Gespräch Heinz Emigholz mit Klaus Wyborny am 6. Dezember 2009

Abschrift des auf der DVD "The Formative Years (II)" veröffentlichten Video-Interviews:

Gespräch Emigholz mit Wyborny (122.54 KB) 

Heinz Emigholz: Diese Bolex, mit der diese Filme gedreht worden sind, war deine. Das war ja ein richtiges Arbeitspferd in der Zeit.

Klaus Wyborny: Ich hatte mir die im Leihhaus am Hansaplatz in Hamburg gekauft für 2000 DM mit diesen drei Objektiven, die es gab.

E:   Ich hatte aber ein Zoomobjekt.


W:  Das habe ich mir später nachgekauft, als ich in Marokko war und ich merkte, dass man mit den drei mitgelieferten Objektiven, dem 10er, dem 26er und dem 75er nur sehr beschränkte Aufnahmemöglichkeiten hatte, und ich hätte gern ein Objektiv dazwischen gehabt.

E: Die Schenec-Tady-Filme wären natürlich ohne das Zoom-Objektiv gar nicht möglich gewesen, weil ich darauf diese Brennweitenstufen eingezeichnet und damit komponiert hatte.

W: Mit der Kamera habe ich dann „Die Geburt der Nation“ in Marokko gedreht. Als ich zurückkam, habe ich dich dann deutlicher kennengelernt. Du hattest dann gefragt, ob du die mal ausleihen kannst. Du hast mir dann das Skript gezeigt. Ich dachte dann, das tut der Kamera bestimmt nicht gut.

E: Sie ist dann ja auch kaputt gegangen. Wir mussten sie reparieren lassen. Der Auslöser war völlig hinüber nach vielleicht 20 000 Einzelbildern,

W: Wenn man diese Partitur hier sieht. Aber was tut man nicht alles für die Kunst. Die Kamera ist ja nichts Heiliges.

E: Wusstest du denn damals, dass das Kunst ist? Das Verhältnis zwischen Film und Kunst war doch damals etwas angespannt.

W: Ja, ganz richtig, ich hab mich da auch nie als Künstler begreifen können. Ich hatte das Gefühl, wir waren in einem Forschungsunternehmen. Vielleicht kam das daher, dass ich vorher Physik studiert hatte. Es für mich selbstverständlich, dass, wenn man etwas tut, sich an den Fronten dessen bewegt, was überhaupt möglich ist. Das habe ich auch im Film in Amerika 1968/69 entdeckt. Da gab es eine ganze Generation von Filmemachern, die das, was bisher im Film üblich war, so weit ausdehnten, dass sie wirklich Neuland betraten, dass sie gewissermaßen Forschungsarbeit leisteten. Das war eine Sache, die ich total interessant fand. Das Lyrische, den persönlichen Ausdruck mit Forschungsarbeit zu verbinden. Da habe ich in dir so ein ähnliches Denken sofort entdeckt. Das war etwas, das hat es vorher nicht gegeben.

E: Es war eigentlich so, dass ich mit Film gar nichts zu tun haben wollte. Die Motivation war nicht vorhanden, jetzt mal so etwas wie Spielfilme oder Repräsentation zu machen. Mit Rüdiger Neumann hatte ich 1968 angefangen, einen ersten Film zu machen. In Normal-8, dann auch auf 16mm. Wo die Kamera herkam, weiß ich nicht mehr. Das wurde alles zusammengeliehen. Da gab es bei mir noch so ein naives Filmverständnis. Das ist dann bis 1972 den Bach runtergegangen. Du warst 1968 in Amerika?

W: Ich hatte ja Physik studiert und hatte dann den Job als Physikassistenz an der Yeshiva University gekriegt, über Vermittlungen von einem Dozenten für statistische Mechanik. Da haben wir Quantenfeldtheorie und Neutronensterne untersucht. Das war, als der große Schub mit den Schwarzen Löchern entstand. Gleichzeitig hatte ich aber Filme gemacht und Leute wie Jack Smith beobachtet und Ken Jacobs und Jonas Mekas kennengelernt.
 
E: Die waren in der Zwischenzeit auch in der Hamburger Filmcoop zu sehen. Ich habe das in den ersten Jahren eher als Konsument auf den Filmshows mitgemacht. Aber eigentlich war für mich der richtige Bruch zum Filmemachen hin erst 1971/72, als ich gemerkt habe, mit Hegel und Philosophie an der Uni werde ich langsam wahnsinnig. Besonders bei diesen Umständen an der Uni. Ich weiß nicht wie es dir gegangen ist, ich fand das total vulgär.

W: Ach, du meinst den Marxismus, der die ganze...

E: Das würde ich gar nicht mal sagen, aber wer da nicht alles Hegel vom Kopf auf die Füße stellen wollte, dass ist schon sagenhaft. Es war einfach so, dass diese Art des Denkens auf die Dauer nicht attraktiv war. Literatur hat mich sehr interessiert. All die Filme haben literarische Widmungen. Bei Schenec-Tady, was du da gerade hast, steht jetzt Für Birnam Wood. Das war aus Macbeth, diese Erscheinung, der Wald kommt auf dich zu. Das ist gar nicht möglich, aber das ist dann technisch eben doch möglich. Oder der zweite Film war Für Alchimie du verbe von Rimbaud.

E: Und dann eben Arthur Gordon Pym. Du hattest glaube ich Melville, du hast auch deine Firma danach benannt.
 
