PARABETON - Pier Luigi Nervi und römischer Beton

Parabeton Plakat

"All architecture is what you do to it when you look upon it." (Walt Whitman)

PARABETON - PIER LUIGI NERVI UND RÖMISCHER BETON

Aufbruch der Moderne – Teil I  / Photographie und jenseits – Teil 19
Heinz Emigholz, D 2011, 100 Minuten 

PARABETON zeigt in chronologischer Abfolge siebzehn in Italien und Frankreich noch erhaltene Bauwerke des italienischen Bauingenieurs Pier Luigi Nervi (1891-1979). Der Film verbindet Nervis kühne Konstruktionen mit filmischen Studien antiker Bauten aus römischem Beton.

Pressedownloads
Parabeton (Stills) / Flyer / Berlinale Katalog

Die Dreharbeiten zum Film PARABETON fanden von März bis Mai 2011 in Italien und Frankreich statt. Der Film zeigt folgende Bauwerke:

Tempel des Merkur (1. Jahrhundert v. Ch.) in Baiae bei Neapel
Stadion Artemio Franchi (1932) in Florenz
Experimentelles Lagerhaus (1945) in Rom
Tempel des Jupiter Anxur (1. Jahrhundert v. Ch.) in Terracina
Ausstellungshalle B (1948) in Turin
Ausstellungshalle C (1950) in Turin
Salzlagerhallen (1951) in Tortona
Tabakfabrik (1953) in Bologna
Caracalla Thermen (3. Jahrhundert n. Ch.) in Rom
Hauptsitz der UNESCO (1958, mit Marcel Breuer und Bernhard Zehrfuss) in Paris
Pantheon (2. Jahrhundert n. Ch.) in Rom
Kleiner Sportkomplex (1957, mit Annibale Vittellozzi) in Rom
Tempel der Minerva (3. Jahrhundert n. Ch.) in Rom
Pirelli Hochhaus (1958, mit Arturo Danusso) in Mailand
Stadion Flaminio (1959, mit Antonio Nervi) in Rom
Colosseum und Forum Romanum (1. Jahrhundert v. Ch.) in Rom
Sportkomplex (1960, mit Marcello Piacentini) in Rom
Claudia Aquädukt (1. Jahrhundert n. Ch.) in Rom
Bahnhof (1960, mit Antonio Nervi) in Savona
Palast der Arbeit (1961, mit Antonio Nervi) in Turin
Hadrians Villa (2. Jahrhundert n. Ch.) in Tivoli bei Rom
Burgo Papierfabrik (1962, mit Antonio Nervi) in Mantua
Mausoleum Tor de 'Schiavi (4. Jahrhundert n. Ch.) in Rom
Dach der Kirche Cuore Immacolato di Maria (1962, mit Giuseppe Vaccaro) in Bologna
Palatin und FAO Fischerboot aus Eisenbeton (1967) in Rom
Audienzhalle des Pabstes (1971, mit Antonio Nervi) in Rom, Vatikanstadt

Statement des Regisseurs Heinz Emigholz

„PARABETON beginnt mit dem ersten, noch existierenden Kuppelbau aus römischem Beton in Baiae bei Neapel, erbaut im 1. Jahrhundert vor Christi. Dann folgen in chronologischer Abfolge siebzehn in Italien und Frankreich noch erhaltene Bauwerke des italienischen Bauingenieurs Pier Luigi Nervi (1891-1979).

Nervi ist als Erfinder stilbildender Konstruktionen der Großmeister des Betonbaus und der Architect’s Architect des 20. Jahrhunderts. Unterbrochen wird die Abfolge der Nervi-Bauten durch filmische Studien antiker Bauten aus römischem Beton aus den ersten Jahrhunderten nach Christi. Der Film verbindet damit Nervis kühne Konstruktionen mit den bahnbrechenden römischen Erfindungen von vor zweitausend Jahren.

Der 100-minütige Film PARABETON ist der erste des mehrteiligen Projektes AUFBRUCH DER MODERNE, mit dem ich meine Filmserie ARCHITEKTUR ALS AUTOBIOGRAPHIE über die Ursprünge, das Schicksal, den Triumph und das Zerbrechen der architektonischen Moderne abschließen werde.

Der zweite Teil des Projektes wird Bauten des französischen Architekten Auguste Perret in Frankreich und Algerien zeigen, die ich ebenfalls im Frühjahr 2011 aufgenommen habe. Perret hat den Betonbau in seinen Ensembles und Gestaltungen meisterlich verfeinert und zu einem klassischen Ausdruck gebracht. PARABETON bildet mit seinem Rückbezug des Konstruktionskerns der Moderne auf die Betonbauten der Antike das vorweggenommene Finale der Serie ARCHITEKTUR ALS AUTOBIOGRAPHIE.“

Aus der Projektbeschreibung von Heinz Emigholz

Das Projekt AUFBRUCH DER MODERNE bildet mit den Filmen zum Werk von Pier Luigi Nervi und Auguste Perret den Abschluß einer Serie von Architektur-filmen, an der ich seit 1993 arbeite und in der bis jetzt sechs monografische Filme zum Werk von Louis Sullivan, Adolf Loos, Robert Maillart, Rudolph Schindler, Frederick Kiesler und Bruce Goff entstanden sind. In über sechzig weiteren Kurzfilmen (Miscellanea I-III, Sense of Architecture) enthält die Serie darüber hinaus Darstellungen einzelner Projekte weiterer Architektinnen und Architekten.

