Zeichnung (179) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Eine improvisierte Wahlkabine in British Columbia mit einer Frau und einem Kind, das beim Wählen zuschauen darf. Beide in Sonntagskleidern. "Do not enter when wet." Oder eine Frau, die mit dem Kopf in einer schwarzen Wolke schwebt, in die sie ihre Tochter einbezieht. Oder einfach Denial - Verdrängung der Möglichkeit, dass einem der Boden unter den Füßen weggezogen werden könnte. Die vaterlose Kleinfamilie steht auf dem schwankenden Boden einer Auslegeware, die sich von einer steifen Rolle abwickelt. Überleben geht vor Hokusai: ein wall-to-wall carpet, der ein aufgewühltes Meer zu glätten in der Lage zu sein scheint und als Wirtschaftsgesetz von Kontinent zu Kontinent quer über den Pazifischen Ozean reicht. Dazu das Zusammenspiel einer Hand mit dem Kopf eines Katers, der gestreichelt werden möchte; und zwar genau dort, wo er selbst mit der Zunge und den Pfoten nicht hinkommt. Eine x-beliebige, häusliche Szene also, unter der Schirmherrschaft der Demokratie. Doch hat das Kind gepetzt, dass die Mutter nicht gewählt hat, sondern nur gewürfelt." (Aus: arsenal april 11).

(1977)

Die Zeichnung findet sich auch auf Seite XVI des Buches Marieluise Fleißer: schreiben, überleben; ein biographischer Versuch von Sissi Tax, Frankfurt 1984.

Zeichnung (180) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Blicktheater mit zwei nackten, deutschen Spionen auf einem Schiff im Mittelmeer zu Zeiten des II. Weltkrieges. Wir sehen einen räuberischen, einen technisch vermittelten, einen neugierig kontemplativen und einen sich selbst negierenden Blick. Die Männer werden von einer Frau beobachtet, die eine Sonnenbrille auf ihrem kahlen Kopf zurückgeschoben hat. Viel früher hatte sie selbst nackt an Deck gestanden, und ihre langen, dunklen Haare hatten ihr dabei den Blick auf die Wellenberge verwehrt. Jetzt ist ihr Blick von einer sanften Traurigkeit gezeichnet, die von ihrem Ausschluß aus der Welt der Männer und von deren nichtsnutzigen Projektionen herrühren mag. Der Spion mit der Schiebermütze filmt eine ferne, außerhalb des Bildrahmens liegende Szenerie. Der Spion mit den nassen Haaren ruht in sich selbst und blinzelt in die Sonne. Ein tierisches Interesse hat ihn erfaßt, das die Darstellungen der beiden Frauenfiguren in einer Vorher-Nachher-Konstellation zu begreifen versucht. Dann grübelt er über sein Scheitern nach." (Aus: arsenal, juli august 15)

(1976)

Lynne Tillman: "The woman, who was naked, looked like a figure from a seventeenth century Japanese drawing. That she was naked made me think she might be from the north of Germany or further, perhaps Sweden. She stopped looking naked after I thought that. A thought something like 'Nudity is permissible in northern countries.' I didn't wonder why but turned instead to look at a man I thought of as the tourist. He was so well-prepared for travel that, even though he too was naked, he wore a cap. He might play golf, I imagined. My friend was looking angrily at the tourist who, in his effort to capture the ocean, which is how I figured he might put it to the folks back home, was taking his picture too. He always said what everyone who doesn't like having their picture taken says - primitive people think their images being stolen - implying that he too felt like that. He was not like that - primitive - about anything but photography, although the only movies he liked were Westerns, which he said were Wittgenstein's favorites, an odd position for a primitive, I told him."

(1976) 

Zeichnung (181) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Häusliche Szene in Red Hook, Brooklyn 1975, Marcia Bronstein und Silke Grossmann in Marx–Engels–Formation mit einem Sack Zwiebeln auf ihren Köpfen. Ich werfe die Tür meines Kühlschranks zu, eine billige Lautsprecherbox steht auf dem Boden. An der Wand eine Reproduktion des Gemäldes Room at the Sea von Edward Hopper. In den Büsten der Portraitierten die Silhouetten der Glasscherben, die wir aus Lower Manhattan mitgebracht hatten. Der kakerlakenverseuchte Kühlschrank war der Willkommensgruß unseres neuen Vermieters. Zwar wurden darin die Verfallszeiten unserer Lebensmittel hinausgezögert, aber unsicher bleibt, wie sich der Aufenthalt in diesem Stadtteil auf die Dauer meiner Lebenszeit auswirken wird. Frieda Grafes Text "Der Eisschrank als Hausorgan", der meinen kühlen Betrachtungen häuslicher Inszenierungen gewidmet ist, erschien am 23. März 1985 in der Süddeutschen Zeitung. Ein Redakteur hatte ihren Titel allerdings in "Endlose Dreiecksverhältnisse" abgeändert, wahrscheinlich, weil er selbst in solchen festsaß." (Aus: arsenal, september 14).