W: Typee Film. Conrad fand ich ganz toll.

E:  Ich frage mich manchmal, ob nicht für uns die Verbindung zur Literatur viel gediegener oder strenger war, als jetzt zum Film.

W: Das kann ich für mich nicht sagen. Ich hab eine ganz solide filmische Ausbildung im Arbeitskreis Film gehabt.

E: Ach, das konnte man schon haben?

W: Wir haben Filme im Audimax gezeigt. Damals war solch ein Hunger nach diesen Filmkunst-Filmen, dass da schnell mal tausend Leute kamen, die alle eine Mark bezahlten. Dann hatten wir sofort tausend Mark verdient, bei jeder Veranstaltung. Das haben wir in eigene Filmproduktionen gesteckt, mit Costard und Struck und anderen. Wir haben auch einen Schneidetisch gehabt. Mit dem hast du doch auch noch gearbeitet.

E: Das war unten im Philosophenturm im Keller. Da war ich mal.

W: Unter dem Philosophenturm gab es diese kleine Werkstatt, in der man arbeiten konnte. Da haben wir systematisch die ganze Filmkunst aus der ganzen Welt geholt. Ozu-Filme aus Japan und so etwas. Von daher hatte ich eine ganz gründliche Ausbildung in Filmgeschichte. Ich kannte praktisch die ganze Filmgeschichte, als ich anfing, Filme zu machen.

E: Das war aber auch noch die Zeit, wo ziemlich viele sehr gute Filme im Fernsehen liefen.

W: Nein, im Fernsehen liefen die noch nicht, aber im Kino liefen die. Das kam später, das war 1970 ungefähr. In den 60er Jahren war absolute Filmwüste im Fernsehen. Da gab es nur Fernsehspiele, aber die Filmkunstszene war noch relativ aktiv. Daß Bergmann-Filme ins Kino kamen, war eine Selbstverständlichkeit. Auch Godard-Filme waren im Kino.

E: Für mich war der Ansporn, die Möglichkeit, dass es auch anders geht, die Amerikaner.

W: P. Adam Sitney, der 1966 oder 67 nach Hamburg kam, war ganz entscheidend. Das ist ganz klar.

E: Und für mich war Larry Gottheim entscheidend. Ich weiß nicht mehr, wann der kam. Schenec-Tady kam raus in London auf dem Filmfestival. Da war auch dein Film.

W: Da lief auch Die Geburt der Nation.

E: Und danach kam, glaube ich, Larry Gottheim nach Hamburg zur Filmshow.

W: Ich glaube, der kam schon vorher. Das war in 72, nachdem ich den Marokko-Film gedreht habe, mit dieser Kamera.

E: Den hast du 72 gedreht?

W: 19 73 ist der fertiggestellt wurden. Dann gab es eine Filmschau in Hamburg, wo die Premiere war. Dafür hat Klaus Feddermann Filme aus Amerika eingekauft. Der hatte irgendeinen Etat gekriegt, 20000 Mark. Dafür hat er praktisch alle guten Filme, die jetzt noch im Arsenal verliehen werden, eingekauft. Da gab es eine wirklich spektakuläre Filmschau, die praktisch alles Neue aus Amerika gezeigt hat.

E: Ja, die habe ich auch gesehen.

W: Da war auch Larry, ich erinnere mich.

E: Da habe ich ihn aber nicht kennengelernt.

W: Ich habe ihn da aber kennengelernt. Ich glaube, über ihn lief auch der Kontakt, dass wir nach London konnten.

E: Da habe ich keine Erinnerung mehr dran.

W: Das war dann der entscheiden Punkt, dieses London Festival Ende 73. Da sind praktisch unsere Sachen so ein bisschen in die Welt gekommen. Vorher war das mehr so eine Provinzveranstaltung.

E: Da waren auch Simon Fields, Tony Rayns, und andere von Time Out. Die dann später ins ICA gingen und dort Programme machten. Und die Londoner Film Coop war natürlich auch da.

W: Das war ein 14 Tage Festival, wo praktisch alles lief. Als Vorfilm zu Die Geburt der Nation lief der letzte Film von Makropoulos.

E: Für mich war entscheidend, gleich die erstbeste Chance zu nutzen, nach Amerika zu gehen.

W: Das kann ich mir vorstellen.

E: Um diesen Wahnsinn zu relativieren, mit dem man es ja doch zu tun bekam. Ohne das, wäre das auch schlecht ausgegangen.

W: Vielleicht noch einmal zu Schenec-Tady. Diese unglaubliche Ausgereiftheit, die hat mich schon damals verblüfft. Dass du, bevor du gedreht hast, so eine wahnsinnige Partitur entwickelt hast, mit diesen geometrischen Diagrammen.

E: Das sind ja alles nur Aufschreibsysteme.

W: Ich weiß, ich glaube ich hab auch ein Bild von dir aus der Zeit. Eine Glühbirne, die du so pointelliert kariert hast. Du hattest so eine Art ins Pingelige zu gehen damals, oder?

E: Du hast ein sehr gutes Bild von mir, da ist so eine Palme drauf. Hast du das noch?

W: Ja, das habe ich noch.

E: Ich wollte es mir schon mal zurückkaufen.

W: Ich wollte das neulich verbrennen.

E: Wieso wolltest du es verbrennen?

W: Weil ich mein Studio aufgeben musste. Das war natürlich nur ein Witz. Ich wollte es nicht verbrennen.

E: Dann kaufe ich dir das ab, für 200 Euro. Ich glaube, das hast du damals dafür bezahlt.