Ästhetisch nimmt die abschließende Serie AUFBRUCH DER MODERNE die Verfahren der bisherigen Filme wieder auf (chronologische Abfolge, konzentrierte Kameraarbeit, hochauflösende Kinobildqualität, mehrkanaliger Kinoton), erweitert sie aber wesentlich. In AUFBRUCH DER MODERNE wird die weitere Umgebung der thematisierten Bauwerke in die filmische Darstellung einbezogen: das Leben in den Tatsachen eines weltweiten, architektonischen Verhaus. Es wird ausführliche Schilderungen städtischer Landschaften geben. Die gefilmten Gebäude werden also nicht künstlich und ästhetisch idealisierend aus ihrer näheren Umgebung isoliert, sondern in den sie umgebenden Nachbar-schaften und Verkehrssituationen gezeigt. Die teilweise grotesken Wucherungen ungestalteter, autorenloser, architektonischer Räume sind das thematische Umfeld des Projektes. Das Projekt AUFBRUCH DER MODERNE wird damit auch zu einer Aussage über das Schicksal der architektonischen Moderne in unserer Gegenwart, also ihr Aufbrechen. Der Titel des Filmprojektes offenbart darin seine Doppeldeutigkeit.

Für den Teil des Projektes AUFBRUCH DER MODERNE zum Werk Pier Luigi Nervis bedeutet dies, dass seine kühnen Raumkonstruktionen für öffentliche Großbauten zu den Bauaufgaben und Ruinen der antiken, römischen Architektur in Beziehung gesetzt werden. Im Film PARABETON liegt der Schwerpunkt auf dem Vergleich von Kuppel- und Gewölbebau in der Antike und der Gegenwart. Die analytische Betrachtung der umbauten Räume durch Kinematographie bedeutet auch die Herausarbeitung der von ihnen erzeugten, jeweiligen Atmosphären, die sich nur mit den Mitteln des Kinos nachvollziehen und erfahren lassen.

Das Projekt AUFBRUCH DER MODERNE ist nicht an der Idealisierung einer singulären und skulptural- monumentalen Architektur interessiert, sondern am Gebrauchswert einer ästhetisch durchformulierten Architektur. Diese sucht und sieht im menschlichen Maß das Umfeld ihrer Möglichkeiten. Alte Ideale werden von neuen Ideen bevölkert, die Zeit hinterlässt nicht vorhersehbare Spuren. Gebäude werden zu Containern einer gespeicherten Wirklichkeit. Ihre Oberflächen und nachbarschaftlichen Verbindungen sprechen für sich. Wenn das dokumentarische Filmbild eines können sollte, dann ist es, die Oberflächen des Wirklichen unverblümt unideologisch wiederzugeben und filmfotografisch miteinander in Beziehung zu setzen. Die Gegenwart, und damit das zukünftig Vergangene, wird dadurch ebenso lesbar wie die Intentionen einer vergangenen gestalterischen Anstrengung, die sich in einem Bauwerk manifestiert haben. Zwar »baut« der Architekt mit seinem Werk auch seine Autobiografie, erfüllen tut sich diese aber erst in der Geschichte und mit dem gegenwärtigen Zustand seiner einzelnen Bauwerke. So enthält der Aufbruch und die Umsetzung einer gestalterischen Idee auch immer den ihr innewohnenden Niedergang, ihre »Auflösung« in der Geschichte. Film ist zugleich Zeuge dieser Bewegung und Monument ihrer Gewesenheit.

Ich werde – wie bei allen meinen bisherigen Filmen auch – beim Projekt AUFBRUCH DER MODERNE die Kamera führen. Wie ich diese Kameraarbeit verstehe und bei den schon abgeschlossenen Filmen entwickelt habe, ist integraler Bestandteil des vorliegenden Projektes. Die Spannung, die die abgefilmten Räume auf der Leinwand erzeugen, entsteht in der Kamera und in der Kombination der von mir gestalteten Bilder. Für alle Filme meiner Architekturfilmserie gilt ein besonderes Erkenntnisinteresse: Es geht mir um den filmischen Nachvollzug der unmittelbaren Erfahrung von Räumen, um ein möglichst genaues Portrait dieser Räume und seiner Details im Kino. Die architektonischen Räume sollen im Bewußtsein des Betrachters wieder auferstehen. Die Arbeit mit hochauflösendem Material und mehrkanaligem Kinoton ist für dieses Projekt unabdingbar, damit Räume real in einzelnen Einstellungen repräsentiert werden können, und die Illusion eines komplexen Raumzusammenhanges entstehen kann. In anderen Bildaufnahmeformaten erscheinen Räume auf Bildflächen mehr oder weniger nur »wie zitiert«. Zitate bieten aber nur reduzierte Erfahrungen, wenn es um Räume und die Stellung des menschlichen Betrachters darin geht.

Die hohe Bildauflösung ermöglicht es, Kamera und Raum in ein neu konstruiertes Verhältnis zu setzen. Nur so kann sich ein aktives Drama entfalten, das sich zwischen Raum und Blick entwickelt. Es geht in meiner Kinematographie um die Auseinandersetzung mit den Tatsachen des Raums: Wir selbst nehmen als Körper Raum ein und befinden uns ständig in Räumen, die immer ganz bestimmte Strukturen aufweisen und in unseren Köpfen bestimmte Wirkungen auslösen – seien es nun Landschaften oder künstlich gestaltete Räume. Die allgemeine Popularität von Architektur beruht genau auf dieser Tatsache. Meine Arbeit als Filmemacher besteht nun darin, den dreidimensionalen Raum auf einer zweidimensionalen Bildfläche zu präsentieren, ihn also in filmische Einstellungen zu zerlegen und in der Projektion neu zu konstruieren. Kameraarbeit ist so gesehen eine architektonische Tätigkeit. Auch in dem Sinne, dass sie im Entwurf Blicke aktiv projiziert und nicht nur passiv entgegennimmt. Das wesentliche Hilfsmittel ist dabei die Zeit. Eine lineare Abfolge filmischer Einstellungen erzeugt im Gehirn des Betrachters eine imaginäre Architektur in der Zeit. Dabei ermöglicht erst die Qualität der einzelnen filmischen Einstellungen, daß der Betrachter diese »imaginäre« Architektur mit der »realen« angemessen in Beziehung setzen kann. Genau an dieser Stelle scheitern die meisten Filme über Architektur. Sie nehmen die sprachlichen Dimensionen des Bildes nicht ernst und ziehen sich auf die Wortsprache eines Kommentars zurück, der als gesichertes Terrain gilt, wenn es um Bedeutungszuweisungen geht.

