Zeichnung (20) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Hamburg, 1981. Rechts unten der Geschäftsmann auf der Erbse aus Nr. 14 hinter der aufgeklappten und verbogenen Kühlerhaube eines Cabriolets. "dead Fessel of Wegelagerer, deutsch": eine Schriftzeile des Hasardeurs und singenden Afrikaforschers Kiev Stingl, dessen profunder Song einsam WEISS boys gerade erschienen war. Übers Blatt verstreut drei Teile eines schwarzen Taucheranzuges, von denen das Kopfteil aus einem parallelogrammförmigen Äther hervorragt. In der Mitte ein Glatzkopf mit Käppi, eingezwängt in einem durch Latten markierten, viereckigen Raum. Seine Kopfbedeckung ziert eine Antenne, die in den Äther ragt und an der auf Augenhöhe des Trägers das 360-Grad-Landschaftspanorama des ersten Schenec-Tady-Filmes aufgehängt ist. Links unten die Skizze eines Automaten zur Ausführung von Prügelstrafen - ein Zitat aus der Bild-Zeitung: Der Delinquent muß eine Lochkarte mit dem Strafmaß in den Apparat schieben, sich dann vorbeugen und die Stockschläge durch Betätigung eines Knopfes selbst auslösen. Seine Täterschaft wird protokolliert." (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

(1984) 

Zeichnung (21) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Woher kommst du, wohin gehst du? Die Weser bei Horstedt in Niedersachsen, auf der ein Porzellanservice auf dem Weg zur Nordsee dahingleitet. Im Sumpf hinter dem Deich auf der anderen Seite des Flusses das Haus meines Großonkels. Vorn ein Anlegeplatz mit Glocke zum Rufen des Fährmannes, der dann herübergerudert kam und uns abholte. Während der Überfahrt mußten wir eindringendes Wasser aus dem undichten Bootsrumpf schöpfen. Keiner konnte schwimmen. Ich höre noch unsere „Hallos“ in mir, wie die aus Vampyr von Dreyer. Das war auch die Stelle, an der ich meine selbstgebaute Holzkiste zu Wasser lassen wollte, um mich darin den Fluß hinunter, um Europa herum und dann im Atlantik an der afrikanischen Küste entlang bis zum Kamerun treiben zu lassen. Von dort aus würde ich dann zu Fuß in die Sahara gehen. Kamerun, so hießen auch die Dünenberge nahe unseres Hauses, die in den 50er Jahren für den Wiederaufbau von Bremen abgetragen wurden. Die Namensgebung ein weiterer Ausdruck wilhelminischen Schwachsinns, der alles durchdrang." (Aus: arsenal, oktober 16).

(1984) 

Zeichnung (22) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Chicago, 2. April 1998. Selbstportrait als alter Mann im Bad des The Claridge–Hotels auf der letzten Station der diesjährigen USA–Tournee. Mein nackter Vater blickt mir aus meinem Spiegelbild entgegen. Die Dias der Show sind am Abend zuvor im Projektor des Art Instituts verbrannt – wie am 16. Februar 1982 die erste Einstellung des Films Normalsatz auf seiner Premiere im Berliner Delphi Filmpalast. Unter dem am Monroe Drive wieder aufgestellten romanischen Torbogen von Louis H. Sullivan, dem letzten Rest seines 1972 abgerissenen Chicago Stock Exchange Buildings von 1894, vor Erschöpfung zusammengebrochen. Im Mai 2002 haben wir diese Ruine dann von einem Dolly aus für Miscellanea III gefilmt. Oben und unten das Positiv und das Negativ eines 1975 von der Wand eines Lagerschuppens im Hamburger Hafen verzerrt abgezeichneten Symbols einer Leiter. In der Mitte ein Stück Original–Grenzzaun, der in einem Ossie–Park wieder aufgestellt werden soll, irgendwo in Gesamtdeutschland. Changing of the Guards ist dringend angesagt." (Aus: arsenal, februar 15).