W: Was, wirklich? Nein, das ist mir immer noch sehr lieb, das Bild. Du hattest jedenfalls so eine kleinteilige Art.

E: Ich sage dir mal etwas zu der Pingeligkeit. Das war eigentlich eine Berufskrankheit. Als Retuscheur musst du ja unsichtbare Arbeit leisten. Wenn da noch irgendein Krümel zu sehen ist, ist das ein Fehler. Das hat sich ein bisschen übertragen. Ich habe immer versucht, dass aus meinem System rauszukriegen. Erstmal den ganzen Beruf abzuschaffen, und dann etwas Anderes zu machen. Es ist wahr, dass so eine Art Akribie übergeblieben ist. Nur, hier ist dieses Aufzeichnungssystem absolut notwendig. Du musst ja in einem Koordinatensystem auf einen Punkt wieder kommen, um überhaupt eine Komposition machen zu können mit Einzelbildern. Das war der springende Punkt. Das muss man machen, wenn man filmische Bewegungen nicht mehr als liniaren Streifen begreift.

W: Das fand ich völlig verblüffend, dass das plötzlich von dir kam, nachdem ich Caspar David Friedrich gesehen hatte, so eine lange Kamerafahrt, was Rüdiger da als Remake gemacht hatte. Ich habe ihn gleich als Remake gesehen. Dann hat Rüdiger gesagt, das ist sein Film. Dann habe ich erst erfahren, dass da so eine gespenstische Emigholz-Persönlichkeit hinter der Sache steckte. Als ich dich noch gar nicht kannte.

E: Ich wollte aber gar nichts mehr mit dem Film zu tun haben. Das war 1970, oder?

W: Als ich Rüdiger kennengelernt habe, hat er mir gesagt, ich habe einen Film gemacht. Das war praktisch ein Remake von einem 8mm Film, den du gemacht hast. Mit so lauter Indianern, die in Dänemark in den Sand gesteckt waren.

E: Ich habe die Filme alle noch.

W: Das war so etwas wie die Feier des kontinuierlichen Raumes, wenn man das so pathetisch ausdrücken möchte. Und dann plötzlich das da, die völlig zerhackte Welt.

E: Dazwischen lag aber diese Periode, in der die filmische Abbildung für mich völlig in sich zusammengesackt ist.

W: Wie kam das?

E: Naiv fängst du an, so rumzugondeln, und dazu noch Popmusik und Blablabla,  ein bisschen komisch durch die Gegend zu laufen, sich womöglich auch noch schminken und alles Mögliche. Das scheint eine ganz natürliche Geschichte zu sein. Das fand ich aber schon ein Jahr später lächerlich. Das hat natürlich damit zu tun, dass man auf die Schnelle damals eine filmische Bildung kriegen konnte. Gerade auch durch diese neuen Filmformen, die durch die Filmcoops verbreitet wurden. Da sagt man sich, ich bin wirklich nicht dazu verdammt, in der Regression steckenzubleiben.

W: Du hattest da auch solche Filme gesehen? An was ich denken musste, als du mir Schenec-Tady gezeigt hast, war Michael Snow's La Région Centrale, der lief ja auch in dem Programm. Das war ja sozusagen eine Antwort darauf oder auch eine Weiterentwicklung. Ich hab es vorhin schon gesagt, dass diese Weiterentwicklung immer eine Rolle gespielt hat. Ich fand auch, das war eine Weiterentwicklung von Snow, dass du das in diese Einzelbildfragmentierung gebracht hast.

E: Auch Back and Forth. Aber ich hatte immer das Gefühl, ich mache etwas total Anderes. Snow hat immer mit Realbewegung gearbeitet.

W: Dem ging es um den realen Raum und Fotografie als künstliche Ebene. Dazwischen hat er immer gespielt.

E: Ich dachte, das ist etwas ganz Anderes, wenn man das jetzt aufsplittert und eine völlig künstliche Bewegung erzeugt. Kann im Ergebnis manchmal ähnlich aussehen, auch durch die wahnsinnige Geschwindigkeit, aber das werden dann mehr Wischbilder. Für mich war das logisch etwas Anderes. Das war ja interessant, die Geschichte noch einmal logisch anzufangen. Komisch, dass man sich in der Zeit einbildete, das sei überhaupt möglich. Das hatte natürlich auch mit dieser Aufbruchsituation zu tun, dass man denkt, man kann noch einmal von vorne anfangen. Daß man eigentlich entscheiden musste, ich breche mein Studium ab. Das war schon mal klar, Weiterstudieren ist hier nicht möglich. Ich muss auf etwas kommen, was mich wirklich interessiert.

W: Ach, du hast das so richtig als gesellschaftliches Nicht-möglich begriffen? Ich habe dann ja auch aufgehört zu studieren, als ich aus Amerika hierher zurückkam. Aber das war bei mir eher psychisch nicht mehr möglich.

E: Aber ist das vielleicht nicht das Gleiche?

W: Ich hatte an diesem Studium nichts zu mäkeln gehabt. Ich hatte phantastische Professoren. Durch die 68er wurde die Physik auch nicht korrumpiert. Dazu hatten sie wohl doch nicht genug Grips. Also, es war ein intaktes Studium. Aber ich hatte nicht mehr die psychische Kraft, auch durch diese Drogen in Amerika, mich weiter mit der Physik auseinanderzusetzen. Film war einfach um vieles interessanter.