(1978)

Zeichnung (182) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Häusliche Szene in Red Hook, Brooklyn 1975, Marcia Bronstein und Silke Grossmann in Marx–Engels–Formation mit einem Sack Zwiebeln auf ihren Köpfen. Ich werfe die Tür meines Kühlschranks zu, eine billige Lautsprecherbox steht auf dem Boden. An der Wand eine Reproduktion des Gemäldes Room at the Sea von Edward Hopper. In den Büsten der Portraitierten die Silhouetten der Glasscherben, die wir aus Lower Manhattan mitgebracht hatten. Der kakerlakenverseuchte Kühlschrank war der Willkommensgruß unseres neuen Vermieters. Zwar wurden darin die Verfallszeiten unserer Lebensmittel hinausgezögert, aber unsicher bleibt, wie sich der Aufenthalt in diesem Stadtteil auf die Dauer meiner Lebenszeit auswirken wird. Frieda Grafes Text "Der Eisschrank als Hausorgan", der meinen kühlen Betrachtungen häuslicher Inszenierungen gewidmet ist, erschien am 23. März 1985 in der Süddeutschen Zeitung. Ein Redakteur hatte ihren Titel allerdings in "Endlose Dreiecksverhältnisse" abgeändert, wahrscheinlich, weil er selbst in solchen festsaß." (Aus: arsenal, september 14).

(1978)

Zeichnung (183) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Eine gerahmte schwarze Träne, ein hölzerner Stempel, ein Füllfederhalter, zwei Fingerabdrücke und der Titel Der Füller - in Pinselschrift ausgeführt, überblendet mit einer Frauenhand, die den Rand der Auslegeware streichelt, unter die sie alles gekehrt hat. Dazu in Detailaufnahme der Querschnitt des Bodenbelags. Zwischen diesen Tatsachen drei Absätze eines 1974 in den USA geschriebenen, aber nicht vollständig gelöschten Textes. Tabula rasa ist etwas für Teenager oder "alte" Mädchen beiderlei Geschlechts. Ein Traum lässt sich nicht fortsetzen. So ursprünglich, einzigartig und unwiederbringlich sind seine Elemente in ihrer Kombinatorik, dass sie sich nicht wiederholen oder zu einer kompatiblen Schnittstelle fügen lassen. Vielmehr ist ein Traum der Bodensatz und das Gegenteil einer Wiederholung, auch wenn er meint, sich in sich selbst wiedererkennen zu können. Er bleibt eine einmalige Vorstellung in einem leeren Theatersaal, in der es um einen verwunschenen Protagonisten geht, der sich selbst beim Schlafen zusieht." (Aus: arsenal, januar 13).

(1984) 

Zeichnung (184) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Lautmalerisches aus Jütland: le zjell, der Himmel oder das Ziel, la mähr, das Meer oder die Geschichte, und la kamelle, das Kamel oder die Kamelle. Der Wegeplan von Hennestrand an der dänischen Westküste, Stand 1979, und das überraschende Erscheinen eines Zirkuskamels in einem Dünental. Eine Stewardess hält die Bindentüte einer Airline wie einen Schleier vor ihr Gesicht und bittet damit um Mülltrennung. Bedruckt ist ihr Papier mit einem Observed-Aquarell frei nach Peter Blegvad, dessen Vorfahren aus dieser Gegend stammen. Bevor Landschaften ihren Reiz verlieren, werden sie zu inneren Landschaften. Als solche werden sie durchgebetet, als Träger entlegener Zeitsysteme zuende analysiert, in der Vorstellung zeitraffermäßig abgearbeitet und dann umgehend abgespeichert und vergessen. Danach geht der Mensch durch seine Landschaft, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen. Das Unvorhergesehene ist kein überraschendes Ereignis mehr, sondern der lange erwartete und gelassen konstatierte Abschluß einer Rahmennovelle: ... but he never saw what hit him." (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

(1983) 