In den meisten Schriften, die sich heutzutage theoretisch mit dem Leben und Werk eines Architekten befassen, wird mit Interpretationen und Bezügen zu anderen Bauwerken gearbeitet. Mein Motiv ist es dagegen, die Phänomene selbst als sprachlichen Ausdruck zu erkennen und ernst zu nehmen. Unter dieser Prämisse kann man »Autobiographie« auch bauen, sie beschränkt sich nicht mehr nur aufs Schreiben und Sagen. Wenn der Zuschauer in die Lage versetzt wird, durch einen Film Räume zu erfahren, »liest« er in der Autobiographie ihres Architekten. Das ist der Unterschied zu anderen Filmen »über« Architektur. Mein Film erklärt die vorgeführten Architekturen von innen heraus, indem er sie erfahrbar macht. Kommentare und Hintergrundinformationen sind in diesem Zusammenhang nur Ablenkungsmanöver und werden bei diesem Projekt in anderen Medien – Websites und DVDs zu den einzelnen Filmen – geboten. Der Film zeigt zur Hauptsache Bauwerke, wird damit aber auch zu einem Dokumentarfilm über das Jahr ihrer Herstellung. Als Filmemacher interessiert mich die Gegenwart so, wie ich sie vorfinde, und nicht als idealisiertes Gebilde. Geschichte und Gegenwart sind zu einem wesentlichen Bestandteil der entworfenen Bauwerke geworden, und wenn sie inzwischen verändert wurden und ihr ursprüngliches Aussehen verloren haben, ist das ein Hinweis auf das Schicksal der Moderne, die von ihren ursprünglichen Absichten verlassen dasteht.

Falls es mit dem Normalobjektiv möglich ist, wird der Film die nähere Umgebung der Gebäude mit abbilden. Sehr oft sind die Bauwerke aber so in die städtische Landschaft und die Vegetation eingepasst, dass einem nur ein extremes Weitwinkel oder Luftaufnahmen einen Überblick verschaffen könnten. Darauf werde ich verzichten, weil sich mein Projekt mit dem menschlichen Maß des Sehens befasst – und nicht mit virtual reality oder der Weitwinkeltotale als Instrument der Beherrschung. Für die Aufnahmen des Films AUFBRUCH DER MODERNE gelten einfache Regeln: Reduzierung der Linsen auf Normalobjekte, kein »dramatisierendes« zusätzliches Licht, das die dem Gebäude inhärente Lichtdramaturgie zerstören würde. Die Bauwerke erscheinen in der chronologischen Reihenfolge ihrer Entstehung. Man soll durch den Film eine Vorstellung davon bekommen, wie sich bestimmte Formen, Materialien, Entwürfe und auch die Benutzung der Gebäude innerhalb der Lebensgeschichten der Architekten entwickelt haben.

Für mich stellt sich der Weg der kinematographischen Rekomposition des Raumes als Notwendigkeit dar – im Akt der filmischen Aufnahme, aber auch in dem des Betrachtens. Der Blick wird quasi wie Materie auf den Raum aufgeschraubt und macht klar, dass dieser Raum nur durch unsere bestimmten und endlichen Körper in der Zeit existiert. Wir sind das Medium des Raumes und seiner Oberflächen, und jeder durch Kinematographie festgelegte Blick ist in seiner Feinstofflichkeit die Interpretation einer seiner Möglichkeiten. Mich interessiert ein komponiertes Blickergebnis, das sich ausschließlich den Besonderheiten des Objektes verpflichtet fühlt. Im gleichen Maße wie dessen Phänomene existieren, existiert auch mein Kopf und mein Denken diesen Erscheinungen gegenüber. Der Blick richtet sich auf eine komplexe, dreidimensionale Situation und ist nicht primär an konventionellen Rahmenverhältnissen interessiert. Innerhalb meines Konstrukts – also dem eines technischen Bildmediums – sind die Augen Außen- oder Schnittstellen des Gehirns. Sie denken und fühlen zugleich. Film gerät so wieder in eine reale Relation zu den Oberflächen der Welt und verharrt nicht nur im Spekulativen. Er kann bewußt Kreuzungen von Ort und Zeit bewahren und analysieren - also das Sehen und das Erblickte zu einer gegebenen Zeit auch wieder auferstehen lassen. Die Drehreisen, auf denen die Entscheidungen für bestimmte Blicke getroffen werden, werden dann zum eigentlichen Medium.

Viele berühmte Bauwerke kennen wir nur durch einzelne Fotografien. Ich glaube aber, dass wir diese Gebäude, wenn sie uns denn berühren, eigentlich überhaupt erst wieder zugänglich machen oder für unser Denken aktualisieren können, wenn wir sehen, wie sie heute existieren. Dann stellt sich ganz von selbst eine Beziehung zu dem her, was heute als »gute Architektur« gilt, jenseits eines Textbuch-Wissens. Wie seltsam ist es dann, dass diese Gebäude und ihre Details in ihrer Wirkung heute immer noch existieren und ihre Gestaltung ausstrahlen. Deshalb beginnt jedes Kapitel der Filme auch mit dem verbürgten Aufnahmedatum. Mit den Filmen werden zeitliche Monumente geschaffen, die die Realität der gezeigten Bauwerke als Argumente innerhalb einer aktuellen Debatte über Architektur vorführt. Die Filmserie Architektur als Autobiographie unternimmt so eine künstlerische Forschung mit den Mitteln des Films.