E: Wir haben jetzt vor zwei Wochen Bartleby gesehen, das ist schon später, 1977. Aber die früheren Film verdankten sich auch einer gewissen Szene, mit Popmusik.

W: Absolut. Zeitgeist.

E: Kommunardentätigkeit oder so etwas, daß man mit Leuten zusammenlebte.

W: Ich habe mich in so einem Kommune-Nest sehr wohl gefühlt. Dieses Lebensgefühl abzubilden, war auch immer eines meiner Kernmotive damals. Das fand ich alles viel interessanter als die theoretische Physik. Der Nervenzusammenbruch, der kam eigentlich am Anfang der 70er Jahre.

E: Man wurde ja gelabelt. Der eine ist der Strukturelle und der andere der Narrative. Der eine ist gar nicht poetisch, weil der es mit Zahlen zu tun hat. Ich weiß sogar noch, als wir einmal zur selben Zeit in Amerika waren, war ich sogar mal supersauer auf dich. Du hattest mit Jonas Mekas ein Interview gemacht und gesagt, ich befass mich eben nicht mit Nummern und mit Zahlen. Was redet der für einen Scheiß, dachte ich. Es ging ja gar nicht um Nummern oder Zahlen, sondern um ein energetisches Produkt.

W: Ich weiß, was du meinst. Da ging es um Permutationen. Es gab ja in der Kunst so eine ganze Richtung, Hanne Darboven und so, die die Permutation zur höchsten Kunst der Menschheitsgeschichte erhoben hat.

E: Ja dieses Gestische.

W: Die, nachdem sie die Nummer, die Zahl feierten, glaubten, dann keinen Ausdruck mehr haben zu müssen.

E: Das habe ich natürlich sofort auch mich bezogen.

W: Das ist so die normale Egozentrik, die kenne ich auch. Dass man immer denkt, man selbst steht im Zentrum des Universums und jeder Nebensatz, der geäußert wird, ist eigentlich nur eine Maskierung einer tief sitzenden Beleidigung.

E: Vernichtung.

W: Vernichtung, genau.

E: Weitergefasst ist das ja eine interessante Geschichte. Also Kunst konnte konzeptionell abstrakt agieren. Ich fand aber diese komischen Konzepte, jeden Tag da ordentlich viele Zahlen aufzuschreiben, völlig daneben. Das Interessante an Film war ja, dass er immer noch mit der fotografischen Abbildung zu tun hat und mit einer Oberfläche von Wirklichkeit. Daß er nicht nur eine Behauptung oder Gestus war. Ich glaube, das ging sogar bis in diese Gruppe von Literaten und Künstlern in Hamburg, wo wir dann Shows gemacht haben, in der Buch Handlung Welt von Hilka Nordhausen. Hilka kam ja von Franz Erhard Walther und machte immer diese gestischen Zeichnungen. Da habe ich immer "Piep-piep" gesagt. Das war eine ganz komische Auseinandersetzung.

W: Daher kommt vielleicht auch das Pingelige, das du dir ja bis heute bewahrt hast. Das sauber Ausgearbeitete, der Drang zu 35mm, in dieses HD Format, die Superkameras. Also, praktisch soll das Staubkorn eliminiert werden.

E: Nein, es soll gezeigt werden, nicht eliminiert werden.

W: Na gut, das Staubkorn soll gezeigt werden.

E: Ich denke, es kommt darauf an, was für einen Begriff von Poetik man hat. Auf welcher Ebene findet etwas statt, wenn sich etwas Neues zusammensetzt? Ab einem gewissen Punkt, da hast du recht, hat mich eine realistische Abbildung mehr interessiert als vorher. Diese Filme sind dagegen ja im Wesentlichen abstrakt, abstrakte Zeit.

W: Wie kamst du denn auf den Titel Schenec-Tady? Der Titel war ja überraschend, du hast ja nicht in Schenectady in New York gedreht, sondern im Taunus. Und wie kamst du auf den Taunus als Drehort? Das ist ja eine exzentrische Wahl, wenn man in Hamburg wohnt.

E: Ich wusste nicht, was "Schenectady" ist. Ich wusste nicht, daß es eine Stadt im Staat New York ist. Ich sammelte damals Postkarten. Ich habe auf der Straße in Hamburg vor unserem Haus einen Karton gefunden, da waren alte amerikanische Postkarten drin.

W: Diese kolorierten?

E: Curt Teich Company aus den 30er Jahren, Chicago.

W: Ach ja, diese mit den Sonnenuntergängen.

E: Völlig abstrakt, Vollretusche, Farbe. Das hat mir imponiert wegen meines Berufes.

W: Ah, verstehe!

E: Da stand dann über einer „ A Scene Near Schenectady, New York“. Schenectady, das hört sich ungefähr so abgehackt an, wie du deine Filme machst. Und dann dachte ich, den Filmtitel nehme ich. Ein ganz plumper Gedanke. Es ist eigentlich ein lautmalerischer Titel. Larry hat mir erst später erzählt, was das bedeutet, nämlich "Schöne Aussicht" auf indianisch.

W: Es ist 360 Grad, hier ist das Panorama. Ich sehe, dass du praktisch 360 Grad auch als Winkel gemacht hast.

E: 240 Punkte waren das. Ist ja auch egal, jedenfalls war das eine Einteilung auf dem Stativ.

W: Und dieses Panorama wurde praktisch nacheinander in Einzelbilder zerhackt?

