Zeichnung (469) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Eine gerahmte schwarze Träne, ein hölzerner Stempel, ein Füllfederhalter, zwei Fingerabdrücke und der Titel Der Füller - in Pinselschrift ausgeführt, überblendet mit einer Frauenhand, die den Rand der Auslegeware streichelt, unter die sie alles gekehrt hat. Dazu in Detailaufnahme der Querschnitt des Bodenbelags. Zwischen diesen Tatsachen drei Absätze eines 1974 in den USA geschriebenen, aber nicht vollständig gelöschten Textes. Tabula rasa ist etwas für Teenager oder "alte" Mädchen beiderlei Geschlechts. Ein Traum lässt sich nicht fortsetzen. So ursprünglich, einzigartig und unwiederbringlich sind seine Elemente in ihrer Kombinatorik, dass sie sich nicht wiederholen oder zu einer kompatiblen Schnittstelle fügen lassen. Vielmehr ist ein Traum der Bodensatz und das Gegenteil einer Wiederholung, auch wenn er meint, sich in sich selbst wiedererkennen zu können. Er bleibt eine einmalige Vorstellung in einem leeren Theatersaal, in der es um einen verwunschenen Protagonisten geht, der sich selbst beim Schlafen zusieht." (Aus: arsenal, januar 13).

(1984) 

Zeichnung (470) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Text under construction"

Ein Graubrot auf zwei Neonröhrenstelen. Der überzüchtete Arm und die Brust eines Bodybuilders. Ein elektrisches Heizkissen. Ein Pyramiden–Kostüm. E = Elvis Presley. "I am the kitchen" verstand ich in einem seiner Songs, statt "Hide in the kitchen".

(1983) 

Zeichnung (471) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Der einbalsamiert aufgebahrte Leichnam Elvis Presleys zwischen einem Spalier kleiner Zehen. Statt 'Hide in the hall' verstand ich in seinem1960er Song Stuck On You: 'I am the wall'. So lernte man damals Englisch, trial and error beim Abhören der Hitparade des British Forces Network in Norddeutschland. Ich habe am Bahndamm gestanden, als Elvis 1958 mit dem Fliegenden Roland von Bremerhaven aus nach Süddeutschland transportiert wurde. Bill Wyman leistete gerade seinen Militärdienst in Oldenburg ab. Abdriftende Babybeine symbolisieren Elvis’ Seele. Ein Karussell mit toten Fischen an seinen Ketten drehte die Runden zu seinen Songs. In der 'Raupe' begannen die Jugendlichen zu knutschen. Ganz Wagemutige trugen hellblaue Seidenblousons mit einem eingestickten Tiger auf dem Rücken. Ich verliebte mich in einer jungen englischen Soldaten namens Storky, der bei uns hinter dem Bahndamm eine Militärübung ableisten mußte und in einem Kettenfahrzeug wohnte. Ich schenkte ihm Birnen aus dem Garten und bekam nichts dafür zurück." (Aus: arsenal, februar 19).

(1983) 

Zeichnung (472) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Dial NERVOUS for the Time: Die Buchstaben des Wortes "Nervous" ergaben in den 70er Jahren auf New Yorker Telefonwählscheiben die Nummer 6378687 für die Zeitauskunft. Nervous Nuts, nervöse Verrückte, gedopte Junkies: Eine gestellte Büroszene mit vier Models als inszenierte Karikatur des Geschäftslebens – ein damaliges Werbefoto für das Getränk Hohes C – irgendwann, kurz bevor Heroin und Kokain die Verabreichung von Vitaminen in den Chefetagen und Maklerbüros ablöste und den Zynismus real werden ließ. Haselnüsse in allen Kombinationen von Positiv und Negativ, ein Telefonat mit der dicksten Nuß vor Ort, daneben die aufwendig gefönte Assistentin mit einem Stenoblock im Anschlag, dahinter ein schielender Chef, der von seinem Lehrling devot angehimmelt wird. Im Zentrum des Bildes kein Gegenstand, sondern ein imaginäres Gestell aus Blickbahnen, das diese Gesellschaft mit einer Stimme aus dem Jenseits zusammenhält, die gar nicht so zivil ist, wie sie sich anhört: 'Noch eine Anstrengung, wenn ihr Republikaner sein wollt.'" (Aus: arsenal, september 13).

(1978)

Zeichnung (473) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Die Chimäre des von mir favourisierten Dreiecksverhältnisses Eisenstein-Sternberg-Dietrich, Hollywood 1931, zur Zeit des gescheiterten Mexiko-Filmes von Eisenstein. Kein Körper kann an der Stelle eines anderen sein, sie schließen einander aus. Aber in einer Zeichnung ist dies möglich, weil sie darin transparent erscheinen, wie hier überblendet mit einer Zimmerecke in 100 Hudson Street, NYC 1974. Drei Drahtbügel an der Leine, die die Schaumstoffmatratze gegen die Verbindungstür zum Nachbarbüro preßte, um die nächtlichen Schreibmaschinengeräusche des Detektivs zu dämpfen, der dort Briefsendungen für den CIA auf Giftstoffe hin untersuchte. Dahin war ich vor dem Neuen Deutschen Film geflohen, der mich allerdings umgehend via Goethe Institute wieder einholte. Aber dafür lege ich noch jetzt meine Hand ins Feuer: Daß jede der bisherigen 4312 Folgen der ARD-Vorabendserie Verbotene Liebe (Achtung, kein "Quality-TV"!) besser ist als jeder Film von Werner Herzog. Lasse feinen Sand aus meiner rechten Hand darüber rieseln. Mehr unter www.pym.de." (Aus: arsenal, juni 13).

