Goff in der Wüste

Al Struckus House, Los Angeles, 1979Goff in der Wüste

Der Film zeigt zweiundsechzig Bauten des amerikanischen Architekten Bruce Goff (1904-1982) – vom Tankstellenhäuschen bis zum repräsentativen Museumsbau – und ist damit die erste umfassende filmische Dokumentation fast aller seiner noch existierenden Gebäude. Bruce Goff ist der große Unbekannte einer originär amerikanischen Architektur. Seine baulichen Erfindungen und Entwürfe liegen quer zu den Idealen der dagegen exklusiv bekannt gewordenen International Style–Bewegung. Die Kontroversen, die das Werk von Bruce Goff zu seinen Lebzeiten auslöste, sind Legende. Fast jedes seiner Gebäude war ein Schock in der Landschaft, der neue, bis dahin ungeahnte Möglichkeiten von Architektur freisetzte.

Heinz Emigholz’ Filmfotografie ist eine kongeniale Annäherung an die von Bruce Goff gestalteten Räume. Die Filmaufnahmen fanden an 40 Drehtagen im April und Mai 2002 auf einer 9.200-Meilen-Reise durch die USA statt.

Abb 1,2: Al Struckus House, Los Angeles, 1979

Al Struckus House, Los Angeles, 1979Goff in der Wüste

Architektur als Autobiografie – Bruce Goff (1904-1982)
Photographie und jenseits – Teil 7

D 2002/3
Länge: 110 Minute, 3155 m, Format: 35 mm, Farbe, 1:1,37

Regie, Filmfotografie und Schnitt:
Heinz Emigholz
Produzenten: Irene von Alberti, Frieder Schlaich
Mitarbeit und Ton: Ueli Etter, May Rigler
Tonbearbeitung: Martin Langenbach, Bernd Popella
Sprecher: Christian Reiner
Titeltrick: Thomas Wilk
Produktionsassistenz: Robin Mast
Produziert von Filmgalerie 451, Stuttgart/Berlin
Koproduzent: WDR, Wilfried Reichart
Unterstützt von MFG Filmförderung Baden-Württemberg und SWR

Dank an Ms. Akright, G. C. Becker, Joanne und Dick Bennett, Bob Benson, Jerri Bonebrake, Bill Brown, Libby Bunch, Mack und Renate Caldwell, Susan und Peter Caldwell, Meggie und Ben Cothran, Harry Compton, Charles Conrad, Mary Jane Daniels, Bob und Della Deme, Glen Etzkorn, Donna und Joniece Frank, Elizabeth Gallup, Julia Gee, Jeff Glass, Connie Golden, Bill und Martha Gryder, Arn Henderson, David und Janet Johnson, Joe und Judy Jones, Ty Kortman, Kevin und Ann Marshall, Steve Maturo, David McGee, Anne Marburger, Jaqueline Miller, Glen Mitchell, Charles und Deanna Myers, Susan Nettinga, Jack und Mary Neuschwander, Sheldon Newman, Ransome Oliver, Carol und Leon Price, Phyllis Randolph, Iona Redemer, Brenda Reed, Sidney K. Robinson, Gabriele Röthemeyer, Stefanie Salata, Mark Sappington, Paul und Jody Searing, Bess und Richard Serr, Dan Sostheim, Deborah Stratman, Robert Sword, David und Rosalee Taylor, Thomas Thixton, Rex Thompson, Marjorie Walden, Patricia Walkup, Laura and Joe Warriner, Thomas Weber und Martina Zöllner

Videolog: Das von May Rigler, Irene von Alberti und Jan Smacka gestaltete Online-Tagebuch zu den Dreharbeiten kann unter www.bruce-goff-film.com eingesehen werden.

Uraufführung: Internationale Filmfestspiele Berlin (Forum), 14. Februar 2003

Goff in der Wüste wurde im Dezember 2003 auf der ›6. Biennale für Medien und Architektur‹ in Graz mit dem Preis für die interessanteste Architekturdokumentation ausgezeichnet.