E: Das Panorama liefert dir erstmal einen Umlauf. Und dann liefert dir auf jedem Punkt deine Brennweite noch einmal 24 Punkte. Dann hast du 24 mal 240 Punkte als Möglichkeiten. In diese Möglichkeiten habe ich eine Bahn reingeschrieben, auf der dann zwei verschiedene Bewegungen gegenseitig laufen, oder auch parallel. Aber sie benutzen nur eine begrenzte Auswahl von Bildpunkten. Mit diesem Ganzen kannst du eigentlich keine geordnete Komposition hinkriegen.

W: Was mich gewundert hat, ist, daß deine Grundeinheit damals nicht ein Bild war, sondern vier oder drei Bilder.

E: Stimmt nicht. Das waren alles Einzelbilder. Aber manchmal habe ich zwei auf einenm Punkt gemacht, um eine andere Geschwindigkeit zu erzeugen. Zum Beispiel im Film Schenec-Tady III, da gibt es immer Einzelbilder, aber Blöcke von sechs und dann sechs schwarze, in die das Negativ seitenverkehrt reinkopiert wurde. In sich gab das wieder eine flüssige Bewegung.

W: Die Dinger anzugucken, ist ja ein wunderschönes Erlebnis. Ich habe die bestimmt 40 oder 50 mal gesehen, die ganze Serie. In verschiedenen Situationen, in Hamburg, oder dann in London oder in New York. Ich erinnere mich an eine Vorführung in Buffalo oder in Columbus. Man kommt immer in so einen meditativen Zustand, in dem Glückshormone ausgeschüttet werden. Vor allem, als die ganz Serie entstand, die sich dann auf eine Stunde ausdehnte. Kannst du mal erzählen, wie die Reihenfolge war? Erst gab es den Schenec-Tady I, praktisch die Rohfassung, die dann im Taunus gedreht wurde. Aber damit hast du dich nicht begnügt?

E:  Schenec-Tady I, das war 43 Minuten. Die Fassung war übrigens in London zu sehen, vielleicht sogar auch auf der Filmschau. Da habe ich dann den Mittelteil rausgenommen, der diese Schwarzbilder hatte, und daraus Schenec-Tady III gemacht. Ein eigener Film mit dieser Negativ-Idee.

W: Mit dem Positiv und Negativ immer abwechselnd.

E: Schenec-Tady fängt ja langsam an, und dann baut sich das auf und wird immer irrer. Und dann baut sich das wieder ab, indem ich dann von hinten nach vorne kopiert habe. Aber ich wollte das Ganze noch einmal in Farbe machen, das war Schenec-Tady II.

W: Was war Schenec-Tady II?

E: Schenec-Tady II ist in einer Dünenlandschaft in Dänemark gedreht worden.

W: Dieser Dünenfilm, ich erinnere mich.

E: Der fängt ganz wild an und wird in der Mitte langsam. Und zeigt im Grunde auch einen Lichtverlauf eines Tages, der geht bis in die Nacht rein. Nachher sieht man dann man nur noch Dämmerung über den Dünen.

W: Und Arrowplane ist in der gleichen Zeit entstanden?

E: Arrowplane ist 1974 entstanden. Das war dann die Idee, ich muss mal ein Problem herauslösen, nämlich, was ist ein 180-Grad-Schwenk? Das war dann eine Idee gegen die Linerarität. Also, ich möchte jeden Punkt eines Schwenks mit jedem anderen multiplizieren. Wenn das hier der Schwenk ist, dann wird der aufgeteil. Dann gibt es diesen Schwenk, und dann gibt es aber eine zweite Konnotation von Einzelbildern, sodass der Schwenk noch einmal versetzt anfängt. So gibt es sämtliche Punkte des Schwenks...

W: Sozusagen zwei Schwenks, praktisch, nicht durch Bewegung, sondern durch Zeit. eine rasche Parallelmontage zweier Schwenks.

E: Die lösen sich voneinander ab und kommen wieder aufeinander zu. Dies war mal ein Versuch, das zu zeichnen. Was aber passiert, science-fictionmäßig, ist: Du hast eine lineare Zeit, dass ist ja in linearer Zeit gedreht. Wenn ein Bild einen Schwenk repräsentiert, repräsentiert das nächste den zweiten Schwenk. Du hast zwar zwei Schwenks, die sich von einander lösen. Gleichzeitig ist aber implantiert, daß das eine Linearzeit ist, die aber zwei verschiedene Bewegungen repräsentiert. Dadurch kommt etwas Interessantes zustande. Normalerweise sagt man, Bewegung repräsentiert Zeit.

W: Ja, das stimmt.

E: Das ist hier kaputt gemacht, weil hier Bewegung plötzlich zwei Zeiten repräsentiert oder drei Zeiten. Für mich war das Science-Fiction oder, wie du meinst, Wissenschaft.

W: Ich habe die Filme 40 oder 50 mal gesehen,und das war ganz deutlich ein anderes Zeitgefühl, als das, was man bei anderen Filmen hatte. Es gab andere Ansätze, wie bei Paul Sharits, wo so ein neues Kontinuum entstand. Aber Paul hat ja immer mehr mit abstrakten Bildern gearbeitet, mit diesem gepulsten Geflacker. Und bei dir war eben der reale Fotografie-Input sehr stark. Das löste sich von der repräsentativen Zeit ab und hat einen eigenen Zeitrahmen geschaffen. Das war immer ein total schönes Gefühl, das zu sehen.