Das Projekt AUFBRUCH DER MODERNE beinhaltet eine abschließende, große Anstrengung, um einen grundlegenden, Insidern wohlbekannten, in der allgemeinen Öffentlichkeit aber vergleichsweise wenig präsenten Strang der internationalen architektonischen Modern mit den Mitteln des Kinos zu portraitieren und bekannt zu machen. Diese Architect‘s Architects (Sullivan, Loos, Perret, Maillart, Schindler, Nervi, Kiesler, Goff) waren jeder für sich Visionäre und Meister des Raumes. Sie verwirklichten mit den zu Anfang des 20. Jahrhunderts neu entwickelten, baustofflichen Möglichkeiten komplizierte räumliche Vorstellungen und Entwürfe, die zu einer neuen poetischen Syntax des Raumes führten. Ihr »Alphabet«, ihre Sprache, waren die neuen Formen, die durch armierten Beton zu bauen möglich geworden waren. Sie schufen in ihrem Werk zugleich eine ausgereifte und gestalterisch vorbildliche Enzyklopädie dieser Möglichkeiten, die bis heute im Werk vieler zeitgenössischer Architekten nachwirken. Die Filmserie Architektur als Autobiographie fühlt sich dieser Enzyklopädie grundlegend verpflichtet.

Interview zu ›PARABETON‹ von Hanns Zischler mit Heinz Emigholz am 9. Januar 2012

Hanns Zischler: Begeistert hat mich der große Bogen, der Spannungsbereich zwischen römischem Zement oder Beton und der Arbeit des Bauingenieurs Nervi. Nervi nimmt ja etwas auf oder vollendet auch, was historisch lange tradiert war, aber baugeschichtlich im Bewusstsein vieler überhaupt nicht mehr vorhanden ist.

Heinz Emigholz: Daß die Römer den Beton oder den Zement erfunden bzw. experimentell entwickelt haben, ist kein Allgemeinwissen. Der Pantheon in Rom war zweitausend Jahre lang die größte Kuppel aus gegossenem Beton. Sie wurde erst 1913 abgelöst von der Jahrhunderthalle in Breslau von Max Berg. Das hat mich absolut in Erstaunen gesetzt.

Hanns Zischler: Wie sind Sie auf das Thema gekommen?

Heinz Emigholz: Ein monografischer Film zu Nervis Bauten stand seit 1993 auf meinem Editionsplan für Photographie und jenseits. Die Idee, die antiken Großbauten damit in Beziehung zu setzen, kam erst später dazu. Sie wissen ja, dass ich mich für die Pazifikschlacht im II. Weltkrieg interessiere. Ich fahre jetzt, um die Serie zum Abschluss zu bringen, nach Tinian und Saipan auf den Nördlichen Marianen, um da das Betonflugfeld zu filmen, von dem aus die Atombomben nach Japan abgeflogen sind. Das ist für mich das Ende meiner Architekturserie. Ich bin bei meiner Recherche über die Landung der Amerikaner auf Saipan auf die Webseite des Kriegsveteranen David Moore gestoßen, der damals dabei war. Auf seiner Webseite gibt es drei Themen: Landung auf Saipan, Prostatakrebs und der Pantheon in Rom. Nach seiner Karriere als Bauingenieur hat er in Rom den Pantheon besichtigt. Plötzlich sei ihm bewusst geworden, dass dessen Kuppel 2000 Jahre unbeschadet steht und er habe sich die Frage gestellt, was für ein großartiges Baumaterial das denn sei. Er hat dann die genaue Zusammensetzung des Betons analysiert, mit dem die römischen Baulegionäre gearbeitet haben, ihre Bauweisen, ihre Formeln usw. Sein Buch ist bei der University of Guam erschienen (The Roman Pantheon: The Triumph of Concrete, 1995) und macht historisch klar, wie die Römer den Beton entwickelt haben. Wenn man die grandiosen Ausmaße dieser Bauten sieht – Tivoli, Caracalla Thermen, Pantheon, Aqua Claudia, – dann weiß man auch, woher die großen Bauingenieure den Nerv geerbt haben, so etwas in die Welt zu setzen.

Hanns Zischler: Es gibt meines Erachtens sehr wenige Ingenieure, die so wie Nervi oder Robert Maillart derart kühn und präzise mit diesem Werkstoff umgehen konnten.

Heinz Emigholz: Die Berufsbezeichnung Architekt war für Nervi ein Schimpfwort. Es geht um die Bauingenieurskunst und darum, Wissenschaft und Gestaltung in der praktischen Arbeit zu vereinen. Er hat ja bei jedem Bauwerk ein sehr großes Modell gebaut, um Tragsysteme experimentell zu erproben, beispielsweise für das Pirelli Hochhaus in Mailand.

Hanns Zischler: Bei Maillart sind es die Brücken, deren Tragfähigkeit er experimentell bestimmt hat. Das Eindrucksvolle bei beiden ist der Blick und das Wissen. Der Werkstoff gibt die Form in einer bestimmten Weise vor.