(1999)

Zeichnung (23) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Europa im Zugriff eines eisernen Handschuhs. Vierzehn nach Westen aus dem Bild driftende silberne Löffel und in Gegenrichtung aus Richtung Amerika eine langstielige Gartenharke, die an der Stirn meines Vaters kratzt. Die Hand aus Eisen, die Europa in der Klaue trägt, war für die Fachzeitschrift der US Marines das Sinnbild für Bolschewismus. Wer greift hier wie nach wem? Das Bemühen, persönliche Schuld und Sühne in diesem weltgeschichtlichen Reigen, in den man hineingeboren wurde, zu verankern, wurde zu einem utopischen Unterfangen. Klar war nur Eines: Das 'Wunder' im Wort Wirtschaftswunder waren nicht die Wirtschaft, nach deren Logik die Zerstörung noch immer die beste Voraussetzung für ein Wiedererstarken ist, sondern die Seelen der Überlebenden, die ungerührt weiterhin wirtschaftlich tätig sein konnten. Das Wort ist die Feier der Kälte des Überlebens, die dann an uns Kinder weitergereicht wurde. Diese Kette zu durchbrechen, gilt als Verbrechen an einer 'Natur', auf die sich auch schon die Nazis ihren abscheulichen Reim gemacht hatten." (Aus: Schwarze Blöcke, SchwarzHandPresse 2010).

(1984) 

Zeichnung (24) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Leonid Iljitsch Breschnew Ende der 70er Jahre in seinem Situation Room im Kreml vor zwei laufenden Fernsehprogrammen. Noch keine Anzeichen von Reizüberflutung oder gar Gemüsedasein. Ein von Osten hereinfallender Set von Küchenmessern samt Fleischgabel, Hackbeil und Wetzstahl. Der Knebelverschluß einer Existentialisten-Kutte aus den 60er Jahren verknüpft den Handgriff eines Messers mit dessen Schatten auf dem Gesicht von Magdalena Montezuma im Film Macumba von Elfi Mikesch, 1982. David Marc druckte die Zeichnung 1995 in seinem Buch Bonfire of the Humanities (Scheiterhaufen der Geisteswissenschaften) mit der Unterschrift ab: 'The best minds of Allen Ginsberg's generation were still accusing the radio of hypnotism in 1955'. Diese Klage über selbstgerechte, intellektuelle Shortcomings könnte heute fortgesetzt werden mit 'The best minds of Hape Kerkeling's generation will never get the difference between 35mm film and digital video.' A rather 'b'schssne Sit'ation!' - but who cares. Praxis leidet ja nicht von Natur aus unter Theoriebedarf." (Aus: Schwarze Blöcke, SchwarzHandPresse 2010).

(1984) 

Zeichnung (25) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Ein U-2-Spionageflugzeug aus den USA in den 50er Jahren über Sebaldsbrück bei Bremen. 'Ich seh' bald die Brücke': Als Kind hatte ich im Zug sitzend die Vorstellung, es handele sich um ein mechanisches Prinzip und nicht um eine optische Täuschung, wenn sich die Brückenbögen kurz hinter dem überdachten Plafond des Bahnhofs bei der Durchfahrt des Zuges hoben und senkten. Der Schriftzug G(CH)IAMULERA, einer Eisdiele in unserer Kleinstadt, gerät in das Blickfeld zweier Augen. Die Blicke mögen auch ruckartig versetzt worden sein, um den Eindruck einer filmischen Abfolge zu erzeugen. Die Augenlider als Flügel eines Malteserkreuzes. Unten rechts acht Flammen, die einen Menschen verschlingen. Links gegenüber die Darstellung eines nackten Mannes auf der Kommunikationsplatine der Voyager-Raumkapsel - mit Flügelfedern am linken Unterarm. Die Story eines wie gewonnenen, so zerronnenen schwarzen Raumes. Und niemand da, ihn zu erzählen oder zu lesen, und alle Herzen zu klein, um das für einen Flug benötigte Blut zu pumpen." (Aus: Schwarze Blöcke, SchwarzHandPresse 2010).