›Photographie und jenseits‹ ist eine Filmserie über Schrift, Zeichnung, Skulptur und Architektur. Thema der Filme sind aktive Gestaltungs- und Projektionsleistungen – real gewordene Vorstellungen – sichtbar als Schrift, Zeichnung, Fotografie, Architektur und Skulptur. Analysiert wird ein quasi umgedrehter Sehvorgang – Sehen als Ausdruck, nicht als Eindruck. Das Auge als Schnittstelle zwischen Gehirn und Aussenwelt, der Blick eine komponierende Kraft, die ein Inneres nach Aussen stülpt und in der Realität gespiegelt vorführt.

Abb 3: Ledbetter House, Norman, 1947

Ledbetter House, Norman, 1947Gezeigt werden in der Chronologie ihrer Entstehung die Bauwerke George Way House (1922), Adah Robinson Studio (1923), Consolidated Cut Stone Office Building (1925), Day Building (1926), Boston Avenue Methodist Episcopal Church (1926), Skelly Oil Building Addition (1928), Riverside Studio (1928), Guaranty Laundry (1928) und Midwest Equitable Meter Company (1929) in Tulsa, Oklahoma, Watts Lyon House (1929) in El Paso, Texas, Latham House (1930) in Tulsa, Oklahoma, Chester Rant House (1938) in Northfield bei Chicago, Paul Colmorgan House (1940) in Glenview bei Chicago, Helen Unseth House (1940) in Park Ridge, Chicago, Irma Bartman House (1941) in Louisville, Kentucky, Camp Parks Entrance Gate (1944) in Dublin, Californien, Camp Parks Chapel (1945) in San Lorenzo, Californien, Myron Bachmann House Alterations (1947) in Chicago, Illinois, Ford House (1947) in Aurora, Illinois, Ledbetter House (1947) in Norman, Oklahoma, Hopewell Baptist Church (1947) in Edmond, Oklahoma, Julius Cox House (1949, Erweiterung 1959) in Boise City, Oklahoma, John Keys House (1950), Magyness House (1951) und Roger Corsaw House (1952) in Norman, Oklahoma, John Garvey House (1954) in Urbana, Illinois, John and Grace Lee Frank House (1956) in Sapulpa, Oklahoma, Eddie Parker House (1956) in Dallas, Texas, Miller Brother’s Service Station (1957) in Pawhuska, Oklahoma, Comer House (1957) in Dewey, Oklahoma, Pollock House (1957, Anbau 1980), Oklahoma City, Oklahoma, Freeman House (1958) in Joplin, Missouri, Howard Jones House (1958) in Bartlesville, Oklahoma, Robert Durst House (1958, Erweiterung 1976) in Houston, Texas, Redeemer Lutheran Education Building (1959), Richard Bennett House (1959) und Akright House Alterations (1959) in Bartlesville, Oklahoma, Gryder House (1960) in Ocean Springs, Missouri, James Fichette House (1961) in Bartlesville, Oklahoma, Celestine Barby House (1962) in Beaver, Oklahoma, Daniels House (1964) in Gower, Missouri, William Dace House (1964) in Beaver, Oklahoma, Rolland Jacquart House (1965) in Sublette, Kansas, Duncan House (1965) in Cobden, Illinois, Fitzgerald Realty Company Offices (1965) in Tyler, Texas, Lawrence Hyde House (1965) in Kansas City, Kansas, James Nicol House (1965) in Kansas City, Missouri, Searing House (1966) in Kansas City, Kansas, Glen Mitchell House (1968) in Dodge City, Kansas, Youngstrom House (1968) in Lake Quivira, Kansas, Bruce Plunkett House (1970), Home for Parade of Homes (1971), Lake Village Entrance Feature, Model Houses A-1, A-2 und 3, B und Double House (alle 1972) in Flint, Texas, Celestine Barby House (1976) in Tucson, Arizona, Al Struckus House (1979) in Woodland Hills, Californien, und Shin’enKan – Pavillion für Japanische Kunst im Los Angeles County Museum of Art (1978-88, mit Bart Prince), Los Angeles, Californien. Dazu ein morgendlicher Highway bei Tulsa, ein Trailerpark bei Study Butte im Big Bend Gebirge, Texas, ein Fetzen aus „La mer“ von Claude Debussy und die Ruinen von Shin’enKan (1956-1998) in Bartlesville, Oklahoma, am 10. Mai 2002. 


