The Airstrip

The Airstrip Plakat

THE AIRSTRIP

Photographie und jenseits – Teil 21
Photography and beyond – Part 21
Aufbruch der Moderne – Teil III
Decampment of Modernism – Part III

Film von Heinz Emigholz
D 2013, HDV, 108 min

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Regie: Heinz Emigholz
Buch, Kamera: Heinz Emigholz
Sprecherin: Natja Brunckhorst
Mann am Strand: Ueli Etter
Musik: Kreidler
Kameraassistenz: Till Beckmann
Schnitt: Heinz Emigholz, Till Beckmann
Originalton: Till Beckmann, Heinz Emigholz, Ueli Etter, Lilli Kuschel, Markus Ruff, Christin Wilke
Tongestaltung: Jochen Jezussek, Christian Obermaier
Tonmischung: Jochen Jezussek
Postproduktion, Animation: Till Beckmann
Produktionsassistenz Europa: Markus Ruff, Alex Jovanovic, Lilli Kuschel, Luca Pisciotta, Katharina Zollner
Produktionsassistenz Südamerika: Laura Bierbrauer, Elisa Miller, Lukas Rinner, Christin Wilke
Produktionsassistenz Saipan: Ueli Etter
Musik: 'Moth Race', 'Sun' und 'Rote Wüste' von Kreidler (Alex Paulick, Thomas Klein, Andreas Reihse , Detlef Weinrich)
Film im Film: 'An Bord der USS Ticonderoga' von Heinz Emigholz mit einer Photographie von Wayne Miller
Redakteur: Reinhard Wulf
Produzenten: Frieder Schlaich, Irene von Alberti
Gefördert von BKM - Beauftragter für Kultur und Medien, Medienboard Berlin-Brandenburg, Filmförderung Hamburg-Schleswig-Holstein
Koproduziert mit WDR
Produziert von Filmgalerie 451

Dank an
Francesca Andreoli, Susanne Anger, Laura Costa, Riccardo D’Andrea, Maximiliano Franconieri, Roswitha Hennig, David Moore, Ulrich Müther, Nestor Pan, May Rigler, Alina Rojas, Daniel Saltzwedel, Christián Stupp, Hans Thalgott, Agnieszka Wardawa, Adriana Williams und Akademie der Künste Berlin, Club Atlético Boca Juniors, Film Commission Bologna, Hala Stulecia Wroclaw, Italienische Botschaft Brasilia

Trailer
Musikvideos SUN, ROTE WÜSTE und MOTH RACE von Heinz Emigholz für KREIDLER
Musikvideopremiere von MOTH RACE bei Spex.de

"MuVi-Preis für das beste deutsche Musikvideo" für MOTH RACE auf den Kurzfilmtagen in Oberhausen 2013

Zum Film

Man stelle sich einen Luftraum vor, in dem eine Bombe abgeworfen wurde, die noch nicht ihren Explosionsort erreicht hat. Sie fliegt auf ihn zu und ist nicht mehr zu stoppen. Die Zeit zwischen dem Abwurf und der Explosion der Bombe ist weder Zukunft – denn die unweigerliche Zerstörung hat ja noch nicht stattgefunden – noch ist sie Vergangenheit, da diese unweigerlich im Begriff ist, zerstört zu werden. Die Flugzeit der Bombe beschreibt so das absolute Nichts, die Stunde Null, bestehend aus all den Möglichkeiten, die es im nächsten Moment nicht mehr gibt. Eine Geschichte also, die aufhören wird, bevor sie angefangen hat, und die hier aus Trotz erzählt wird: Eine Architekturreise von Berlin über Arromanches, Rom, Wroclaw, Görlitz, Paris, Bologna, Madrid, Buenos Aires, Atlantida, Montevideo, Mexico City, Brasilia, Tokyo, Saipan, Tinian, Tokyo, San Francisco, Dallas, Binz und Mexico City nach Berlin – ins Bodenlose.