E: Ich war ein nervöser Typ, der sich nicht artikulieren konnte. Ich weiß nicht, ob du dich daran erinnerst. Die Filme haben mich einfach beruhigt. Die anzugucken, hatte einen phantastischen Effekt. Ich habe die auch hundertmal gesehen. Das war ja eine privat Produktion.

W: Das ist so eine andere Sache, die mir aufgefallen ist. Ich hab immer den Eindruck, wir sind die einzigen Filmemacher, die ihre eigenen Filme gern gucken. Ich lass mir das auch nicht entgehen, wenn irgendwo ein Film von mir gezeigt wird, da möglichst reinzugehen. Ich kriege da absolute Glücksgefühle selbst bei den erbärmlichsten Vorführungen, wenn da nur vier oder fünf Zuschauer sind. Während viele Kollegen aus der Spielfilmszene, die ich treffen möchte, und ich dann dahin gehe, weil ich erwarte, dass sie sich ihre Filme angucken, weil das ein tolles Geschenk ist, eine Filmprojektion. Aber die rasen immer raus, als ob sie sich ekeln vor ihrem Film.

E: Aber das ist doch ganz klar, die treten doch unter andern Gesetzen an. Wenn deren Film nicht bei einmal Angucken funktioniert, haben sie verloren. Weil, dann realisiert sich das Kapital nicht, die Leute zahlen nicht, oder weiß der Teufel was. Letztens habe ich nach ein paar Jahren mal wieder den Goff-Film gesehen. Und dieses Mal habe ich gesehen, wie da plötzlich aus einem Fenster jemand rausguckt, und den hatte ich noch nie zuvor gesehen. Jedes Mal sehe ich da wieder etwas Neues. Deshalb gehe ich da auch immer wieder hin. Weil es eben nicht so ist, dass du deine Geschichte verfilmt hast, möglichst raffiniert, damit sie auch klappt, mit Spannung und Blablabla. Wenn du so einen Film gemacht hast, warum solltest du dir so einen Film zweimal angucken? Wenn er funktioniert, funktioniert er halt. Und wenn nicht, kannst du dir nur deine Fehler angucken, warum er nicht funktioniert.

W: Es war immer so, dass ich meine Filme so angelegt habe, dass sie Erkenntnisgewinn bieten, und zwar bis an den Rand dessen, was mir überhaupt möglich war, zu diesem bestimmten Zeitpunkt. Dieser Rand hat sich bei vielen Bereichen gar nicht verschoben. Also ich befinde mich immer noch am Rand dessen, was mir überhaupt möglich ist. Und wenn ich das sehe, ahne ich immer ein bisschen von dem, was noch vielleicht möglich ist.

E: Das ist ja auch das Gute an den Filmen, die man mag. Weil man sie deshalb mag, weil sie einen eigentlich antreiben, noch einmal einen Schritt weiterzugehen und diese Grenze zu überschreiten. Diese Filme sind ja auch nicht nacherzählbar. Du kannst ja nicht sagen, ich habe vor, einen Film zu machen, da nehme ich zwei Schwenks. Das realisiert sich nur im Moment des Anguckens, und danach ist es wieder weg. Das ist eine Sprache, die wirklich nur auf dem Level funktioniert.

W: Das ist auf dem Dach in der Eppendorfer Landstraße. Ist Arrowplane auch auf der DVD?

E: Ja, alle sieben Filme. Mir waren die Drehorte immer extrem wichtig. Das war dann bei Arrowplane drei Orte. Horneburg und Hamburg, wo wir gewohnt haben.

W: Was war in Horneburg?

E: Da hat Silke Großmann gewohnt.

W: Ich weiß, aber was hast du da gedreht?

E: Einen Wiesenhügel, der aber diese Form hatte, die sich dann so ineinander versetzt. Und dann sind wir noch einmal nach Dänemark gefahren. Da war dieser ganz glatte Horizont. Da verändert sich nur der Strand nach unten. Und die Stadt macht dann alles kaputt durch ihre vertikalen Formen. Und dann in Tide der Hub, und um den Verkehr da reinzubringen.

W: Tide habe ich als sehr schönes Gegenstück zu Schenec-Tady gesehen, weil diese Hebebrücke so wuchtige Massen gehabt hat. Schenec-Tady mit seinen zerfaserten Formen bot sich für das Auge relativ gefällig an. Trotz der wahnsinnigen Zerhacktheit entstehen lange Passagen von großer Flüssigkeit. Wo man das Gefühl hat, man gleitet über diesen Wald hinweg. Nicht so sehr, dass dieser Wald an dich herankommt, wie Birnam Wood bei Macbeth, sondern ich habe so ein Fluggefühl sehr oft in diesem Film gehabt. Während in Tide dieser Schwenk, welcher diese Hebebrücke betraf, diese wuchtigen Massen, die Tendenz von Jumpcuts hatte. Das Ding hatte einen gewaltigeren Impetus.

E: Das war ein sehr interessanter Ort im Hamburger Hafen gegenüber der Rethebrücke. Noch ein kaputter Teil vom Hafen, das gibt es ja gar nicht mehr. Wo auch noch diese zerfallenen Hafenmauern aus dem Zweiten Weltkrieg waren.

W: Die Gegend hat sich ja dramatisch verändert, durch den Containerverkehr.