 Gryder House, Ocean Springs, 1960Kurzbiographie Bruce Goff

Bruce Goff wurde am 8. Juni 1904 in Alton, Kansas, geboren und begann 1916 ein Lehrverhältnis im Architekturbüro Rush, Endacott & Rush in Tulsa, Oklahoma. Von 1922-29 war er dort voll beschäftigt, von 1929-33 als Partner. 1918 baute er, noch vor seinem Highschool-Abschluß, sein erstes Haus. 1920 bestand eine kurze Verbindung zu Louis Sullivan. Ohne eine formale Architektenausbildung absolviert zu haben, bekam er 1929, nach vielen eigenen Bauten und einer Zusammenarbeit mit Frank Lloyd Wright, die Lizenz als registrierter Architekt. 1934 eröffnete er in Chicago sein eigenes Büro und baute und lehrte dort bis 1941. Seit Anfang der 20er Jahre malte er auch. Sein besonderes Interesse galt Moderner Musik und den einheimischen Kulturen Nordamerikas, Asiens, der Pazifischen Inseln und Afrikas. Ab 1940 zeichnen sich seine Bauwerke durch einen unvergleichlichen, nie versehbaren Stil aus, der einer radikalen Hingabe an die jeweils gestellte Bauaufgabe entsprang. 1941-45 arbeitete er als Architekt für die U.S. Navy.

 Gryder House, Ocean Springs, 19601945 eröffnete er ein Büro in Berkeley, Californien. Ab 1947 war er Leiter der School of Architecture an der University of Oklahoma in Norman und wurde zu einem extrem einflußreichen Lehrer. 1956 drängte ihn die dortige Bauhaus-Fraktion aus dem Amt, ein Teil seiner Entwurfszeichnungen wurde verbrannt. 1956-64 betrieb er ein eigenes Büro in Bartlesville, Oklahoma, das er 1964-71 in Kansas City, Missouri, weiterführte. 1971 zog er nach Tyler, Texas, wo er am 4. August 1982 starb. Ab 1969 unternahm er ausgedehnte Vortragsreisen nach Japan und Europa. Die erste, von Takenobu Mohri zusammengestellte Monographie seines Werkes erschien in Japan. Bruce Goff hat im Laufe seines Lebens fast 150 Projekte gebaut und viele mehr entworfen. Ungefähr 80 seiner Bauwerke existieren noch.

Abb 4,5: Gryder House, Ocean Springs, 1960 


Originalität und Architektur

Viele Architekten und andere Künstler fürchten Originalität, weil sie selbst keine ausstrahlen, oder sie stellen sie als eine Masche hin, die nur Aufmerksamkeit erregen soll. Sie gehen manchmal sogar so weit, alles Originäre der Substanzlosigkeit zu bezichtigen. Natürlich verdankt sich Originalität in der Kunst nie vollständig der Erfindungsgabe eines einzelnen Gestalters. Dieser ist in Vergangenheit und Gegenwart durch viele Zusammenhänge beeinflußt worden. Manchmal ahmt er etwas nach, aber immer formt er es dabei für seine Sache um. Ein wahrer Künstler weiß, Imitation ist eine Sackgasse und Schönheit vergeht, wo Nachmacherei vorherrscht. Doch vieles, womit er arbeitet, entspringt nicht seiner eigenen Eingebung. Er verwendet geometrische Formen, deren Ursprung im Dunkeln liegen, und er läßt sich von &Mac226;freien Formen’ in der Natur inspirieren. Diese Quellen gehören niemanden, solange sie nicht in einem eigenen Werk umgesetzt werden. Die authentischen Werke anderer, die Natur von Materialien, Methoden und Prinzipien, die Entdeckungen der Wissenschaft und sein Glaube bilden einen Boden, auf dem er wachsen kann. Sie sind das Wasser auf seiner Mühle. Und wenn er mit Inspiration, Imagination, Initiative, Mut und einer Balance aus Gefühl und Vernunft begabt ist und seiner Kunst treu bleibt, wird er sich auf seine eigene, einzigartige Art entwickeln. Seine Arbeiten zeigen Originalität auf natürliche Weise, weil er von Natur aus originell ist, und das ist etwas anderes als modisch. Solch ein Architekt steht in der Tradition der Erneuerung und Revolution. Nur, daß das, was wie Revolution erscheint, in einem übergeordneten Sinn Evolution bedeutet und den Großteil der Kunst ausmacht.

