Zeichnung (219) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Unerkannte Nägel in den Köpfen, das spiralförmige Verlassen einer westlich geprägten Vorstellung von Leben: Am Ende des Romans Let It Come Down von Paul Bowles drückt der Amerikaner Nelson Dyar nach seiner Flucht aus der Internationalen Zone Tangers seinem einheimischen Führer Thami Beidaouis im Majoun-Rausch einen Nagel durch den Gehörgang ins Gehirn. Von außen ist nur ein Rinnsal von Blut sichtbar - unscheinbar, aber beredt. In den verschiedenen Regionen des Gehirns der Mörder als Akrobat, Ringer und Schiedsrichter. Du bist gut gewachsen, mein Freund, aber Dein Leben ist so sinnlos in der westlichen Welt. Der Mord als letzter Ausweg, um mit der Welt der Polizisten in Kontakt zu treten. Noch kannte man es nicht, das Universum des deutschen Fernsehens, in dem Abend für Abend sozialdemokratische Kommissarsduos die Welt erklären. Noch stand die Quality of Life in keinem Parteiprogramm. Ich bin krank, also bin ich, resümiert ein redseliger Kulturwissenschaftler.  Mit anderen Worten: Augen sind Zeitgenossen der Zähne." (Aus: arsenal, dezember 12).

(1994) 

Zeichnung (220) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Schweißausbruch nach einer abgebrochenen Recherche, grelles Neonlicht, Nebel am Horizont, Deplaziertheit als Lebenselexier, wieder der Alptraum, von einem Radfahrer umgefahren worden zu sein. CC – der Campo Cervino in Sezze, südlich von Rom. Darauf zwei Traumhäuser mit Blitzeinschlägen, nachgebildet dem Tempel des Jupiters im nahegelegenen Terracina aus dem ersten Jahrhundert vor Christi, eines der ersten Bauwerke aus römischem Zement. Die Jahrtausende alten Abdrücke der Holzverschalungen sind darin zu sehen und zu betasten wie solche von gestern. In Draufsicht ein offengelegtes Gehirn mit zurückgeklappten Hautlappen. Zwischen den beiden Gehirnhälften eingezwängt steht Ueli Etter in der Länge verzerrt vor seinem Apartment in Hollywood, 1995. Ein Turner mit vorgebeugtem Oberkörper berührt mit seiner linken Handfläche den Boden. In der unteren Bildhälfte die Silhouette meiner Haare und Stirn auf der Einladungskarte für die Ausstellung Seit ich blond bin, färbe ich mir die Haare in der Galerie Zwinger, Berlin 1989." (Aus: arsenal, juli/august 14).

(1997)

Zeichnung (221) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Ein zerrissener Vorhang aus schwarzem Wasser, darunter ein Bergsteiger aus den 30er Jahren, der einen Kamin zwischen zwei Gehirnhälften und zwei skulptural ausgeformten Schattenteilen emporklettert. Der Mann stemmt die Schatten- und Gehirnteile mit seinen Händen und Füßen auseinander. Zwischen seinen Beinen tut sich ein Abgrund auf. Eine gescheiterte Zukunft aus Balanceakten zwischen regelmäßig stattfindenden blutigen Operetten. Eine schwachsinnig proklamierte und hingenommene Trennung von Kopf und Bauch. Der Blick des Kletterers fällt auf den Schattenmann aus Edward Hoppers programmatischer Radierung Night Shadows von 1921. Rechts unten Passanten mit ihren Schatten aus Alexander Rodtchenkos Fotografie Sammlung zur Demonstration auf dem Hinterhof der Vchutemas, Moskau 1928, von einem Balkon aus gesehen. Dazwischen in hochkantigen Rechtecken drei Varianten eines Baumzweiges aus Ando Hiroshiges Holzschnitt Moon Pine at Veno von 1858. Freigestellte Gehirne als Ursuppe der Künste, keine Revolution, aber eine Umwälzung." (Aus: arsenal, oktober 12).