Heinz Emigholz: Maillart und Nervi haben in sehr kurzer Zeit die Grammatik einer dem Material angemessenen Gestaltung entwickelt. Maillart hat konsequent analysiert, welche Formen sich aus den Kraftlinien ergeben, und ist zu einer extremen Eleganz in seiner Gestaltung gelangt. Bei Nervi kommt die modulare Bauweise, auch der Einrüstungen, hinzu. Sehen Sie sich die Decken in den römischen Sportpalästen an, oder die der Hallen in Turin. Die sind aus vorfabrizierten Modulen vor Ort zusammengesetzt worden. Das ist Kunst und Wissenschaft auf höchstem Niveau.

Hanns Zischler: Was mich an Ihrem Film interessiert, ist das Tempo oder der Rhythmus des Schnitts. Für mich bewirkt er eine Serie von Nachbildern auf der Netzhaut. Das heißt, es gibt ja manchmal relativ kurze Schnittfolgen. Da man sie beim Sehen verarbeiten muss, wird bewirkt, dass man die Nachbilder noch abspeichert oder betrachtet, während der Film weiterläuft. Das gibt eine seltsame Überlagerung, die fast so etwas wie ein Spannungsgefüge zwischen Bildern ist, als würden Sie quasi mit den Bildern auch etwas bauen.

Heinz Emigholz: Ich sage ja immer: Kameraarbeit ist eine quasi architektonische Tätigkeit. Ihr Ergebnis ist eine virtuelle Architektur, die im Kopf entsteht, abhängig davon, wie gefilmt und geschnitten wurde. Es fängt ja immer sehr simpel an in diesen Filmen, wie eine Addition von Einstellungen. Das Prinzip ist einfach: Ich mache eine chronologische Abfolge der Gebäude, und ich imitiere im Schnitt so etwas wie einen Gang durch, um das Gebäude herum oder wieder heraus. Das ist bei jedem Objekt anders. Das wird auch nicht vor Ort entschieden. Ich muss aber an jedem Ort das Gefühl haben, ich habe das Gebäude kinematographisch erfaßt. Am Schneidetisch lege ich dann den genauen Gang fest. Ich filme aber so, dass es in jeder Einstellung eine Verbindung zur nächsten gibt. Ich will keine Tableaus gestalten, die für sich stehen. Es muss in einer Einstellung etwas drin sein, was in der nächsten fortgesetzt wird, von einem anderen Winkel aus gesehen, kleiner, größer etc. Es muss einen Zusammenhang geben, damit Sie als Zuschauer sich den Raum wieder rekonstruieren können in der Zeit.

Hanns Zischler: Man könnte das, im übertragenen Sinn, ein Konstruktionsprinzip nennen, das auch für einen Bauingenieur gilt.

Heinz Emigholz: Ich habe wenig Ahnung, wie man einen dreidimensionalen Entwurf anfertigt oder umsetzt. Was mich aber nahezu manisch interessiert ist, dreidimensionale Situationen und Gegebenheiten auf einer Bildfläche wiederzugeben. Das ist ein filmfotografischer Akt. Die einzelne Einstellung muss dabei in ihrer Komposition und Gewichtung stimmen. Mich interessiert Architekturfotografie, also Tableaus zu machen – womöglich mit Weitwinkel, um alles zu erfassen – überhaupt nicht. Ich will eine normale, menschliche Sichtweise, das Normalobjektiv, nachvollziehbare Zusammenhänge, also wie ich von Hier nach Dort komme. Man addiert Einstellungen im Gehirn auf, und nach einer Weile passiert diese komplexe Schichtung. Sie gehen langsam durch ein Gebäude, und dann kommt die Erinnerung, wie Sie da hineingekommen sind, wie der Raum zuerst gewirkt hat, wie er sich dann verändert hat. Sie können dann nicht mehr sagen, dass das eine simple Addition von Einstellungen ist, sondern es geschieht etwas Anderes: Das Gebäude wird im Kopf rekonstruiert.

Hanns Zischler: Das heißt, und das ist die Kunst des Schnitts: Wenn Sie dieses Prinzip der Bildanschlüsse in Ihrer Konstruktion befolgen, entsteht ein Gebäude. Man kann ja auch den Umkehrschluss durchaus machen: Wenn man nicht auf diese Anschlüsse im Bild achtet, dann kommt das Gebäude im Kopf nicht zu Stande.

Heinz Emigholz: Bei der Konstruktion des Gebäudes im Kopf hilft auch der Ton. Damit gehen wir sehr sorgfältig um und sagen: Hier oben, auf der ersten Empore in der Halle in Turin zum Beispiel, ist ein anderer Ton als unten in der Halle. Wir nehmen den Ton von den jeweiligen Einstellungen und dann setzen wir das zusammen. Der Ton erzeugt die Linearität des Durchgangs. Es wäre sinnlos, harte Tonschnitte zu machen. Aber es wird sehr genau gearbeitet, um diese Tonmodulationen zu gestalten. Der Raum moduliert den Ton ja ebenso.

Hanns Zischler: Der Ton ist besonders schön. Mehr als die Hälfte ist Vogelgesang mit schönen Begleiteffekten. Zu diesen Nachbildern hat es einen Levitationseffekt für das Ohr. Das heißt, die Vogelstimmen heben den Beton auch. Was bei Nervi auffällt, seine Bauwerke wirken nie schwer. Das was der Mann macht, ist Antigravitation.

Heinz Emigholz: Beim Kleinen Sportpalast sehen Sie die tragenden Teile kaum. Sie denken, das Dach schwebt, weil Sie die tragenden Pfeiler, die Streben von innen gar nicht sehen. Das Gebäude scheint über der Glaswand aufzuhören. Auch von Außen wirkt es wie ein riesiges Zelt, das fliegt.

Hanns Zischler: Da gibt es für mich noch eine Verstärkung durch den Ton, besonders schön auch in den Wechseln und im Turiner Palazzo del Lavoro. Das ist ein verlassener, schmutziger Taubenkäfig, eine fast dramatische Sequenz, die wahrscheinlich etwas länger als andere ist.