Jedes authentische Kunstwerk ist notwendigerweise neuartig. Existentiell ist es das erste und letzte seiner Art. Es ist keine Kopie von etwas, sondern ein Unikat, das Frische und Bestimmtheit ausstrahlt. Neuheit an sich wird schnell schal, wenn sie Tiefe und Bedeutung vermissen läßt. Ein wahrhaft authentisches Werk zeichnet sich aber durch diese Qualitäten aus. Es ist das Ergebnis eines natürlichen Wachstums geordneter Ideen. Es hat keinen Anfang, denn keiner kennt - auch der Künstler nicht - die vielen Quellen, die in es eingeflossen sind, und keiner kann seine zukünftige Wirkung vorhersagen. Also hat es auch kein Ende. Es ist in einer immer weiter andauernden Gegenwart als ein einzigartiges und wertvolles Geschenk an die Menschheit aus dem schöpferischen Geist des Menschen hervorgegangen. Wenn es einen Wert hat, ist dieser zeitgebunden und zeitlos zugleich. Es steht ebenso in einer persönlichen Beziehung zu seinem Macher, wie es auch unabhängig von dessen Person existiert. Wenn es ein Meisterwerk ist, wird sich sein Einfluß in der Geschichte der menschlichen Kultur fortsetzen und in diesem Kanon bewahrt bleiben.

Ein Meisterwerk muß in seiner Art einzigartig sein. Es tritt auch aus der Gesamtproduktion eines Künstlers hervor, die sich auf eigene Weise entwickelt hatte. Es vertritt eine neue Art Schönheit, eine, die aus Notwendigkeit entstand und kraftvoll, kompromißlos und aufrecht den Horizont der Arbeit des Künstlers erweitert – den seiner Kunst und den Genuß, den sie der Menschheit bereitet. Dazu muß ein Meisterwerk auch das Element der Überraschung enthalten. Es muß unsere Aufmerksamkeit auf sich lenken und ein Geheimnis in sich tragen, das unser Interesse aufrecht hält. Es muß nach seinen eigenen Maßstäben und aus seiner inneren Ordnung heraus perfekt sein, wie „frei“ gestaltet es auch immer erscheinen mag. Man hat den Wunsch, ein großes Kunstwerk von innen zu begreifen und damit zu leben, es zu bewohnen – es in Besitz zu nehmen, wie wir wiederum auch von ihm besessen werden, sei es nun von Literatur, Malerei, Musik oder Architektur. Das ist der Grund, warum Architektur so eine wirksame Kunstform wurde: Unser Körper kann sie bewohnen, aber auch unser Geist in Zeit und Raum. Eines Tages wird Architektur vielleicht, wie Musik, ihre Erdenschwere verlieren, sich verflüssigen und beweglich werden, in ständiger Veränderung begriffen und frei statischen Regiments unserer Stahl- und Betonrahmen entrinnen, dieser monotonen Baukasten-Systematik und der daraus resultierenden rhythmischen Sterilität. Neue Materialien und Methoden, neue Bedürfnisse und ein verbessertes technologisches Wissen werden es erfinderischen Architekten ermöglichen, eine neue Schönheit im Design architektonischer Strukturen zu entwickeln. Sie werden uns dann so direkt ansprechen können wie die Komponisten, die uns durch das Medium der elektronischen Musik ohne Aufführungen oder Interpretationen durch Dritte direkt erreichen. Die Architekten werden Bauwerke entwerfen und herstellen können – etwa durch Kristallisationstechniken oder neuartig genutzte elektromagnetische Kräfte –, die die heutigen Handwerkstechniken, maschinellen Methoden und Computerverfahren obsolet werden lassen. Verlaßt die nach drei oder vier Buchstaben benannten Firmen der Big Business Vertreter und wendet euch dem Ideal einer kreativen und originär künstlerischen Wissenschafts-Architektur zu! Wie auch immer er seine Mittel einsetzen und wann auch immer er sie umsetzen kann, ein schöpferischer Architekt muß sich davor hüten, seine Arbeit einem „persönlichen Stil“ oder „Warenzeichen“ zu unterwerfen. Seine Handschrift wird sowieso ihre eigene Charakteristik aufweisen, egal was er sagt. Entscheidend ist aber, was er entwirft, und jedes seiner Werke sollte sich durch eine eigene Form und einen eigenen Stil auszeichnen. Jedes sollte ein Original sein, dann werden seine sein. Dann wird die Architektur dem von außen herangetragenen Formalismus des Werke zusammengenommen die Originalität ihres Architekten zum Ausdruck bringen. Solch ein Architekt fürchtet keine Originalität, im Gegenteil, er wird an ihr wachsen. Er kann und wird nie andere oder gar sich selbst imitieren.