Bauwerke und Skulpturen

Die Dreharbeiten zum Film THE AIRSTRIP fanden von März 2011 bis Juni 2012 in Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien, Argentinien, Uruguay, Mexico, Brasilien, den USA, auf den Nördlichen Marianen und in Japan statt. Der Film zeigt folgende Bauwerke und Skulpturen:

Der gefesselte Prometheus (1899) von Reinhold Begas in Berlin, Deutschland
Mulberry Harbour (1944) von Winston S. Churchill, Arromanches, Frankreich
Pantheon (2. Jahrhundert n. Ch.) in Rom, Italien
Hala Ludowa (1913) von Max Berg in Wrocław, Polen
Kaufhaus (1913) von Carl Schmanns in Görlitz, Deutschland
Einkaufscenter La Vache Noir (2000er) in Arceuil, Frankreich
Monument Gustave Eiffel (1928) von Auguste Perret in Paris, Frankreich
Markthalle (1953) von Renato Bernadi in Bologna, Italien
Flughafen Madrid
Einkaufscenter Mercado de Abasto (1934) von Viktor Sulčič in Buenos Aires, Argentinien
La Bombonera Stadion (1940) von Viktor Sulčič und José Luis Delpini in Buenos Aires, Argentinien
Drei Mausoleen (1930er, 40er Jahre) von Viktor Sulčič auf dem Recoletta Friedhof in Buenos Aires, Argentinien
Parochial Kirche (1960) von Eladio Dieste in Atlántida, Uruguay
Lagerhaus (1979) von Eladio Dieste in Montevideo, Uruguay
Flughafen Montevideo
Las Arboledas (1958-63) von Luis Barragán in Mexico City, Mexico
Doppelhaus (1937) von Luis Barragán in Mexico City, Mexico
Türme am Queretaro Highway (1958) von Luis Barragán und Mathias Goeritz in Mexico City, Mexico
Das Ende einer Autobahn (2012) in Mexico City, Mexico
Flughafen Mexico City
Italienische Botschaft (1959) von Pier Luigi and Antonio Nervi in Brasilia, Brasilien
Flughafen Brasilia
Flughafen Tokyo
Japanisches Gefängnis (1930er) in Garapan auf Saipan, Nördliche Marianen
Einkaufscenter La Fiesta (1990er) auf Saipan, Nördliche Marianen
Monument an den Banzai Selbstmordklippen (1953) auf Saipan, Nördliche Marianen
Flughafen Saipan
Northfield Memorial (1985) auf Tinian, Nördliche Marianen
Flughafen Tokyo
Saint Mary's Kathedrale (1971) von Pier Luigi Nervi in San Francisco, Kalifornien
Flughafen Dallas
Bushaltestelle (1967) von Ulrich Müther in Binz, Deutschland
Kathedrale (1573-1813) in Mexico City, Mexico
Neptunbrunnen (1891) von Reinhold Begas in Berlin, Deutschland

Frag' nicht nach Sonnenschein.
Spruch meines Vaters

Eine Reise nach Saipan

Ich kann den Zeitpunkt genau benennen. Es war am Nachmittag des 23. Oktober 2010, an dem ich mich nach all den Jahren entschloß, auf die Nördlichen Marianen zu fliegen, nach Saipan, um von dort nach Tinian überzusetzen. Wem nicht nur der Name Pearl Harbour etwas sagt, sondern auch bei der Nennung von Midway, Wake, Marcus, Marshall, Kwajalein,  Eniwetok, Gilbert, Truk, Iwo Jima, Attu, Kiska, Salomonen, Bougainville, Rabaul, Ulithi, Guadalcanal, Espiritu Santo, Guam, Palau, Mindanao, Luzon, Tarawa und Okinawa zusammenzuckt, wird diesen Entschluß verstehen. Ich gestehe, daß ich mein Leben der Existenz der ersten beiden Atombomben verdanke und – als Deutscher – einem japanischen Fanatismus, der zu ihrem Abwurf über Japan führte. Dort aber, wo alles kulminierte, im westlichen Pazifik, wollte ich jetzt sein. Ich kam mir vor wie eine Schildkröte, die Tausende von Meilen an ihren Geburtsort zurückschwimmt, um ihre Eier im Sand zu vergraben – an dem Strand, an dem die vielen Soldaten sterben mußten, denen ich mein Leben und eine Kindheit im Schutz des Gleichgewichts des Schreckens verdankte.