E: Da standen diese Riesenblöcke von Getreidespeichern. Da war die Rethebrücke, die eine Hubbrücke war. Da war ein Schiffsverkehr der parallel ging, und ein Schiffsverkehr, der auf die Kamera zukam. Und dann gab es so merkwürdige Biegungen in der Zeit durch den Schwenk, also 180 Grad, der immer hin und her ging. In Arrowplane geht der immer nur in eine Richtung.

W: Auch Ebbe und Flut.

E: Ein Schwenk ging so, dann löste der sich ab. Der eine blieb so, und dann ging es wupwup. Das heißt, diese industriellen Situationen krachten dauert gegeneinander. Und diese Schiffe fuhren dann da durch. Das kam eben immer drauf an, wie schnell ich war. Manchmal waren die langsamer, manchmal waren die schneller, und dann ging das Wasser noch raus und rein. Das war etwas Anderes als dieses Schenec-Tady, was ja eine Waldszenerie war. So ein Waldrand mit ungefähr gleichem Abstand zur Kamera. Den hatten mir Freunde gefunden bei Frankfurt.

W: Ach, den haben Freunde für dich gefunden?

E: Den haben Reinhold Batberger und Ria Endres gefunden.

W: Ach Ria, die haben wir auch später getroffen.

E: Die lebten da in Frankfurt und waren da sehr politisch tätig. Die haben mich da morgens hingefahren und abends wieder abgeholt.

W: Drei Wochen, oder wie lange hat das gedauert?

E: Das war im Winter.

W: Ach, im Winter? Monet hat auch immer im Winter gearbeitet.

E: Es gibt eine kleine Passage, da sind Schneeflocken drin, aber die sieht man kaum. Dieser Ortsbezug war dann der Übergang zu einer anderen Art der Filmemacherei. Das sieht man dann in Hotel, wie das in eine andere Art der Fotografie überging. Ich habe damals mit Silke Grossmann zusammengearbeitet. Wir haben viel darüber nachgedacht, wie ist Raum abbildbar, und was interessiert uns eigentlich daran. Diese Filme bis zu Hotel, sind ja, was die Kamera angeht, ziemlich traditionell. Also schön ausgerichtet parallel zum Horizont.

W: Das ist richtig. Der Schwenk ist natürlich eine Absurdität, wenn der schief wirkt. Der hat ja nur Sexappeal, wenn der Horizont gültig ist. Das ist ja eine Rebellion gegen den Horizont, im Grunde, diese Zerhackerei.

E: Man kann schon sehr gute Schwenks außerhalb der Horizontalen und der Vertikalen machen. Ich denke jetzt zum Beispiel an das, was wir zusammen gemacht haben in D’Annunzios Höhle, diese ständigen Striche durch den Raum. Das hat ja auch wenig mit dem normalen Schwenk zu tun. Das sind ja eher Fahrten oder Bewegungen.
 
W: Mit Gehen hat das mehr zu tun, mit Körperbewegungen.

E: Du sagtest, Literatur war nicht so das Zentrum. Da muss ich aber von mir sagen, einige Filmemacher, also Joseph von Sternberg auf jeden Fall, auch in der Künstlichkeit...

W: In deinen Zeichnungen taucht der ja auch immer wieder auf. Das hat mich gewundert, dass da so eine manische Verfolgung von Sternbergs in deinen Zeichnungen auftaucht.

E: Also, die Filme fand ich sagenhaft. Du hast ja auch Jack Smith erwähnt. Der war natürlich eine Größe in der Haltung, aber eigentlich war die Haltung interessanter als das Ergebnis. Man machte ja etwas ganz Anderes als diese Leute.

W: Welche Haltung?

E: Na, wir leben alle in einer gemieteten Welt, und so. Dieses romantisch Antikapitalistische, dieser Aufstand. Es war ja interessant, dass diese Nervenzusammenbrüche, die wir hatten, wenn man das überhaupt so nennen kann, bei mir mit dem Ende der Uni, dem Rausgehen in die Landschaft und mit etwas Neues Anfangen zu tun hatten. Man wusste, es gibt noch eine Welt jenseits vom deutschen Dilemma. Und das hatte damals natürlich mit Amerika zu tun, wo man das Gefühl hatte, da sammelt sich Intelligenz in dem Bereich. Was in Deutschland nicht der Fall war. Das war dann später mit der Computerei wieder ganz anders. Da hatte man in den 80er und 90er Jahren das Gefühl, die Intelligenz wandert ab in die Computerei, und die Filmemacherei liegt ziemlich brach. Bis das dann alles wieder zusammenwuchs im Computer.

W: Das war eine interessante Bewegung, diese Verteilung der Intelligenz auf die verschiedenen Kunstrichtungen, die ja wirklich zeitabhängig ist. Man hat ja das Gefühl bei bestimmten Medien, dass sie heiß sind. Und als junger Mensch tritt man dann daran. Film war so ein heißes Medium bis Ende der 60er bis Mitte der 70er Jahre. Dann verkümmerte das irgendwie. Man kann da Parallelen ziehen zum Aufkommen des Feminismus, weil die Frauen sich das ein bisschen unter den Nagel rissen. Es ging weg von dieser radikalen Forschung auf Neuland. Es wurde mehr soziologisches Neuland.

E: Es wurde im Inhalt Neuland betreten, das ist zweifellos der Fall.

W: Das Neuland wurde abhängig vom Content, und die Abbildung selbst wurde nicht mehr groß hinterfragt, höchstens als Ritual.

E: In der Weise wurde man ja auch zum Freak, wenn man weiterhin darauf bestand. Dann wurde irgendwann gesagt, dass ist doch völlig selbstverständlich, dass das hier ein technisches Medium ist.