Bruce Goff, Architekt, am 5. September 1968


Heinz Emigholz im Gespräch mit Siegfried Zielinski

Zielinski: Mitte des 16. Jahrhunderts erschien in Venedig eine merkwürdige Sammlung von Geschichten, die den Titel "Peregrinaggio di tre giovani, filiuoli del re di Serendippo" trug. Die Sammlung basiert auf persischen und arabischen Erzählungen. Sie handeln von drei Prinzen, deren Vater ihnen eine hervorragende Bildung zukommen lässt, sie mehreren Scharfsinnsproben unterzieht und sie schließlich in die weite Welt schickt, damit sie von anderen Kulturen lernen würden. Die überaus klugen Prinzen finden in den Wüsten zwischen Ägypten und Sinai und anderen Landstrichen permanent wunderbare Dinge, die niemand gesucht hat. Sie lesen meisterhaft Spuren und Zeichen und entdecken darin Antworten, nach denen niemand gefragt hat. Der Dichter Horace Walpole hat für dieses Phänomen das Wort „Serendipity“ geprägt. Ich könnte kein schöneres finden, wenn ich die Sensation beschreiben sollte, die bei mir die ersten Teile von „Photographie und jenseits“ ausgelöst haben. Serendipity beinhaltet das Gegenteil von Beliebigkeit. Welcher Art sind die Bewegungen, die zu so überaus geglückten Fundenführen, wie wir sie in "Sullivans Banken", "Maillarts Brücken" und jetzt in "Goff in der Wüste" sehen und bestaunen können?

Emigholz:
Ich versuche mich gerade zu erinnern, wie es zu den Entscheidungen gekommen ist, diese Filme zu drehen. Da war die Abbildung eines Bankgebäudes von Louis Sullivan, auf die ich Anfang 1993 in einem Antiquariat in Santa Monica gestoßen bin. Ich kann mich noch genau an das damalige Gefühl erinnern: Das gibt es nicht, da muß ich hin, den Raum will ich erfahren. Warum diese plötzliche Erregung? Weil ich im Denken zuvor an diesem Punkt angekommen war – der Schaltstelle zwischen Ornament und moderner Bauweise – und ich so eine Wirklichkeit zwar nicht kannte und sie mir auch nicht vorstellen konnte, aber dennoch postulierte. Mein Gehirn war an dieser Stelle empfänglich, und ein schlechtes Foto kann dann ein Auslöser für eine lange Reise sein. Ich wußte von der Existenz der kleinen Bankgebäude Sullivans vorher nichts, war also in Sachen Architektur nicht gerade bewandert. Die Frage ist jetzt, ob diese Gebäude für mich diese Bedeutung hätten annehmen können, wenn sie in irgendeiner Form von enzyklopädischem Wissen aufgehoben gewesen wären. Das Interessante an der Geschichte mit den Prinzen ist ja, daß ihre umfassende Bildung – und ich nehme mal an, das Bestehen von Scharfsinnsproben bedeutet, sie waren großartige Logiker – dazu führte, sich gegenüber der Welt und ihren Erschei-nungen zu öffnen, und nicht zu verschließen, wie die Halbbildung das vornehmlich tut. Sie „erkannten“ die Welt auf ihren Reisen, nicht im Sinne des Zitats und des Wiedererken-nens, nein, der Reichtum der Welt ging in ihren empfänglichen Augen erst auf. Wie ja auch große Logiker erst angesichts der Oberflächen aufleben, die das lebendige Netz der Verstrickungen darstellen. Erst das lohnt die Mühe des Erkennens und nicht jenes alberne Gerüst einer zu kurz gedachten Logik, das die Körper und ihre Oberflächen vergessen macht. Jedenfalls bin ich frisch und staunend auf die Gebäude Sullivans zugegangen. Nur, als wir die Reisen dann gemacht hatten und die Blickergebnisse in einem Film vor uns lagen, habe ich festgestellt, daß das noch nie jemand zuvor gemacht hatte. Das hat mich dann noch einmal mehr erstaunt. Bei Goff war es anders, ich kannte noch nicht einmal seinen Namen und fand mich irgendwann Ende der 80er Jahre im L. A. County Museum im Pavillion für Japanische Kunst wieder, den er zusammen mit seinem Ex-Schüler Bart Prince entworfen hat. Das Gebäude beeindruckte mich so, daß ich mir den Namen des Architekten aufgeschrieben habe. Die Geschichte war damals aber noch nicht reif für mich. Erst nach einem erneuten Besuch zehn Jahre später ging sie voll los. Die Bewunderung für seine Kunst, Räume zu denken, zu bauen und zu gestalten, steigerte sich dann von Bauwerk zu Bauwerk. Dazwischen lag – retrospektiv gesehen als perfektes Bindeglied – die Beschäftigung mit Maillarts Brücken. Und vor diesen Filmen die mit Gaudís „La Sagrada Familia“ in meinem Spielfilm „Der Zynische Körper“. Darin gibt es schon eine ganze Sequenz ohne Schauspieler, die sich nur noch um die Kathedrale kümmert – das Bauwerk als Träger von Story und Biographie.

