm-Stummfilm aus dem Emigholzschen Frühwerk, den ich erst kürzlich noch einmal im Kino sehen konnte, das Zentrum und die Nabe einer absichtlich begrenzten Weltsicht. Die drei Landschaftsbilder, die sich hier um einen Mittelpunkt drehen, schnell und immer schneller, lassen trotz der enormen Fliehkraft nicht über ihren Horizont hinaussehen. Die Achsdrehung bewirkt sonderbarerweise eine Bindung, in der die Ansätze einer Theorie der Darstellungsformen konkret werden, die „das Drama als Zustand im Bild erzeugen“ (KRIEG DER AUGEN, KREUZ DER SINNE) will.
Ein in solchem Sinne „dramatischer“ Zustand wird in der O-Ton-Frühstücksszene von HOTEL (1976) durch die schnelle Verschachtelung zweier Sequenzen erzeugt. Dieses sehr eigendynamische Fold-in führte dazu, daß ich diese ebenso einfache wie effektive und hypnotische Schnittechnik als eine Art Buschtrommel assoziierte, eine archetypische Form der Nachrichtenübermittlung, während inhaltlich das cerealienlöffelnde und toastbutternde Paar am Frühstückstisch schweigsam bleibt. Eigentlich geht es hier um die Wirklichkeit des Films als Zeitkonstrukt, ausgedrückt auch durch die schlichtweg geschehenden, im Straßenverkehr hin- und her ruckenden Autos vor dem Hotelfenster, und der Film exponiert sich selbst, schafft sich seinen eigenen Zugang zur Welt und sein Sprachrohr durch die Schnittechnik: Hier bin ich. Lassen Sie mich kurz in Dialog mit meinem Erinnerungsspeicher treten: In der sogenannten New Wave der Science Fiction gab es seinerzeit Autoren wie J. G. Ballard, Norman Spinrad, Michael Moorcock und andere, die nicht unähnliche Techniken auf die spekulative Literatur verwendeten.
Es ist ja auch wirklich vertrackt mit den Analogien, ich bin ja selbst, fünfundvierzigjährig, schon ein Museum, armstümpfige Torsen wurden längst in Nischen verbracht, aber keinesfalls kann es uns um die anthropomorphe Vortäu-schung von Harmonien gehen, und es paßt in einen genuinen Kontext, daß Heinz Emigholz seiner ersten Literaturverfilmung Stéphane Mallarmés Poem „Le Démon de l’Analogie“ zugrunde legte. Drastisch setzt sich DEMON (1977) von den üblichen Vorgehensweisen ab, die den Schauenden trügerischen Gleichklängen zuführen wollen, und geradezu frappierend erinnert mich die Arbeit an Galerien, in denen die Besucher selbst als belanglose Exponate herumstehen. Eine Textperformance, in der es offensichtlich um das Nichtübersetzbare geht, schafft hier innerhalb des Kunstwerks absichtsvoll einen minimalisierten Konsens, indem sie Wortkontaminationen verschiedener Sprachen in einem alternierenden Nebeneinander existieren läßt. Ganz augenfällig befinden wir uns noch in kommunikativem Brachland, das hier buchstäblich arrangiert und ausgestellt wird.