(2007) 

Zeichnung (222) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Der Start eines Marschflugkörpers in einer fernen Landschaft unter einem Riesengehirn, das den Himmel fast vollständig bedeckt. Schwarze und weiße Explosionswolken vor dessen grauen Zellen. Wie irre, diese zerschneiden, plastinieren und öffentlich ausstellen zu wollen. Geht alles auf den toten Hasen zurück, den Joseph Beuys als Handpuppe vorführen meinte zu müssen. Der Tiefpunkt einer Karriere, von Imitatoren immer wieder gern nachgespielt. Oder die täglich frischgeschlachteten Kaninchen, in deren noch warme Kadaver der spätere Mörder meiner beiden Großväter, Wilhelm II, seinen missgebildeten linken Arm badete. Zwei langbeinige Teenager springen von Rücken zu Rücken einer Herde chinesischer Wasserbüffel, die geduldig auf einer überschwemmten Weide stehen. Die Luft ist so glasig und verdreckt wie das Wasser. Unten rechts der Anschnitt einer Parallelwelt, die zur Abwechslung nicht mit Waffen- und Schnitttechniken brilliert, sondern mit der Schönheit ihrer unsichtbaren, sterblichen Schaltungen. Alles nicht im Bild." (Aus: arsenal, november 11).

(2007) 

Zeichnung (223) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Eine von Milliarden von Nervenfasern, nach einer Illustration von Fritz Kahn, dem terrible simplificateur, und eine Blutlache, zerteilt von der Bugwelle eines Schmetterlingsschwimmers mit Geheimratsecken -  "Ich komme!", coming of AGE. Ein vereinzeltes Boteh-Ornament fällt im Zuge einer Tropfenfolter auf das Haar eines schwarzen Delinquenten, dessen Kopf mit einer hölzernen Halsgeige fixiert worden ist. Seine Zunge wurde auf die Auskragung des Prangers genagelt. Am anderen Ende des Bretts ein Feuerrad, in dem Sprache durchbuchstabiert wird, A-LA-LANGUE. Auch als Sprechblase zu sehen. Die Symmetrie zwischen andauernder Folter und ausgerasteter Sprache als verdrängte Realität, die in einem Telefongekritzel ihr Haupt erhebt - ein vom Unterbewussten bevorzugtes Medium. Der untere Teil des Bildes ist die akribische Übertragung eines solchen Doodles von 1996. Der Weiße mit seiner ausholenden Umarmungstaktik und der Schwarze mit der verheerenden Keule am Kopf - die herkömmliche irdische Balance. Sie geht auf die Nerven." (Aus: arsenal, februar 12).

(1996)

Zeichnung (224) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Experimenteller Käse: Nehmen wir einmal an, Sie planen als Filmemacher, die Filmförderungsgesetze so umzuschreiben, daß das Geld fürderhin in die eigene Tasche fließt, dann müßte man entgegnen: Alles schon dagewesen. Am Besten Sie erzwingen dazu noch einen eigenen Fernsehkanal und bestücken ihn zur Hauptsache mit eigenen Produkten. Die Anzahl Ihrer Erzeugnisse mag dazu nicht ausreichen, so daß Sie auf Fremdware angewiesen sein werden. Da Sie aber nicht die Absicht haben, irgendwelche Rechte zu bezahlen, sondern im Gegenteil sämtliche Verwertungsrechte an diesen Sendungen selbst einstreichen wollen, verzerren und verfärben Sie die benutzen Bild- und Filmzitate hinreichend und montieren irgendwelche Kinkerlitzchen hinein, und schon haben Sie ein Produkt, für das Sie eine 'künstlerische Bearbeitung' beanspruchen können. So landet der Reibach bei Ihnen. Daß Sie für Ihr trostloses Makramé von der Kritik auch noch höchstes Lob einfahren, ist nur konsequent, denn es gibt dort nichts Beliebteres als experimentellen Käse." (Aus: arsenal, oktober 20).

Ein schräg gerahmtes Gehirn hinter einem Baumstamm, der von einem Mann umarmt wird. Eine Torte aus Schuhen vor schwarzem Grund. 

(2007) 

Zeichnung (225) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Das Modell und die Medien. Die Bühne eines Theaters mit schwarzen und weißen Vorhängen rechts und links. Der Auftritt eines exzerpierten Nervensystems, als Positiv und Negativ, am Tag und in der Nacht. Verloren in ihrer Sichtbarkeit bilden die Nerven ein Kostüm. Durch ihre mediale Kraft kehrt sich ein Inneres nach Außen. Das Gesagte und das Gedachte, und dazu eine innere Stimme, die das Verlorene durch Wiederholungen stabilisiert. Das Äußere einer Kugel ist das Modell eines Körpers. Das Innere einer weiteren Kugel, des Augapfels, ist der Vorraum des Bewusstseins, ein Raum für Erkenntnis. Obsessed (without) - Relatively (with): Das angefüllte Äußere verharrt in einem relativen Miteinander, die Leere des Inneren besteht in einem obsessiven Ohneeinander. Dann die verknüpfenden Konstruktionen innerer Screens mit ihren Projektionen im Vorraum des Bewusstseins und die Projektion des Erkannten mittels harter Linien im Akt des Zeichnens in die Welt der Körper. 'Lost' bedeutet dann auch 'Found', im Sinne von Erlösung." (Aus: flypaper #5, 2010).