Heinz Emigholz: Jedes Gebäude entwickelt seine eigene Zeit. Gewisse Längenentscheidungen werden durch das Gebäude erzählt und vorgegeben, wenn man richtig hinguckt. Wenn ich gefragt werde, wie lange die Einstellungen sind, kann ich das nie sagen. Denn wir sehen beim Schnitt so lange hin, bis wir das Bild begriffen haben. Auch beim Aufnehmen mache ich das. Es gibt also kürzere Einstellungen, bei denen ich denke, die sind schneller zu begreifen als andere, die komplexer sind. Danach wird die Länge bestimmt und nicht nach irgendeinem mathematischen Prinzip. Es geht immer um den gefilmten Gegenstand, und das ist das absolut Befriedigende dabei. Dreharbeiten sind die einzigen Zeiten in meinem Leben, in denen mein Gehirn zu hundert Prozent anwesend und zu Entscheidungen fähig ist.

Hanns Zischler: Osip Mandelstam sagte einmal: Bauen heißt den Raum hypnotisieren. Wie können Sie das Dreidimensionale, das da vor Ihnen steht, in die gefilmte Fotografie bringen? Von daher ist für Sie, dass unterstelle ich mal, 3D keine Option.

Heinz Emigholz: Nein, wäre es nicht. Ich müsste völlig neu darüber nachdenken. Ich habe aber bis jetzt nie das Bedürfnis gehabt, zu denken, dass da jetzt etwas wesentlich fehlt. Ich habe ein Rechteck, das ist flächig. Ich kann die Illusion von 3D ohne Hilfsmittel erzeugen. Wichtig ist mir die Bildauflösung. Also, dass ich nicht ein Medium habe, wie schlechtes Video oder 16 Millimeter, wo Sie die Abstände zwischen den Dingen, die Sie auf einer Fläche zusammenbringen, gar nicht darstellen können, wo sie die verschiedenen Materialien gar nicht mehr identifizieren können. Sie müssen den Raum in seiner ganzen Dimensionalität erfassen können. Und dann – ich mache ja auch eine ganz spezielle Filmfotografie – muss das Gehirn diesen Raum wieder zusammensetzen. Diese Arbeit muss man vom Zuschauer fordern, und dann wird es 3D.

Hanns Zischler: Ich hatte auch nie das Bedürfnis, es in 3D zu sehen. Mich hat eher die konstruktive Abfolge in bestimmten Momenten an Ihre Zeichnungen erinnert. Und zwar deshalb, weil es in Ihren Zeichnungen ja auch ein sehr starkes und dichtes Moment von Überlagerungen gibt, von Durchdringen, Überlagerungen, auch von Spannungsfeldern. Alles in einem quadratischen Feld, das man komplett erfasst und sich dann auf die Einzelheiten konzentriert. Der Blick wandert in den jeweiligen Bezügen, beziehungsweise, wird ja auch geleitet durch Pfeile, durch Punktierungen, durch Raster usw. Das ist für mich eigentlich ein Punkt, quasi der Sprung zurück.

Heinz Emigholz: Seltsamerweise kann ich die Verbindung nicht ziehen. Wenn ich einen Film drehe, ist mein Gehirn auf ganz andere Weise beschäftigt, als wenn ich zeichne. Ich glaube an die Oberflächen, die beim Filmemachen eigentlich den Kern erzählen, und brauche nichts dahinter. Ich komponiere Oberflächen, indem ich sie im Blick zusammenführe. Was mich beim Film, anders als beim Zeichnen, nicht interessiert, sind assoziative Collagen, also etwas innerhalb eines Bildes zu montieren. Die Abfolge der Bilder ist zwar montiert, und dadurch entsteht auch diese Schichtung von der Sie vorhin gesprochen haben. Aber diese Montage würde ich nie innerhalb eines Bildes machen. Beim Film interessiert mich die intakte fotografische Oberfläche der einzelnen Einstellung. Wie wir durch die Welt gehen, setzen wir sie uns zusammen. Der Kopf kann ja nur an einer bestimmten Stelle sein, an der auch gerade kein anderer sein kann. Ich sehe eine Oberflächenkonstellation von einem ganz bestimmten Punkt aus. Das ist das, was mich daran so befriedigt, daß man diesen Punkt finden kann und dann eine bestimmte Zeitspanne im Licht passieren lässt. Es wird ja auch nicht jederzeit gedreht, sondern ein Zeitpunkt ausgewählt, an dem das Licht stimmt. Ich möchte auch kein künstliches Licht machen, sondern den Ort so nehmen, wie der Architekt, der sich ja auch über Lichtmodulationen Gedanken gemacht hat, bestimmt hat. Ich montiere etwas Wirkliches, in dem ich beim Komponieren des Bildes verschiedene Ebenen zusammenschiebe. Aber ich lasse den Blick, den ich von einem bestimmten Punkt aus habe, intakt und sage nicht gleichzeitig: Ich könnte noch etwas anderes dazu mischen, sozusagen durch eine interne Bildbearbeitung. Bei Zeichnungen sehe ich etwas Transparentes, da habe ich eine Riesenlust dazu. Da sehe ich Linien, und was zwischen den Linien ist, muss auch angefüllt werden mit Projektionen. Nahezu mittelalterliche Bedeutungsperspektiven sind das dann.