(1984) 

Zeichnung (26) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"SUDDENLY: a city. Sprache als Ahnung. Ein explodierendes Sitzkissen über der Dachkante eines Hochhauses mit der Silhouette einer von der Manson Bande ermordeten Person vor dessen Fassade. Darüber am Himmel, auf dem Rücken liegend, ein ölverschmierter, toter Vogel und die Funktion der Zeit, die einen Zufall beschreibt. Zwei transparente Reißschienen und ein Winkel, Werkzeuge aus der allmächtigen Zeichnerei. Adolf Hitlers Skizze eines Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg - dem Ursprung des Bösen - mit hinzugefügtem Regenschirm und einem linken Stummelarm als Flügel. Die nachhaltige Niederkunft der Gefühllosigkeit, die Besetzung der Träume durch ganz reale Tote, kein Spiel unstabiler Kombinationen von Atomen. Ein  kreisförmig ausgebreitetes Präservativ aus HB (Hansestadt Bremen) als anonymes Kommunikationsmittel: 'Love is a burning ring of fire.' Das Spiel ist aus, eine vor der Zeit beendete Zeit. Eine klare Linie, die niemandem mehr einfällt. Ich habe dich erkannt, aber du mich nicht. Langsam dämmerte es mir, was mit den anderen los ist." (Aus: Schwarze Blöcke, SchwarzHandPresse 2010).

(1984) 

Zeichnung (27) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Text under construction"

Achim, 1957. Es regnet Geschirr zwischen Haus- und Fährglockenschaufeln auf einem Sportplatz. Ein Urahn betätigt sich als Hochspringer. Ein anderer vergräbt sein Gesicht in einem Teller. 

(1982) 

Zeichnung (28) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"In der Handschrift von Larry Gottheim, 1975, zwei Worte: Possible (material), Material für Möglichkeiten. Nächtlicher Sirenenalarm in Achim, 1956, der Deich ist gebrochen. Ein Schild, das sagen will, 'Mein Vater ist kein Schwein.' Er springt mit seinem Messer-Brett-Gesicht im Weihnachtsmann-Kostüm von einer mit Trieben besetzten Riesenkartoffel in die Fluten der überschwemmten Weser. Als Nichtschwimmer, um mich aus der in Flammen stehenden Holzkiste zu retten, in der ich mich den Fluß abwärts zur Nordsee treiben lassen wollte. Ich war von der Seetüchtigkeit der Kiste überzeugt, hatte sie mit einem Sack Kartoffeln als Nahrungsvorrat ausgestattet und wollte darin nach der Umschiffung Europas über den atlantischen Ozean an die Küste Afrikas gelangen. Genauer gesagt bis in den Kamerun. So hieß noch ganz unverfroren und traumverloren eine Straße in unserer Nachbarschaft, die durch eine Sanddüne führte. Allerdings würde ich noch heute bis in die Wüste laufen, um mir keinen Film von Andrej Tarkowski ansehen zu müssen." (Aus: flypaper #5, 2010).

(1983) 

Zeichnung (29) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"(Possible) Material, mögliches Material. Die Windungen der Weser zwischen der Horstedter Fähre und der Brücke bei Uesen südlich von Bremen. Ein Duschkopf, aus dem Sand rieselt, kreuzt sich mit einem Förderband für Sand. Titel der Rollbilder im Hintergrund: Sandberge und Fensterfluchten. Im benachbarten Dorf Bierden gab es Dünen, deren Sand nach dem II. Weltkrieg beim Wiederaufbau von Bremen in den Hochhäusern der Wohnsiedlung Neue Vahr verbaut wurde. Ein auf der Flucht in die Freistadt Bremen im Sand bei Achim von Kopfgeldjägern gestellter Leibeigener wollte sagen: 'Ach, im Sande muß ich sterben', kam aber nur bis 'Ach, im', bevor er geköpft wurde. Daher der Name. Und die Vorliebe für halbe Sätze. Der Überseedampfer Bremen aus einer Kinderzeichnung mit einer Haifischflosse vor Manhattan. Wochenlanger Streit mit meiner Schwester, die behauptete, es gäbe keine Haifische vor der amerikanischen Küste. Ich konnte die Abbildung, die mir als Beweis dienen sollte, im Bertelsmann Volkslexikon von 1956 nicht wiederfinden." (Aus: flypaper #5, 2010).

(1983) 

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