(1996) 

Zeichnung (226) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Ein Ornament, das Bewässerungskanäle darstellt, aus einem persischen Gartenteppich des 18. Jahrhunderts hängt vom Himmel herab. Auf der Horizontlinie eine Zeichnung aus dem Abschlußbericht einer Reisegruppe der Hamburger Baubehörde nach Yukatan, die einen Berg darstelle, so wie er in der Natur vorkomme. Der visuelle Score des Films Arrowplane bildet ein Gitter - die gradweise Verschiebung zweier gleichzeitiger 180-Grad-Schwenks ineinander, solange bis sie wieder identisch werden. Am unteren Bildrand Teile des Drehortes von Tide in einem noch zerstörten Teil des Hamburger Hafens. 1973 fotografierte mich Reinhold Batberger bei den Dreharbeiten zum Film Schenec-Tady im Taunus. Eine Plastikhülle schützte die Kamera vor dem Schneeregen. Der lange Hebel, der daraus hervorragt, diente zum Verstellen der Brennweite. Mit der schwarzen Kelle ließ sich das Objektiv abdecken für die Aufnahmen der jeweils sechs Schwarzkader, in die später das seitenverkehrte Negativ der sechs vorangehenden Bilder für den Film Schenec-Tady III einkopiert wurden." (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

(1988) 

Zeichnung (227) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Eine weitere Skizze von Mitarbeitern der Hamburger Baubehörde soll uns lehren, dass eine Pyramide der Welt der Geometrie zuzurechnen sei. Daneben ragt das Detail eines Ornamentes aus einem persischen Gartenteppich ins Bild. Im Hintergrund das Scoreblatt zu den Filmen Schenec-Tady I und III, die im März und April 1973 auf 16mm-s/w-Film aufgenommen worden sind, mit dem 360-Grad-Panorama einer frisch geschlagenen Waldlichtung am Hasenkopf im Taunus, auf der später ein Wasserwerk errichtet wurde. Die Partitur für das Filmprojekt habe ich im Herbst 1972 geschrieben. Schenec-Tady II wurde im Herbst 1973 in Farbe in einer Dünenlandschaft an der Nordsee gedreht. Die weiße Silhouette eines Flüchtlingstrecks zerteilt das Bild im Goldenen Schnitt. Die weiteren Filme Arrowplane und Tide, deren Scores als Unterthemen den Horizontalschwenk abhandeln, sind im ersten Halbjahr 1974 in Hamburg und Dänemark entstanden. Auf dem Sockel ein Waldschrat mit verhülltem Kopf, Bohnenstroh, Hockeyschläger und Holzschuhen - das Portrait meiner damaligen Verfassung." (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

(1988) 

Zeichnung (228) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Am Anfang der Entwicklung der Augen stand die Lichtempfindlichkeit. Der Drang des Körpers, sich in eine von Schwerkraft ungetrübte Dimension hineinzubegeben, den spürbaren Raum und die dort erahnten Bewegungen über die Haut hinaus zu ermessen. Ein Drang, das Licht nicht nur als Wärme zu spüren, sondern sich mit der Kraft der Augen vom Körper abzulösen und Geist zu werden. Ein Geist, der zugleich über den Dingen zu schweben vermag, als auch um sie herum ist und in ihnen lebt ...  N - die Menge aller Möglichkeiten, Fluß versus Moment in einer abstrakten Landschaft. ARCHitektur, BILD RAUM, Bildfläche, Schrift, DENKEN, SYSTem - ein Lesevorgang auf der Retina. Eingefaßt von positiven und negativen Gittern, Restlichtverstärker im Augapfel (Denken), seitliches Ablassen des Augendrucks ... Wir sind die wandelnden Archive der Bilder unserer Augen und formen mit ihnen den Rahmen eines Lebens. Die Bilder sind Ornamente aus Licht und Schatten, die sich in die Erinnerung brennen, oder sie warten im Vergessenen auf den Punktstrahl der Erinnerung." (Vorlesung Bild und Film, WS 2010/11. In: Zeichnung und Film, 2013).

(1996)

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