Das Leben, wenn es denn lange genug andauert, erzählt sich leichter als Rahmennovelle. Diese literarische Form ist für die Propagierung von Sinn erdacht worden, auch wenn er als Trost nur aus fernen Echos besteht. In den 50er Jahren waren die beiden Kinos unserer Kleinstadt, das Corso und das Odeon, voll mit amerikanischen B-Movies, die von der Schlacht im Pazifik erzählten. Abwechselnd mit Fuzzy-Filmen waren diese s/w-Filme dort fast jeden Sonntag zu sehen. Die erste Konfrontation mit Anatahan von Josef von Sternberg, meinem späteren Lieblingsfilm und Lieblingsregisseur, fiel auch in diese Zeit. Das erste Antlitz eines Schauspielers, das sich nachhaltig neben dem von Al St. John als „Fuzzy“ in mein Bewußtsein eingegraben hat, war das von Lee Marvin, der in vielen dieser Filme als ruhender Pol im Schlachtgeschehen auftrat. Bei unseren Dreharbeiten auf Saipan erfuhr ich, daß Marvin als US Marinesoldat bei der Erstürmung des Mount Tapochau auf Saipan im Juni 1944 schwer verwundet worden war und dafür mit dem Purple Heart ausgezeichnet worden ist. Diese Insel hatte es in sich.

Bei den Recherchen zum Film Parabeton war ich auf das Buch The Roman Pantheon: the Triumph of Concrete des amerikanischen Bauingenieurs David Moore gestoßen. Er beschreibt darin die Zusammensetzung des römischen Zements und die Konstruktionskunst der römischen Baulegionäre. Die Website von David Moore beinhaltet noch zwei weitere Themen: Prostatakrebs von Kriegsveteranen und The Battle of Saipan, an der Moore als „Seabee“ im Juni 1944 teilgenommen hat – als einer der Pioniere des US Navy Construction Battalions, die die Flugfelder auf Saipan angelegt haben.

Am 20. Juli 2009 erschien in The New Yorker die autobiografische Erzählung Rat Beach von William Styron. Ich las sie, weil Styron mir 1990 durch Ausführungen zum „Black Dog“ – ein Begriff den Churchill für seine Depressionen gefunden hatte – in seinem Buch Darkness Visible das Leben gerettet hatte. Die Lektüre von Rat Beach war umwerfend und ausschlaggebend für meine Entscheidung vom 23. Oktober. Styron mußte im Frühjahr 1945 als zwanzigjähriger Offizier auf Saipan die Landung seiner Einheit auf dem japanischen Festland trainieren und beschreibt in dem Text seine damalige Todesangst angesichts eines zu allem entschlossenen, fanatisch verzweifelten Feindes. Und er beschreibt die dröhnenden Motorengeräusche der von der südlichen Nachbarinsel Tinian startenden B-29s, die Tag für Tag japanische Städte bombardierten. Darunter waren auch die beiden B-29-Superfortresses Enola Gay und Bockscar mit den Atombomben Little Man und Fat Man an Bord, deren Abwürfe nicht nur sein Leben retteten.

Auf meinem Rückflug von Saipan nach Tokyo erblickte ich über dem seit 2003 wieder aktiven Vulkan der nördlichen Nachbarinsel Anatahan einen Regenbogen. Ich beschloß, dort in Fortsetzung von The Airstrip den Film Anatahan II zu drehen. Außer Hütten, Höhlen und denen der Pflanzen gibt es darauf keine Architekturen. Es sei denn, man sieht auch die Menschen, die die seit 1990 unbewohnte Insel gelegentlich besuchen, als Gebaute an.

Heinz Emigholz

Photographie und jenseits  –  Stand 2013

In der Zeit nach der Premiere von Der Zynische Körper auf dem Forum der Berlinale am 17. Februar 1991 befand ich mich in einer prekären Lage. Die kommodenhafte Robustheit und coole, erzählerische Eleganz des Films hatten, neben ein paar klugen Kommentatoren, die filmjournalistelnden Witwentröster der Bundesrepublik auf die Palme gebracht. Die Mitarbeiter des Sputnik-Filmverleihs waren bemüht, das Beste für den Film zu tun, aber am Ende war ich als alleiniger Produzent des Films so pleite wie nie zuvor. Das von Manfred Salzgeber initiierte Nachfolgeprojekt, die Verfilmung des Romans Fluß ohne Ufer von Hans Henny Jahnn, zu dem Klaus Behnken, Ueli Etter und ich ein produktionsreifes Drehbuch erarbeitet hatten, wurde von den damals die Szene beherrschenden Münchner Filmpfründe-Oligarchen kalt gestoppt. Zwar besetzte mich Joseph Vilsmaier, nachdem er mich 1991 auf den Filmfestspielen in Cannes „entdeckt“ hatte (nachdem ich wiederum seine Frau, die wunderbare Dana Vavrova, für eine der Rollen in Fluß ohne Ufer „entdeckt“ hatte), in ein paar lukrativen Nebenrollen und rettete mich so vor dem finanziellen Ruin. Meine Entfremdung von Film an sich aber war nie größer als zu jener Zeit, und ich schwor mir, damit aufzuhören – oder wieder ganz von vorn anzufangen.