Ähnlich dem menschlichen Wortgenerator, der aktentaschentragend, leichtbehemdet und mit dunklen Augengläsern, in den Seitenstraßen von Brooklyn mit einem essayistischen Monolog seine Sprachlandschaft erwandert - in der Mathematik nennt man das dann einen Markov-Prozeß mit endlichen Zuständen - reproduzierten Monotype-Normalsetzmaschinen in den Buchdruckereien vergangener Zeiten beständig unsere paranoische Welt. Dergleichen assoziierend, überlegte ich, ob Heinz Emigholz’ Folgefilm NORMALSATZ (1981) uns, den in einer Sehschule Befindlichen, nicht einen Bausatz und die Apparate zur Verfügung stellen könnte, neue Perspektiven auf eine Welt zu erschließen, die weiterhin mit 30 km/sec um die Sonne rast. „War das eine Katze? - Nein, ein Stuhl.“ Es scheint, als ob in einem Wohnbüro, einer Art Schaltzentrale, in der alle Fäden zusammenlaufen, permanent Lexikoneinheiten abgerufen würden, wenn einer ins Küchenregal spricht, die andere aus der Zeitung liest, Fenster putzt oder ein Textgefüge, dessen Rezitation durch fünf Personen knapp über die Vortragsweise von DEMON hinausgeht, in einen möblierten Raum gestellt wird. „Ich habe den Abend interpretiert.“ Das ein privates Kontinuum generierende Abwandern der Bürgersteige von Brooklyn in der für mich zentralen s/w-Sequenz des Films will mir, ich komm nicht davon los, noch nomadistisches Erörtern bedeuten, und insgesamt den Versuch, sich festzumachen, sich zu verorten in einer unaufrichtigen, künstlich harmonisierten Welt.
Die Handhabbarkeit der Monitore im Schneideraum der Videoproduktionsfirma einer Freundin, die dortige Konfrontation mit den Mischpulten vermittelte mir, als ich mir dort neulich DIE BASIS DES MAKE-UP (1985) ansah, den Eindruck eines Testdurchlaufs, die ungeschminkte Generalprobe einer Aufführung, die innerhalb des Emigholzschen Modells einer Verdichtungsgrammatik stattfindet. Hat uns NORMALSATZ hierfür die Grundlage zur Verfügung gestellt, wird das Funktionieren dieser Apparate nun in einem voyeuristischen Kontext, einem durch ein Spundloch perforierten Erzählraum, erprobt. Auch dieser szenische Essay, auf dessen Hintergrund die Liebe schwelt, ist durchsetzt von einem mehr oder weniger kontinuierlichen, auch diktierten Gedankenstrom, der so manches Mal den Charakter von Merksprüchen und Selbstgesprächen aufweist. Traditionelle Dialogformen, „Hi, Toni, hi, Dominique, hi, Bert“, bleiben innerhalb von zwei, drei Sätzen stecken oder beschränken sich auf ein nur kurz angetipptes Frage- und Antwortspiel. Je länger man sich mit den Emigholzschen Filmen beschäftigt, umso mehr tritt man, sich anverwandelnd, in Dialog mit der Emigholzschen Welt, und man muß feststellen, daß das Alphabet des Films tatsächlich einen Reim enthält: „Die Ohren sehen mehr, als die Augen hören.“
Auch in DIE WIESE DER SACHEN (1987) gehen die kargen szenischen Dialogansätze über ein hingeworfenes Sich-selbst-Bezeichnen nicht hinaus, wie auch der sonderbar starre Auftritt der Tödlichen Doris als Dealer nur eigensinnigen Vorzeigecharakter hat. Das Leitwort dieser Gruppe „Don’t call us, we call you“ mußte mir nach all diesen Vorläufen inzwischen als heuristisches Prinzip gelten, und unter solchen Voraussetzungen bestätigt sich der Film implizit als ein sich von innen heraus regierendes, sprachkompetentes Kunstwerk und Medium. Gebundene Notizbücher, von denen man mutmaßen könnte, daß in ihnen auch die Auseinandersetzung des Protagonisten mit seinem Ich-Gebäude stattgefunden hat, werden mit verlorener Geste der Elbe überantwortet, als wenn sich hier jemand eines ständigen Begleiters entledigen würde. Ein innerer Monolog, geführt durch ein sich selbst überlassenes Telefon, verläuft scheinbar im Leeren, ach, hör doch auf, und eine gestaltlose Stimme, die auch gerne einen Körper gehabt hätte, ent-äußert sich vermittels Aphorismen ihres Weltekels. Erhebt sich die Frage: Sind wir nicht alle auswechselbare Figuren in einer dieser Scharaden, Silbenrätsel für uns selbst, die uns in den Zwei-bis-drei-Ichs dieses Films entgegentreten? Die Erahnung eines endlichen, wenn auch einsamen Körpers gewährt uns Heinz Emigholz gegen Ende des Films in einer mit Musik unterlegten Dark-Room-Sequenz, die für mich starken Installationscharakter trägt, und in der auch Teile seines graphischen Werks die Szenerie übergreifen.