(1978)

Zeichnung (474) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Ein beschädigtes Deckenrelief in der Basilica Sotterranea di Porta Maggiore in Rom:  Jupiter, der Oberste der Götter, raubt in der Gestalt eines Adlers den schönen Ganymed und macht ihn auf dem Olymp zu seinem Lieblingsknaben und Mundschenk. Dessen Vater Tros, der älteste König Trojas, blieb untröstlich zurück. Göttliche Herrscher genießen traditionell sexuelle Freiheiten, von denen weltliche nur träumen können. Derweil kratzt sich auf der Terrasse des Hotels Faraglioni auf Capri 1959 ein Mann mit kahlgeschorenen Schläfen und blanker Brust mit seiner Armprothese an der Nase. Es waren junge Männer, die aus dem Krieg zurückkamen, aber als Kind sah ich nur alte Männer zurückkommen. Je älter ich wurde, desto jünger wurden sie auf den Fotografien. O-Ton Helmut Schmidt: 'Die Nachkriegsgeneration hat kein Schicksal hinter sich, hat immer Normalität erlebt.' Was ein Hinweis darauf ist, wo bei ihm das Erleben anfängt. Dein Tadel, kein Schicksal hinter uns zu haben, wird uns das Sterben erleichtern, Meister aus Deutschland." (Aus: flypaper #5, 2010).

(2007) 

Zeichnung (475) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Mein ausgebranntes Schlafbüro in 100 Hudson Street, Ende 1974. Ein Ordner mit geschwärzten oder verbrannten Akten, zwei schwarz umwickelte Neonröhren, an denen mein Moskitonetz befestigt ist. Vom Stand der Sonnenreflexionen auf dem benachbarten World Trade Center ist abzulesen, dass es kurz vor zehn Uhr ist. Alles Asche, kein fließendes Wasser, die Haut juckt. Ein Röntgenbild meiner Lunge hängt von der Decke herab. Zehn Zuschauer aus dem Gemälde Die Erwartung (1936) von Richard Oelze beobachten die Landung des Zeppelins 'Hindenburg' in Lakehurst, 1937. Im Nachbarbüro untersucht ein CIA-Agent Briefe auf chemische Stoffe. Mitten in der Nacht ertönt ein einzelner Anschlag seiner Schreibmaschine. Am Morgen steht er verwirrt und in dreckiger Unterwäsche vor dem Fahrstuhlschacht. In die Wandfarbe der Fahrstuhlkabinen kratzt jemand flächendeckend Abbilder von Dampflokomotiven. Sie werden vom Hausmeister immer wieder mit brauner Lackfarbe überstrichen. Jerry Sims kommt vorbei und will sich mit mir über Beethoven unterhalten, über den ich nichts weiß." (Aus: The End, Disko 22, 2011).

(1977) 

Zeichnung (476) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Text under construction"

100. 

(1977) 

Zeichnung (477) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Brooklyn, im Januar 1975. Ein Railroad Apartment an der President Street nahe der Station des LL-Trains. Das Viertel ist heruntergekommen, die Miete ist niedrig. Auf unserer Höhe der Straße verläuft die Grenze zwischen der italienischstämmigen und der puertoricanischen Bevölkerung. Die Tür des Kühlschranks, den wir vom Vermieter gestellt bekommen haben, öffnet sich beim Transport kurz vor unserer Haustür. Hunderte von Kakerlaken strömen aus ihm hervor und rennen über den Schnee. Ein anonymer Brief trifft ein mit der Aufforderung, Vorhänge an unseren Fenstern zur Straße anzubringen oder aus dem Block zu verschwinden. Kleine Kinder könnten sehen, was in unserem vorderen Raum vorgehe. Ich träume, in einer schwarzen Kaninchenfelljacke und mit einer Pilotenmütze auf dem Kopf unter einem überlangen Vorhang begraben zu liegen und an die Decke zu starren. Das Fenster bildet den Buchstaben 'F' wie in Fenêtre. An der Unterseite des Fußbodens reibt eine monströs große Kakerlake ihren glänzenden Rückenpanzer an den Dielen." (Aus: flypaper #5, 2010).

(1975)

Erstveröffentlichung in BOA VISTA 2, Hamburg 1975 

Zeichnung (478) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Ein Kanonier mit einem Knochenstumpf als rechten Arm präsentiert die Öffnung eines Kanonenrohres, einer 12–Inch–Gun, auf einer Postkarte. Sie wurde vom Schlachtschiff USS Delaware imJuli 1900 abgeschickt. 'Where the marks are is where the gun opens', steht auf der Rückseite der Karte zu lesen. (Edward T.) FUSCO (Incorporated)-Briefpapier, gefunden in 100 Hudson Street, 1974. Eine Hand kratzt mit ihren Nägeln an einer gekalkten Wand entlang. Eine Lampe, die in einem begrenzten Rahmen Schwärze abstrahlt, steht als Science-Fiction-Objekt neben dem Fenster, das bei Tage von einem überlangen Vorhang verhüllt ist. Sein Stoff verdeckt auch die Grube im Fußboden, in der ich in Brooklyn zu liegen kam. Ich erinnere mich genau an diesen Körper, den es nicht mehr gibt. Wir sind die Überlebenden, die Verzehrer und die Ausgetauschten. Die fremd gehenden Vergesser, die lustlosen Kombinierer. Wäre die Geschichte schon zuende, würden mir mehr als ein paar Namen dazu einfallen. So wie sie ist, macht sie auf kein Ende neugierig." (Aus: arsenal, april 16)

(1997) 

 

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