Der Neuanfang kam dann 1993 mit dem Projekt Photographie und jenseits, das mich der WDR-Redakteur und Liebhaber von Der Zynische Körper, Wilfried Reichart, machen ließ. Reinhard Wulf vom gleichen Sender und diverse Filmförderungen haben diese Zusammenarbeit im Konzert mit Filmgalerie 451 und Amour Fou Vienna dann fortgesetzt. Aber ich hatte damals keine Ahnung, für welchen Zeitraum mich dieses Projekt beschäftigen würde. Hier ein Ausschnitt aus der damaligen Projektbeschreibung: „Photographie und jenseits ist ein Filmprojekt über Schrift, Zeichnung, Skulptur und Architektur. Thema des Films sind aktive Gestaltungs- und Projektionsleistungen – real gewordene Vorstellungen. Analysiert wird ein quasi umgedrehter Sehvorgang – Sehen als Ausdruck, nicht als Eindruck. Das Auge als Schnittstelle zwischen Gehirn und Außenwelt, der Blick eine komponierende Kraft, die ein Inneres nach Außen stülpt und in der Realität gespiegelt vorführt.“

Photographie und jenseits sollte zu Anfang ein cirka hundertminütiger Essayfilm werden, in dem ich mich mit den Tatsachen einer gestalteten Welt und deren Erscheinen auf kinematographisch gestalteten Abbildungsflächen beschäftigen wollte. Architekturen, Skulpturen, Photographien, Zeichnungen, Gemälde, Schriften, Kinematographie, Collagen, Drucke und städtische Landschaften standen auf der Motivliste. Erzählt werden sollte nicht vermittels Sprache oder Dialoge, sondern durch die dargestellten Dinge und Situationen selbst. Nicht gerade ein Projekt für die BBC oder den History Channel und deren weichgekochte Art des Dokumentierens: Hardcore-Dokumentationen begann ich die entstehenden Filme zu nennen. Denn es blieb nicht bei einem Film. Nach einer jahrelangen Phase von Dreharbeiten plus anschliessendem Schnittblock – und dem Zwischenspiel des Aufbaus eines Instituts für zeitbasierte Medien an der Universität der Künste in Berlin – kam es erst 2001 zur Veröffentlichung von zunächst drei kürzeren Filmen, die unter dem Obertitel Photographie und jenseits veröffentlicht wurden. Durch andauernde Zellteilungen auf der Motivliste und die neu hinzugekommende Zusammenarbeit mit Artimage in Graz folgten dann viele weitere kurze und lange Filme. Nach nunmehr zwanzig Jahren seit Beginn der Unternehmung stehen zehn lange und vierundsiebzig kurze Filme auf der Backkatalog-Liste des Projektes. Gekennzeichnet und ermöglicht wurden diese Filme durch eine konsequente Ausschaltung eines überdrehten Produktionsapparates und die Konzentration aller Mittel auf das angestrebte und letztlich ausschlaggebende visuelle und akustische Kinoerlebnis. Man kann die Liste der Filme mit den dazugehörigen Beschreibungen und Kommentaren auf <www.pym.de> und <www.filmgalerie451.de> einsehen. Die weitergehenden, erkenntnistheoretischen Implikationen der Serie habe ich den Fußnoten zum Text The End in Disko 22 <www.a42.org>dargelegt.