Zeichnung (185) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Ich lösche deine Flammen mit meinem Blut. In Schwarz-weiß übertragene Strukturen eines farbigen Aquarells mit Stempeln von Peter Blegvad zu seinen Erinnerungs-Zeichnungen: Imagined und Remembered, Aided und Unaided. Er stellt sich etwas vor, dann erinnert er sich an etwas, zuerst ohne Anschauungsmittel, danach unter zur Hilfenahme von Abbildungen. Von allen drei Stadien fertigt er Zeichnungen an, die er zusammen zum Vergleich ausstellt. Ein Einblick in eine Gehirntätigkeit: Eine Straßenbahnhaltestelle in Den Haag, 1977, eine Peitschenlampe aus der DDR, über allem der Straßenplan von Hennestrand in Dänemark. Mit hoher Phantasie und nahezu perverser Ausmalung werden den Urmenschen Opferhandlungen der grausamsten Art angedichtet, sobald man einen Knochenrest und daneben ein Stück rostigen Metalls in einem ihrer Gräber aufgefunden hat. Das alles, um von unseren eigenen, demokratisch anonym und ausgelagert verrichteten Gewalttaten abzulenken. Und immer wieder Massenmörder, die unsere Schuld auf sich nehmen, als vermeintliche Religionsstifter." (Aus: Zeichnung oder Film, 2013).

(1984) 

Zeichnung (186) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Selbstportrait mit Stilett, San Franzisko, Sommer 1975. Nach einem Standbild aus dem Film Sons von Udo Serke. Ich spiele darin einen Messerstecher mit langen, fettigen Haaren. Das Klappmesser hatte ich aus NYC mitgebracht, bezahlt aus eigener Tasche. Und für die Rolle im Film die masochistische Phantasie, damit Menschen zu bedrohen, die es mir aus der Hand schlagen und mich dann damit erstechen würden. Im Gegensatz zu Wie ein Messer durch die Butter gehen. Ich hatte mir gerade am Strand des Stanley Parks in Vancouver die Haut meiner linken Seite an der Sonne verbrannt, weil ich die Lektüre von Querelle nicht durch eine Drehung des Körpers unterbrechen wollte. Auf dem Fußboden das negative, harte und staubige Licht eines Fensterkreuzes, in dem ich mich in Brooklyn zu wälzen pflegte, um die Schärfe des Messers an der Zunge zu spüren. Auf der Leiste unten neun weiße Eßgeschirrteile aus der verhaßten Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin: 'Messer, Schere, Licht dürfen kleine Kinder nicht!' '... haben' oder '... sein'?" (Aus: The End, Disko 22, 2011). (1976) 

Zeichnung (187) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Selbstportrait in einer Drehpause zu einem Porno in San Franzisko im Sommer 1975. An der Wand des Drehortes, einem Apartment im Mission District, Vladimir Tatlins Entwurf für eine Skulptur, die die III. Internationale preisen sollte - ein Bild, das ich damals immer bei mir hatte. In meinen Notizen aus jener Zeit tauchen außer Buster Keaton, Jack Smith und Josef von Sternberg kaum Filmemacher auf. Als bildende Künstler neben Tatlin nur Francis Picabia, Alexander Rodtchenko, Edouard Vuillard und El Lissitzky. Dafür aber viele Schriftsteller, so als sei in der Literatur ein größerer Fundus an Modellen für die Lösung der auch im Film virulenten logischen Probleme bei der Darstellung simultaner Ereignisse aufzufinden: Gustave Flaubert, Philip K. Dick, Arthur Rimbaud, Marcel Proust und immer wieder Edgar Poe - 'I have graven it within the hills, and my vengeance upon the dust within the rock', die anonyme Inschrift in der Höhle eines Felsenmassivs am Südpol. Allan, der Name seines verhassten Stiefvaters, bleibt weg." (Aus: arsenal, mai 10).

(1976) 

Zeichnung (188) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Ein Packen Papierhandtücher, die mit einem visuellen Pamphlet über die Zweiteilung der Menschheit bedruckt sind, an der Wand eines italienischen Hotels, 1971. Frau = Schminksachen / Mann = Rasierzeug. Die Zeichnung wurde 1982 das Motiv des Plakats zum Film Normalsatz, der diese Trennlinie nachvollzieht. Die Figur zur Rechten besteht aus dem Negativ aller Bestandteile des Selbstportraits in Zeichnung Nr. 316 (mai 10). Daß mein Vater mir einen Rasierapparat schenkte, als mir noch gar kein Bart wuchs, war ein traumatisches Erlebnis. Zumal weil auch ihm, als altem Indianer, kaum einer wuchs. Ein Kriegsschiff in Camouflage-Bemalung im Ersten Weltkrieg auf einem geneigten Horizont, ein erster Schritt in der Entwicklung geometrisch-optischer Illusionsmalerei, weg vom "Schlachtschiff-Grau". Tarnfarben waren nicht genug. Groteske Muster in starken Kontrasten ausgeführt verwirrten die Einschätzung realer Formationen und Linienführungen. Ein paar kubistische Maler entkamen so als kriegswichtige Spezialisten dem Frontdienst." (Aus: arsenal, mai 11).

(1976) 

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