Zielinski:
Der Blick, den du auf die gebauten Konstrukte der vergessenen, verdrängten oder an den Rand der etablierten Wahrnehmung geschobenen Architekten wirfst, ist einer der radikalen Zuneigung. Mit dem Zuschauen und Zuhören werden wir zu Komplizen in einem sehr intimen Prozess der Annäherung, der Betrachtung und der Durchdringung, den du gestaltet hast. Wahrnehmen wird Begreifen, im sehr direkten Sinn des Wortes, Sehen zu einem haptischen Vorgang und zugleich zu einem des Erkennnens. Die photographische Filmkamera seziert nicht. Die Intensität entsteht nicht durch Dekonstruktion, sondern durch liebevolle Konstruktion.

Emigholz: Die Augen selbst werden innerhalb meines Konstrukts – also dem eines technischen Mediums – wieder zu dem, was sie schon immer waren: zu Außenstellen und Schnittstellen des Gehirns, die keine Codes benötigen. Sie denken und fühlen zugleich. Der Film gerät so wieder in eine reale Relation zu den Oberflächen der Welt und verharrt nicht nur im Spekulativen. Film kann als „imaginäre Architektur in der Zeit“ bewußt Kreuzungen von Ort und Zeit bewahren und analysieren - also das Sehen und das Erblickte zu einer gegebenen Zeit auch wieder auferstehen lassen. Ich zeige in „Photographie und jenseits“ nur Dinge und Konstella-tionen, die ich liebe, und nur in filmfotografischen Einstellungen, die ich auch liebe. Ich stelle die Einzigartigkeit von Räumen dar, und damit natürlich auch die Unmöglichkeit ihrer medialen Repräsentation. Gerade der Aufwand, den wir in unseren Produktionen mit 35 mm und Dolby Digital Stereo betreiben, macht die Verluste deutlich, die die Medien fortlaufend stillschweigend unter den Teppich kehren.

Zielinski: Du hast das gesamte Projekt zu einem Zeitpunkt begonnen, als die Euphorie über die Digitalisierung der Bilder und sämtlicher Formen des Austauschs einen Höhepunkt erreicht hatte, bei dem einem schwindelig werden konnte. Die elektronische Herstellung und Verteilung von Bildern begann, vehement zu inflationieren. Das allermeiste, was in den 1990ern produziert wurde, wird in der Erinnerung kaum das gegenwärtige Jahrzehnt überdauern. Als die beiden ersten Teile in die Kinos kamen, begann die sogenannte neue Ökonomie zusammenzubrechen. Die Heilsversprechungen der Missionare des Elektronischen entpuppten sich großteils als dreiste Hochstapeleien.