Die meisten der bisherigen Filme der Serie befassen sich mit Architektur und verleihen dem Projekt dadurch ein gewisse, unbeabsichtigte Schlagseite. In der Tat sind die architektonischen Studien und Feldforschungen mit den jetzt vorgelegten Filmen Zwei Museen und The Airstrip abgeschlossen – abgesehen von drei Langzeitprojekten, die mich noch einige Jahre beschäftigen werden. Standen zuerst Werkkataloge der von mir bevorzugten Bauingenieure und Architekten der klassischen Moderne (Sullivan, Maillart, Loos, Schindler, Perret, Goff, Nervi) im Vordergrund meines Interesses, obsiegte zum Schluß das Interesse des Kinematographen an anonymen, architektonischen Situationen, die sich mit keinem Namen eines Gestalters mehr verbinden lassen.

Die Erfüllung einer Utopie wäre es, wenn man mir einen jährlichen, unbetitelten Etat gäbe, und ich käme dafür mit mindestens zwei weltweit aufgenommenen Architekturfilmen zurück: einer Komödie und einer Tragödie. Ich bin mir sicher, daß alles, was Menschen überhaupt zu erzählen haben, in Architektur vorzufinden ist: ihre Liebe zueinander, ihre Angst voreinander, ihr Bedürfnis nach Schutz und Ausstattung, ihre Eingebundenheit in den Zirkel der Natur. Nicht zuletzt wird eine der Architektur innewohnende brüllende Komik weltweit unterschätzt. Leider wird sich diese Utopie nicht erfüllen lassen, weil sich die Vorfinanzierung von Filmen dem Wort verpflichtet fühlt und nicht dem Bild.

Heinz Emigholz

Interview zu THE AIRSTRIP

STEFANIE SCHULTE STRATHAUS: An der Serie Photographie und jenseits arbeitest Du nun schon seit über 20 Jahren. Die Architekturfilme der Serie waren nie nur Filme über Architektur oder einzelne Architekten, sondern im gleichen Maße Filme über das Kino und über Dich als Autor. Über das Konstitutive der eigenen Wahrnehmung. Ihre Struktur war fast immer gleich: Chronologische Abfolge der Bilder mit Nennung der Entstehungsdaten sowohl des Bauwerkes als auch der Aufnahme. Die Bauwerke haben Deine Reiseroute festgelegt. Diesmal ist es anders: Deine Reiseroute führt Dich zu sehr unterschiedlichen Bauwerken und, wie Du es ausdrückst, ins Bodenlose. Was ist passiert? Und wie verändert das die Relationen? Welches neue Verhältnis zwischen Architektur und Kino kommt darin zum Ausdruck?

HEINZ EMIGHOLZ: Der Film ist das Produkt eines lange gehegten Wunsches und einer Notwendigkeit zugleich. Es bestand die Notwendigkeit, mit den Resten bzw. Anfängen eines Filmes zum Werk von Luis Barragán umzugehen, den wir aufgrund der horrenden Bildrechte an seinem Werk nicht fortsetzen konnten. Von ihm sind nur die Objekte im öffentlichen Raum geblieben, die zu filmen man uns nicht verbieten konnte. Für mich war das ein Glück im Unglück. Die alleinige Beschäftigung mit seinem doch mehr designlastigen Werk hätte mich um eine Quintessenz in der Architekturfilmserie gebracht. Ich hatte schon immer den Wunsch, frei zu arbeiten, und schlug meinem Produzenten, Frieder Schlaich von Filmgalerie 451, vor, auf einer ausgedehnten Reise weltweit eine Liste von Architekturen oder architektonischen Ensembles zu dokumentieren, aus deren späteren Abfolge im Film sich ein weitergefaßter Sinn ergibt. Sozusagen ein Miscellanea-Film mit einer Zuspitzung, nämlich der, wie sich aus dem ideologisch-skulpturalen Kitsch des wilhelminischen Deutschlands eine Zerstörungswut entwickelte, die die ganze Welt umspannt und Architekturen schlicht in Vorkriegs, Kriegs- und Nachkriegs- bis hin zu Schuldarchitekturen eingeteilt hat. Daß Frieder Schlaich mir das mit The Airstrip – nach Parabeton und dem Perret-Film, die schon aus demselben Etat für einen einzigen Film finanziert worden waren – noch ermöglichte, spricht einerseits für unsere ökonomische Arbeitsweise und andererseits für seine Risikofreudigkeit und sein starkes, persönliches Engagement für das Langzeitprojekt. Aber auch für die Einsicht, es zu einem Abschluß bringen zu müssen, bevor wir wieder Spielfilme zusammen produzieren. Das „Bodenlose“ ist für mich der ewige Kreislauf zwischen Zerstörung und Neuanfang – pathetisch, brutal und voller Opfer. Eine Spirale des Immergleichen: Konstruktion, Katastrophe, Zerstörung, Not, Rekonstruktion, bis hin zum unfaßbar idiotischen Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses im Namen einer „Tradition“, die auf Mord und Totschlag beruht. Film kann erzählen, welche endlichen Schicksale in dieser Spirale hängenbleiben.