Noch mehr als die anderen Filme von Heinz Emigholz erscheint mir DER ZYNISCHE KÖRPER (1990) als „ein Buch zum Lesen“, und ich entnehme dieses Zitat einem Daliah Lavi-Schlager, dessen Titelzeile für mich zum Merkmal einer zu diesem Zeitpunkt nicht ganz so überraschenden inhaltlichen Dramaturgie wurde: Dieser Film führt Dialoge. Neben dem essayistischen Monologisieren, das uns aus den Vorläufern dieses ‘Bauwerks’, so möchte ich den Film wohl nennen, schon bekannt ist, dort aber nachhaltig zu einem Ich-Kommentar aus dem Off minimiert wird, kommt es tatsächlich zu einem sehr gespielten und sehr künstlerisch gehaltenen verbalen Austausch zwischen den handelnden Personen. Die sich im gesamten Emigholzschen Werk mehr und mehr verdichtende Verkörperlichung, die zu diesem Zeitpunkt den Eindruck macht, als sei sie fürs erste abgeschlossen, und die auch konkretere Einbindungen in eine Gemeinschaft, hier: eine Gruppe befreundeter Künstler, und mithin Kommunikation erforderlich macht, findet ihre Konsolidierung in der Auseinandersetzung mit bzw. der Vereinnahmung von expressiven Räumen und einer Stilisierung im Dialog: „Er hatte hübsche Gene.“ Nur im letzten Drittel des Films, in dem Menschen in organisch komplexen Landschaften und Gebäuden ausgestellt werden und das eine Sterbeszene inklusive der Abnahme einer Totenmaske beinhaltet, gehen weite Passagen nahezu wortlos vonstatten: Ihre Bildsprache fließt durch einen hindurch.
Bei einer paradigmatischen Untersuchung der vier Haupttitel des Emigholzschen Filmwerks, nämlich
Normalsatz ................................... Bauplan
Die Basis des Make-Up ............... Fundament
Die Wiese der Sachen .................. Richtfest
Der Zynische Körper ................... Bauwerk,
verknotete ich auf einer großzügig angelegten assoziativen Ebene eine erste Innenarchitektur des Privaten mit einem fundamentalen Catch-as-catch-can der Seele, bis sich auf einer so gewonnenen Grundlage in einem Identitätspuzzle die historisierende Verquickung des Menschen mit seiner Umgebung, sprich: Clonetown, abzeichnete. Vorläufiger Kulminationspunkt dieser Art von Verdichtungsgrammatik ist die Ausstellung des tätigen, denkenden, phantasierenden, sterbenden Menschen im Raum. Dialogisches in Bezug auf das konventionelle Kommunikationsmodell meint bei Heinz Emigholz immer ein Direktes, Exponiertes und ein suggestive Analogien Verhinderndes. Dissonante Sprach-bilder und Bildersprache führen zu einer Mehrwertigkeit, die sich dem Organischen öffnet. Zu ihrer Komplexität zählt auch die immerwährende Verflechtung mit seinen anderen Werksparten. Ich, der Knotenpunkt, sehe die Filme von Heinz Emigholz inzwischen als willkommene Bitmaps, die einen Kurzschluß des Virus über die Netzhaut der Augen mit meinem Betriebssystem n i c h t zulassen. Denn bei allem, was uns im Hinblick auf das Organische wünschenswert erscheint, Systemabstürze sind nicht gefragt, und: "Ich will kein Gemüse werden".