Emigholz: Man wird Dir vorhalten, daß es auf das Festhalten von Konstellationen und komponierten Phänomenen gar nicht ankomme, nur der Austausch an sich sei interessant. Was ich ebenso wie du für höheren Blödsinn halte. Ekstase ist eine Falle, mich interessiert Ausdauer. Die Rechenmaschinen offerieren auf ihren multimedialen Oberflächen nur rudimentär demokratische Akte, meist aber nur assoziativen Schwachsinn. Auf dessen Bandbreite bezogen sind sie auch ganz mitleidslos und von lebendigen Einzelwesen nicht mehr einholbar. Wozu auch? Ab und zu greifen wir in den Fluß und ziehen etwas für uns Nahrhaftes daraus hervor. Der Zufall erfrischt dabei ebenso wie die Recherche. „Photographie und jenseits“ ist dagegen ein Argument für eine entschiedene, endliche Gestaltung und steht eben nicht für das „Meer der Möglichkeiten“, in dem wir abstrakt baden gehen können. Schönheit existiert immer nur zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort und nicht als abstrakte Beziehungslogik. Als Logiker sei mir das erlaubt zu sagen. Nebenbei gesagt, haben wir während unserer Produktion die „neuen“ Medien intelligenter genutzt, als so manche Firma, die das auf ihre Fahnen geschrieben hat. Tag für Tag wurde von der „Filmgalerie 451“ ein Online-Making-Of zu allen 50 Drehtagen im Netz veröffentlicht. Monatlich haben sich weit über 100.000 User diese filmischen Spots angeschaut. So etwas hat es noch nie gegeben, „Making-Ofs“ werden sonst immer nur nachträglich getürkt. Damit sind wir auch nicht mehr abhängig von dem Rödelzeug an Filmjournalismus, der sich zur Zeit in den „alten“ Medien breitmacht. Ab der Uraufführung am 14. Februar 2003 flankieren wir den Film „Goff in der Wüste“ mit der Website www.bruce-goff-film.com .

Zielinski:
Ist dein erneuter Griff zur gravitätischen photographischen Filmkamera auch als eine Handlung des Widerstands zu verstehen? Des Widerstands mit ästhetischen Mitteln? Aber auch des Widerstands gegen eine Kultur, in der der mediatisierte Augenblick obszön geworden ist, in der die Tänze auf den Plateaus zur gesellschaftlichen Pflicht werden?

Emigholz: Alles was man tut, kennzeichnet sich auch durch das aus, was man nicht tut. Man setzt Prioritäten, weil man nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung hat. Das würde ich nicht gleich Widerstand nennen, sondern bewußte Wahl. Die „Tänze auf den Plateaus“ sehen von außen doch reichlich albern aus. Daß die Protagonisten der Neuen Medien für ganz andere Kräfte freiwillig die Rolle übernommen haben, den sogenannten „kleinen“ Leuten das überschüssige Geld aus der Tasche zu ziehen, ist ein stocktraditioneller Mechanismus. Sie wurden klassisch vorgeführt. Aber wie soll man jemandem die „Vernachlässigung eines Kerngeschäfts“ vorwerfen, der noch nie „Gefühle in den Augen“ gehabt hat? Vor lauter Freude über neue Assoziationsmaschinen, die einen nahezu religiösen Schein von Unendlichkeit offerieren, sind die Tatsachen der körperlichen Gebundenheit des Geistes glatt übersehen worden. Ich war für meine Arbeit froh, daß die Sphäre der Heilsversprechungen endlich vom Film abgezogen worden und irgendwo anders gelandet sind. Vor diesem Hintergrundgeräusch – nämlich der Verlagerung gesamtkunst-werklicher Anstrengungen auf ein neues, universaleres Medium – hat sich für den Film eine neue Situation ergeben. Er kann sich wieder auf das konzentrieren, was er wesentlich ist: Abbildungs-funktion und lineare Strecke, also Repräsentant des Raumes und Agent des Dramatischen. Film kann sich von dem aufgezwungenen Anspruch befreien, soziopolitisch unterrichtende, oberlehrerhafte, assoziativ essayistische Montagebeweise zu liefern - den Informationskitsch, der die Welt mit seiner Verständnisdecke überzieht, soweit die Antennen und Netze reichen. Nach allem, was Medien inzwischen alles vermögen, ist das so etwas wie ein zweiter Paradigmenwechsel: Die Wirklichkeit soll nicht mehr mit Sprache überzogen und interpretiert, sondern „nur“ so perfekt wie möglich mittels einer intakten fotografischen Oberfläche im Sinne einer „Vorführung“ gezeigt werden - ein Motiv Sensationso alt wie die Geschichte des Films, aber lange Zeit in einer Nebenlinie verschüttet.