In Zeiten des Internets erhält es eine neue Bedeutung, wenn jemand um die Welt reist, um Bilder zu machen. Wenn Du mit der Kamera ein Bauwerk erfasst, beschreibst Du das als einen Vorgang, der es ermöglicht, die unmittelbare Erfahrung von Räumen filmisch nachzuvollziehen. Ist dieser Erfahrungsraum übertragbar auf den Vorgang des Reisens in mehrere Länder? Hast Du auf dem Weg von den bisherigen Filmen der Serie hin zu THE AIRSTRIP eine Schwelle zwischen Dokumentarfilm und - ich würde es nicht Fiktion nennen, sondern Schreiben von Philosophie - gespürt?

Die Reisen und ihre Ergebnisse sind auch eine Replik auf das, was im Netz vorzufinden war oder ist. Jedes neue Medium schließt alle vorhergehenden mit ein, aber es übernimmt im gewissen Grad, jedenfalls zu Anfang, auch deren Fehler und ästhetische Normierungen. Einerseits den Kult des repräsentativen Bildes, wie er in der Architekturfotografie vorherrscht, und andererseits der des „ungestalteten“ Bildes, der in manchen Gehirnen immer noch für „Authentizität“ steht. Die subjektive Reaktion auf eine besondere architektonische Situation darzustellen, ist ein autorialer Akt und erfordert eine direkte Konfrontation mit dem Objekt, die nicht aus zweiter Hand übernommen werden kann. „Dokumentarfilm“ ist ebenso wie „Experimental-, Avantgarde, Underground-, Spiel- oder Whatever-Film“ in einem Netz unsäglicher Zuschreibungen und Definitionen gefangen, die leider zu oft einen eigenen, analytischen, und wenn Du so willst, auch philosophischen  Zugang zu den darzustellenden Situationen verhindern. Ebenso wie filmtechnische Formatfragen, die zwar ihre Bedeutung haben, aber immer auch marginal bleiben, falls man sich keiner Nostalgie verschreiben will. Diese Genres haben sich wesentlich in einem westlichen Kulturzusammenhang formiert, der beileibe nicht immer mit "Aufklärung" gleichzusetzen ist. Da hilft auch keine Zementierung in der akademischen Welt. Die Auseinandersetzung mit anderen, örtlich und zeitlich versetzten Kulturen, die nicht die "unsrigen" sind, überführt so manches Avantgarde-Gehabe als höheren Blödsinn. Was wir der Welt im Wesentlichen noch zu bieten haben, ist das Bewußtsein von im Kapitalismus aufgeklärten, "kritischen Kunden".

Die radikal subjektive Auswahl der Bauwerke vermittelt zunächst den Eindruck, als würde der Autor aus dem Inneren seines Werkes heraus eine Sprengung auslösen, zunächst behutsam, später etwas lauter (auf die Musikvideos kommen wir noch zu sprechen). Doch die Liebe zum Bild bleibt dabei erhalten. Sie besteht vor allem darin, dass jede Einstellung sehr sorgfältig ausgewählt ist und lange genug dauert, so dass der Zuschauer das Bild ganz erfassen kann. Nur diesmal fügt es sich in keinen Sinnzusammenhang ein, der an den Namen eines Architekten geknüpft ist. Das, was die Bilder zusammenhält, ist nicht offensichtlich, die Bilder scheinen versprengt, und dennoch bilden sie ein Ganzes.