Hanns Zischler: Kommen wir noch mal auf diese Sache mit dem Werkstoff zurück. Ihre anderen Filme haben sich ja, zum Beispiel LOOS ORNAMENTAL oder auch die amerikanischen Filme, mit den Arbeiten, also den Gebäuden, dieser Architekten beschäftigt. Bei Loos ist es eine Autobiografie. Bei Nervi ist der Star der Werkstoff, der von Nervi in dieser Weise erkannt und zu dieser Entfaltung gebracht worden ist. Sie haben eingangs schon erwähnt, dass die »Enola Gay« beziehungsweise, die Piste für Hiroshima und Nagasaki der Abschluss für Sie ist. Gibt es so etwas wie eine Drift von der Architektur in den Werkstoff?

Heinz Emigholz: Am Anfang dieses Projektes, 1993, standen alle Architekten schon fest: Nervi, Barragán, den ich jetzt leider aus rechtlichen Gründen nicht machen darf, Schindler, Goff, Loos, Maillart und Sullivan. Sullivan war der Ausgangspunkt. Es waren die durch den Stahlkäfig möglich gewordenen Bauweisen, bei denen die Fassaden nicht mehr tragen müssen, die zu einer freien Gestaltung der Fassaden führten. Ein Paradigmenwechsel. Die Betonleute setzten dazu völlig neu durchdachte und gestaltete Trägersysteme in die Welt. Bei Maillart war es für mich das Dach des Bahnhofs in Chiasso. Das habe ich nicht begriffen. Das, was trägt, dachte ich, hängt. Das mußte mir erst mal ein Bauingenieur, erklären, was daran trägt. Ich konnte es als Laie nicht begreifen, als ich diesen Bahnhof zuerst sah, war aber völlig fasziniert davon, und dann natürlich von dem Baustoff, der solch ungewöhnliche Konstruktionen möglich macht. Die Liste der Leute, deren Werke ich gefilmt habe, stand früh fest. Nur passte nicht alles, wie einmal geplant, in einen einzigen Film. Es sind jetzt, mit allen Kurzfilmen, über sechzig Filme geworden. Dieser Film ist der drittletzte. Es wird noch einen zu Auguste Perret geben. Den habe ich schon gedreht, in Algerien und in Frankreich, und dann noch einen abschließenden Film mit dem Titel AUFBRUCH DER MODERNE. Der entstand aus dem Projekt zu Luis Barragán, bei dem mir absolute Hürden in den Weg gelegt wurden. Es wird ein Essay darüber, warum man solche Filme wie den vorliegenden eigentlich nicht mehr machen kann. Denn das wird jetzt verhindert von sogenannten Bildrechten an Gebäuden. Rechte an Bildern, die noch gar nicht existieren, ein logischer Unsinn ist das. Die Barragán Foundation, die zu hundert Prozent der Firma Vitra Design in der Schweiz gehört und die angeblich die Bildrechte an den Barragán-Gebäuden erworben hat, verbietet mir das unter Strafandrohung. Logisch bedeutet das, Sie können im Grunde nirgendwo mehr einen Dokumentarfilm über Architekturen drehen. Wir können nur noch Fiktion machen. Jeder hergelaufene Fritze, der behauptet, er habe Bildrechte an Gebäuden erworben, kann das verhindern. Aktive Bildzensur durch Kapitalisierung imaginärer Rechte ist das.

Hanns Zischler: Mit anderen Worten, bei einem bestimmten reproduzierten Blick, Fotografie, Film, auf ein Haus, auf ein Gebäude von einem Architekten, wird Ihnen vorgeschrieben: Entweder Sie zahlen so und so viel oder Sie dürfen es nicht filmen.

Heinz Emigholz: Das erste Mal, bei dem mir das Problem über den Weg gelaufen ist, war beim Loos-Film. Da gibt es die von ihm erbaute Villa am Genfer See, in der jetzt eine ominöse Loos Foundation haust. Die läßt seit Jahrzehnten keinen Fotografen mehr auf ihr Gelände. Und wem gehört sie: einem Waffenhändler. Es ist ein Elend mit diesen Stiftungen oder Foundations. Unter dem Vorwand, das Werk eines Künstlers zu schützen, lässt es sich prima Steuern sparen, und man kann dann auch noch nahe Verwandte mit einem Direktorenposten versorgen. Um den Bogen zu spannen: Den Film zu Auguste Perret habe ich gerade geschnitten, dann kommt AUFBRUCH DER MODERNE, in dem, neben vielen anderen, weltweit verstreuten Bauwerken, auch die Jahrhunderthalle in Breslau erscheint. Der Film fängt mit einem Stück Gras in der Normandie an, und eine Stimme sagt: »Über diese Sache wird kein Gras wachsen.« Dann kommt der Betonhafen in der Normandie ins Bild, den Churchill während der Invasion dort hat hinschleppen lassen. Das Militär kommt ins Spiel bis hin zur Geschichte von Saipan und Tinian. Ich weiß noch nicht genau, welchen Ausdruck der Film letztlich haben wird. Aber ich habe mir zur Aufgabe gemacht, diesen Abschluss zu machen und zu erzählen, warum solche Filme nicht mehr gemacht werden können. Ich habe gerade noch einmal Glück gehabt in den letzten fünfzehn Jahren, die bisherigen gemacht haben zu können.

Hanns Zischler: Sie sind ja auch Lehrer. Verbindet sich mit diesen Filmen, die natürlich den meisten interessierten Zuschauern eine Welt zeigen, die sie so nicht kennen, weil sie so auf Gebäude nicht blicken oder weil sie so sich anstrengen müssen, erst einmal diesen Blick zu verstehen, eine pädagogische Intention?