Zielinski: „Photographie und jenseits“ entfaltet seine Wirkung auf zwei Ebenen, auf der Ebene des einzelnen Films, den du in das Projekt einfügst, aber auch als Arbeit an einem film-visuellen und audiovisuellen Archiv. Sukzessive entsteht eine Enzyklopädie der Mittel, mit denen eigenwillige Architekten Räume und Orte akzentuiert, verändert, transformiert haben.

Emigholz: Ja, die Dinge können, von Bedeutungszuweisungen befreit, wieder für sich selbst sprechen. Film kann wieder einfach nur zeigen, und muß sich dabei tatsächlich messen lassen an dem, was er abbildet und wie er das tut. Also ein Wort zu meiner Aus-wahl: Die Gruppe „Architektur als Autobiographie“ befaßt sich mit der Repräsentation architektonischer Räume, die ich in der sogenannten „Architekturgeschichte“ für sträflich vernachlässigt halte. Ich zeige in „Goff in der Wüste“ etwas, das von der „Internationaler Stil“ und „Bauhaus“-Bewegung nahezu mit kriminellen Mitteln unterdrückt worden ist. Bruce Goff ist – wie Rudolph Schindler – vorsätzlich marginalisiert und ins Absatz gestellt worden. Bloß weil sie keine Ideologen waren, die weltweit agieren wollten, sondern sich den bestimmten Orten und jeweils besonderen Gestalten ihrer Bauten verpflichtet fühlten. Der Film hat jetzt die Kraft, etwas so ins Zentrum zu stellen, daß es nicht wieder wegzudiskutieren ist. Ein Witz am Rande: In den Siebziger und Achtziger Jahren gab es – ich glaube von der UNESCO initiiert – das Projekt, das „Weltkulturerbe der Architektur“ zu verewigen. Diverse Produktionsfirmen haben sich daran gesundgestoßen, berühmte Bauwerke billig auf Video abzuschwenken. Dieser Mist wurde dann auf Nimmerwiedersehen in Archive versenkt. Man müßte mal ein Forschungsprojekt daraus machen, diese Produkte zu begutachten. Danach kann die Arbeit wieder von vorne losgehen. Den „Archiv“-Gedanken, der ja ein enzyklopädischer ist, kann ich allerdings nur gegenüber meiner eigenen Produktion durchsetzen. Ich zeige in der Untergruppe „The Basis of Make-Up“ alle meine Notizhefte, Skizzenbücher und Zeichnungen in möglichst sinnvollen Zuordnungen. Das ist zugleich vollständig, als auch eine Parodie auf Enzyklopädie. Deren Ziele reichen ja über den Einzelnen hinaus. Das Persönliche stört in ihrem Rahmen nur, und mit dieser Störung befasse ich mich eingehend.

Zielinski: Ist das eine Aufgabe, die du dem photographischen Film nach seinem Durchlauf durch die Beschleunigungs- und Reinigungsmaschinen des Elektronischen zuweist? Die dauerhafte Konservierung (bau)ästhetischer en und des achtungs-vollen Blicks eines Künstlers auf dieselben? Möglicherweise das Kino als im besten Sinn des Wortes Museum, als Stätte für die Veredelung von, in diesem Fall, gebauten Phantasien?

Emigholz: Ich kann keine Aufgaben formulieren, sondern nur das anbieten, was ich am Besten kann: den Raum auf der Fläche repräsentieren. Ich sehe mich als eine qua Vertrag mit der Menschheit ausgehaltene Kameraperson, die ihre Blickresultate zur Verfügung stellt. Nicht mehr und nicht weniger als eine Utopie ohne Dramaturgie ist das. Ich glaube, daß jeder Einzelne den Raum jeweils anders als alle anderen wahrnimmt. Und aus der Wahrnehmung dieser Nuancen entstehen Kunst und Gestaltung. Die Welt zeigt sich uns, und wir führen uns gegenseitig die Welt vor – nicht nur in den Facetten der Dinge, sondern auch in denen unserer Blicke. Im Frieden ist das ein unendlicher Prozeß, den man lieben sollte.

Der Medienwissenschaftler Siegfried Zielinski hat 2002 bei Rowohlt das Buch „Archäologie der Medien – Zur Tiefenzeit des technischen Hörens und Sehens“ veröffentlicht.