Die Balance zwischen Sprache und „Stille“ zu halten, war in diesem Film die größte Herausforderung. Dreh- und Angelpunkt des Projektes Photographie und jenseits war immer eine genau überlegte Kinematographie und der argumentative Einsatz dieser durchgestalteten Bildflächen innerhalb eines Filmes. Die Bilder sollen erzählen und argumentieren, und ihre Abfolge soll den Zusammenhang herausarbeiten – zwar einen außerwörtlichen Sinn, aber dennoch einen begreifbaren. Die Abfolge ist für mich zwingend, da gibt es keine beliebigen Bilder, sondern einen Fortgang des Begreifens. Und Sinn ist in diesem Film für mich die Darstellung eines Wiederholungszirkels mit den Bestandteilen Fortschritt, Besinnungslosigkeit, Terror und Neuanfang. So steht für mich denn auch der heutige Zustand der Bushaltestelle von Ulrich Müther in Binz auf Rügen – eingezwängt zwischen gigantischen WC-Bauten – für ein tragisches Finale im Umgang mit der Architekturgeschichte der Moderne.

Dieser Wiederholungszirkel findet sich innerhalb des einzelnen Werkes ebenso wie in der Serie der Filme. In THE AIRSTRIP kulminiert das nicht nur in der Heterogenität der Bilder, die mit der Homogenität in den meisten der bisherigen Architekturfilmen bricht. Auch das seltsam märchenhafte Voiceover, die plötzlich einsetzenden animierten Elemente und die Musik reißen Dein Werk aus dem Horizont der Erwartungen. Das hat eine ziemlich Sprengkraft, die Du mit dem Bild der Atombombe in Verbindung bringst. Eine eigenartig verstörende Vermischung von Kunst und Realität.

Erwartungshaltungen wären ja nur zu akzeptieren, wenn es eine Kultur der „Wissenden“ gäbe. Wir müssen uns aber die Welt immer wieder neu erzählen, weil es auf unseren Lebensspieralen auch immer wieder neue Tatsachen wie zum Beispiel die der Massenvernichtungswaffen gibt. Diese Tatsachen spiegeln immer auch den Stand der Wissenschaften wieder, also von Biochemie und Physik, und mit dem „Fortschritt“ der Waffen entpersonalisiert sich zugleich ihr Einsatz, der immer anonymer und von Zufällen geleitet wird. Daß auf den Denkmälern neben den Betongruben, aus denen auf Tinian die beiden Atombomben in die B-29s geliftet worden sind, die Namen der Bomberpiloten angegeben werden, empfinde ich als grobe Täuschung. Die Flieger wußten nicht, was sie damals transportierten. Sie nahmen vielmehr an einem durch und durch anonymisierten Menschenversuch teil. Abschreckung durch flächendeckende Zufallsbestrafungen und Kollateralschäden stand wie nie zuvor auf dem Programm. Ich sage damit übrigens keineswegs, daß diese Art, Schicksal zu spielen, schlimmer ist als ein gezielter Abwurf. Letztenendes sind die Menschen für ihre Regierungen verantwortlich, auch wenn sie nichts mit ihnen zu tun haben wollen.

Die Tatsache, dass Deine Filme die Dreidimensionalität der Architektur in die zweidimensione Fläche des Bildes übersetzen, wird einem spätestens klar, wenn Fleisch, Schinken, Kleider und Küchengeräte durchs Bild fliegen, die aussehen, als wären sie aus der Wurfsendung eines Supermarktes ausgeschnitten. Das ist fast schon Slapstick und sehr lustig. 

Sie stammen ja auch aus diesen Wurfsendungen. Mein Briefkasten ist der einzige im Haus, an dem der Aufkleber „Keine Werbung!“ nicht angebracht ist. Das Zeug ist von dort aus zuerst in meine Notizbücher gewandert und dann in den Film. Und dort vertreten sie den Kalauer „Wir sind alle Fleischstücke“, besonders im Flugverkehr. Wobei die Nebenbedeutung von Duty Free Shop ja auch nicht gerade von schlechten Eltern ist. Das ist Wilder Westen, Genuß ohne Reue.

Und plötzlich sind wir in einem Musikvideo. Zu hören ist „Moth Race“ von KREIDLER. Die Szene hat als Kurzfilm mit dem Titel „Duty Free from THE AIRSTRIP, Decampment of Modernism Part III“ in Oberhausen einen Preis für das beste Musikvideo gewonnen. Wie kam es denn zu dieser Zusammenarbeit? Und war von Anfang an klar, dass diese Arbeit und Ausschnitte aus zwei anderen, die Du mit KREIDLER gemacht hast, Eingang in Deinen Langfilm finden werden?