Heinz Emigholz: Ich habe es abgelehnt, meine Filme zur Grundlage meiner Lehre zu machen. Ich gehe in der Lehre erst einmal von der jeweiligen Motivationslage der Studierenden für ihre eigenen Projekte aus. Aber es geht ja auch immer um die Etablierung eines Raumes in einer filmischen Szene. Egal was die Schauspieler machen, falls welche darin sind. Der Raum einer Sequenz muss etabliert werden. Und da gibt es viel zu diskutieren, mit welchen Mitteln man das machen kann. Wie stelle ich eine Plausibilität eines Zusammenhangs oder der analytischen Einheit eines Raumes und eines Geschehens her? Als Aufgabe ist es nicht schlecht, zu sagen: Filme doch mal dieses Zimmer hier. Es ist eine dreidimensionale Einheit und Sie haben alle sieben Milliarden Möglichkeiten, dieses Zimmer zu filmen, keine Foundation kann Sie daran hindern. Der Kern meiner Lehre ist Bildarbeit und nicht ideologische Arbeit. Die Frage ist: Wie werden ein Bild und eine Bildfolge konstruiert?

Hanns Zischler: Die abwesende Erzählung, das abwesende Spiel, ist sozusagen in den jetzigen Filmen noch vorhanden. Als Betrachter kann ich wie ein Akteur auftreten.

Heinz Emigholz: Antonioni hat ja auch das Pirelli-Haus und andere Ensembles gefilmt, an dem Jeanne Moreau oder Monica Vitti vorbeiflanieren. Er lässt sie aus der Story herausspazieren und bleibt doch in dieser. Sie gehen spazieren, und dann zeigt er minutenlang nur noch Architekturen und negative space. Er verliert seine Schauspieler während der Handlung, ohne dass man es bemerkt. Ganz erstaunlich ist das. Und plötzlich sprechen diese Räume, Landschaften und Situationen für sich.

Hanns Zischler: Antonioni war eigentlich der erste, der eine derart vollständige Wertschätzung der Architektur hatte und sich davon in dem Maß überwältigen ließ.

Heinz Emigholz: Das ist eine Gleichwertigkeit, und die finde ich als Erzählgrundlage sagenhaft modern. Die meisten Regisseure benutzen ja Architektur nur als Hintergrund, und das auch noch unscharf. Die Architektur zu einem gleichwertigen Protagonisten zu machen, das ist nicht zuletzt sein Verdienst.

Pressestimmen

Keine Form ohne Materie

Von Lukas Foerster

Sieben Architektenfilme hat Heinz Emigholz in den letzten eineinhalb Jahrzehnten gedreht. Vielleicht werden diese (bislang) sieben Filme irgendwann als das späte Hauptwerk des bereits seit den frühen Siebzigerjahren aktiven Avantgardefilmers gelten: ein ganz und gar eigensinniges Programm der Ausmessung, Erschließung und Rekonstruktion von Raumpraxis, das man in eine Reihe stellen kann mit den ganz anders gearteten, aber ähnlich eigensinnigen cinekartographischen Arbeiten Frederic Wisemans oder James Bennings. Mehr auf Perlentaucher

Parabeton – Pier Luigi Nervi and Roman Concrete

By Robert Koehler

The art of concrete as a medium rivets the eye of the film world's most acute observer of architecture, Heinz Emigholz, in "Parabeton." Marking the 19th chapter of his "Photography and Beyond" series of docus on architects and their buildings, and the first of two under the title "Decampment of Modernism," the docu traces Pier Luigi Nervi's 20th-century constructions in chronological order alongside Roman buildings that inspired him. Pic will have great appeal to auds and fests with a love of architecture on the bigscreen. More at Variety Reviews

Die Heiterkeit des Betons

von FRITZ GÖTTLER

Ein neuer Architekturfilm von Heinz Emigholz im Forum, über Nervis grandiose Baukunst

Beton, die spannungsreiche Materie, wuchtig und doch der elegantesten Schwünge fähig. Heinz Emigholz feiert ihn in 'Parabeton', Nr. 19 in seiner 'Photographie und jenseits'-Serie, der erste der abschließenden Abteilung 'Aufbruch der Moderne'. Viele Jahre schon präsentiert er die neuen Stücke dieser Serie im Forum der Berlinale, seine Perspektiven im Forum - sie gehören zu den seltenen Momenten, wo man wirklich ein schönes Gefühl von Kontinuität und Konsequenz auf dem Festival spürt....  Artikel auf Sueddeutsche.de

Parabeton: Berlin Film Review

The film is the latest in an ongoing series of exquisite architecture documentaries by German veteran Heinz Emigholz.

A film without dialogue that manages to speak with eloquence and even wit, Parabeton is the latest in an ongoing series of exquisite architecture documentaries by German veteran Heinz Emigholz. Somewhat more accessible than most of his output in that a gorgeously sun-baked Rome is the setting -- the Eternal City's celebrated ancient buildings are examined alongside their modern neighbors -- it's ideal rarefied fare for the more discerning highbrow film-festivals and arts-oriented TV channels... The Hollywood Reporter

Architektur und Dramaturgie

zu Heinz Emigholz’ „Parabeton – Pier Luigi Nervi und Römischer Beton“

von Christine Lang

Die Architekturfilme von Heinz Emigholz aus der Reihe „Photographie und jenseits“ transponieren die architektonische Raumerfahrung in eine dem Medium Film eigene Seherfahrung. Architektur wird hier nicht skulptural, tableau- und objekthaft in Szene gesetzt, sondern dem forschenden Blick einer anthropomorphen Filmkamera unterzogen. Dabei wird reziprok der Blick thematisiert, für den die architektonischen Räume und Gebäude sich entwerfen, und damit geht es um Rezeptionsästhetik und Dramaturgie, also dem in der Architektur implizierten Betrachter. Zum Artikel auf www.kino-glaz.de

Links

Vertrieb und Produktion

www.filmgalerie451.de/filme/parabeton

Filmsite

www.nervi-film.com