Nein, von vornherein war gar nichts klar. Andreas Reihse von KREIDLER hat mich Anfang 2012 gefragt, ob ich ein Video zu einem der Stücke ihres neuen Albums machen würde, weil er schon seit langer Zeit ein Fan meiner Zeichnungen war. Mit Zeichnungen ist mir nichts eingefallen, aber ich hatte gerade auf den Nördlichen Marianen diese lange Anfahrt durch den jetzigen Dschungel auf den 1945er Startplatz der beiden Atombomben gefilmt, und das KREIDLER-Stück „Rote Wüste“ paßte, meines Erachtens, bestens dazu. Nur war das Stück acht Minuten lang und meine Einstellung über zwanzig Minuten. Andreas hat dann extra für das Video eine neue Abmischung des Stückes gemacht, die mit der Länge meiner Fahrt übereinstimmte. Und das Ding läuft jetzt in voller Länge – auch als Trailer für THE AIRSTRIP – auf YouTube rauf und runter. Im Film ist davon ja nur ein kurzer Ausschnitt zu sehen. Danach fielen mir nach und nach zu allen Stücken ihres Albums „Den“ Videos ein, darunter auch „Moth Race“, aus dem Material der Flughafenpassagen in THE AIRSTRIP. Alle Musikclips zusammen bilden jetzt so etwas wie eine Mini-Retro meiner Filme.

Interview: Stefanie Schulte Strathaus, Januar 2014

 

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Pressestimmen

'Saipan, Tinian landmarks star in German film out in spring' A German filmmaker travelled to the Northern Marianas last year to shoot scenes for a movie that is scheduled for release this spring. Heinz Emigholz, who founded the production company Pym Films in 1978, was on Saipan and Tinian from April 5 to 12, 2012, with colleague and fellow artist Ueli Etter to work on the film The Airstrip-Decampment of Modernism. The two-hour film is the last installment of a series of films about modern architecture that have been shown worldwide in cinemas, film festivals and were especially acclaimed in the United States, said Emigholz. “It will contain several scenes with concrete ruins of Japanese military buildings on Saipan, and “Northfield” on Tinian with its concrete loading pits for the atomic bombs Little Boy and Fat Man,” he told Saipan Tribune, adding that the principal photography for the movie was done all over the world in 62 days. Emigholz, 64, said that his reasons to come to Saipan were manifold. He has studied and written about the Pacific War for decades, and loved the film Anatahan by Josef von Sternberg since childhood. Rat Beach, a story about 1945 Saipan written by William Styron, also piqued the interest of the professor for Experimental film at Berlin University of the Arts. What finally convinced him, however, was the book The Roman Pantheon: The Triumph of Concrete by the late American war veteran David Moore and published by the University of Guam, which he came across when he did a film about the historical and one of the best-preserved structures. “He was a civil engineer and his book is the best about the Pantheon I ever read,” Emigholz told Saipan Tribune, saying that Moore's book also led to his discovery of Moore's website, www.battleofsasipan.com. “I definitely will come back to Saipan and stay some time to work on a book.” When Emigholz returned to Germany following his brief stay in the Northern Marianas, members of the German group Kreidler approached him and asked him to do a video for a track in their new album Den released last Oct. 5. Founded in 1994, Kreidler combines electronic and analog instruments and is categorized by critics, depending on the publication, as electronic music, pop, avant-garde, post rock, ambient, neoclassical, krautrock or electronica. “I listened to their material, liked it and decided to do clips for all seven tracks,” said Emigholz, adding that he used materials shot in the CNMI for the videos of two tracks. He used the shot during the ride to the loading pits on Tinian for the video for Rote Wüste (Red Desert), which was released a month before Kreidler's album came out “and became very popular.” Meanwhile, Emigholz used shots of La Fiesta, the site of the Japanese Banzai attack on July 5, 1945, for the video of Sun. The Rote Wüste video, which has 5,804 views as of press time, can be seen at http://www.youtube.com/watch?v=rkuIMV-tUGc while the Sun video, which has 2,128 views, can be accessed at http://www.youtube.com/watch?v=-Efw_Zpg71E. (Saipan Tribune, 9.1.2013, Clarissa V. David)