W: Das sei ja erforscht, da brauchen wir nicht mehr groß rumzumachen.

E: Aber als ich nach Demon mit dem Film Normalsatz anfing, bin ich ziemlich entgleist auf dieser Avantgarde-Experimentalfilm-Schiene. Weil diese Hardcore-Leute nichts damit anfangen konnten, wenn du dich in einen psychologischen Bereich reinbewegst.

W: Da spaltet sich alles auf. Aber das ist bei diesen Kunstbewegungen, dass die zentrifugalen Kräfte so sind. Jede Person wächst auf ihre Art, und alle gehen voneinander weg.

E: Es gab ja mehrere Ausstellungen in den Jahren. Birgit Hein hat Film als Film gemacht. Sie hat auch die documenta 1976 kuratiert. Da hat sie dich zum Beispiel nicht mit reingenommen, weil deine Arbeit als zu narrativ galt. Sie hatte so ein Hardcore-Konzept von strukturellem Film, wo ich mich gar nicht wohl drin fühlte. Trotzdem wurde man da so vereinnahmt. Gleichzeitig war das von ihr aus der Versuch, ein Kontakt zur Kunstwelt herzustellen. Wo es anscheinend jetzt leichter ist, so harte Konzepte durchzuführen. Aber das ist damals völlig gescheitert. Die Filme waren zwar auf der documenta 6 in einer Extra-Abteilung und in einer großen Ausstellung in der Hayward Gallery, aber es war überhaupt keine Öffentlichkeit dafür zu kriegen. Sie hat mir jetzt mal gesagt, es gab nicht einen einzigen Artikel über die Filme auf der documenta. Weil das in der Kunstwelt noch absolut Tabu war.

W: Na ja, Sharits hat mit einigem Erfolg Einiges gemacht.

E: Der war auch auf dieser documenta damals.

W: Der hat in New York Einiges gemacht, da gab es dann Artforum.

E: In einer Galerie?

W: Ja, in einer Galerie. Da gab es im Artforum den Artikel von Rosalind Krauss. Er war eigentlich der Einzige, der mit einigem Erfolg diese Filme in Installationen umgesetzt hat.

E: In Artforum gab es auch Artikel über Tom, Tom, The Piper’s Son und über Ernie Gehr. Artforum hat das begleitet.

W: Das stimmt. Über Michael Snow gab es da auch viel.

E: Annette Michelson hat sich da extrem eingesetzt. Das war aber nie in dem Sinne erfolgreich, wie die neuen Maler es werden konnten, die wirklich etwas verkaufen konnten. Also, auf Produktionsebene war Kunst lächerlich. Was hat man davon, wenn man Filme im Museum zeigt? Dadurch kriegt man kein Geld für ein neuen Film zusammen.

W: Farocki hat ja jetzt den Sprung in die Musen gemacht. Nachdem diese Fernsehkanäle immer mehr abgewürgt werden, hatte Harun so ein alptraumhaftes Erlebnis mit seinem Rumänien-Film. Er hat den hier in Berlin vorgeführt und hatte nur einen oder drei Zuschauer als Kinopublikum. Da hat er gedacht, da gehe ich doch lieber in die Museen. Da sind zwar auch nicht viel mehr zu einem Zeitpunkt, aber das summiert sich dann doch stärker, als wenn man so gewählte Kinoaufführungen produziert.

E: Das Problem mit den Museen ist, da latschen alle daran vorbei. Das ist so eine Vorbeilatsch-Kunst im Museum.

W: Ja, na klar.

E: Das ist jetzt ein Problem, wie kann man das wieder fokussieren? Daß man sagt, hier ist etwas, das hat eine gewisse Dauer, Leute, da können wir nichts dafür. Vor zwei Tagen habe ich hier mit Stefan Grissemann gesessen, und er sagte: "Haben Sie das nicht auch so gemacht, um die Zuschauer zu provozieren?" Das fand ich sehr interessant in Bezug auf diese Filme. Nein, diese Idee war gar nicht vorhanden. Das musste aus sich heraus eine Logik haben und sich entfalten können. Wenn der Zuschauer das sieht, ist das prima, aber wozu sollte ich einen Zuschauer provozieren? Der interessierte mich in dem Sinne überhaupt nicht. Was mich interessiert hat, war, dass sich dieses System entfalten und daß man daran teilnehmen darf. Man ist ja selbst der Zuschauer.

W: Man kann vielleicht sagen, es gab erstmal dieses Forschungsprojekt, dass man die Möglichkeiten des Mediums weiter ausreizt. Und das Zweite ist, es gab so ein Zuschauerprojekt. Man hat an dem Idealen Zuschauer gearbeitet. Man hat Filme für Personen gemacht, die der Vorstellung eines idealen Zuschauers entsprechen, so verstehe ich das jedenfalls. Eine Vorstellung von idealen Zuständen, an denen ich auch immer weiterbastle, und dass die sich immer perfekt unterhalten fühlen in dem Film, wenn sie sich den angucken. Und dieser ideale Zuschauer, zu dem entwickele ich mich auch selbst immer weiter.

E: Also so eine Menschheit, die wirklich miteinander kommuniziert und an einer Art Forschung interessiert ist, an einem Ergebnis. Und nicht eine, die sagt, Kenne ich schon, will ich nicht sehen.

W: Die Prozesse mitmacht, die etwas lernen will, die ins Denken, ins Grübeln gerät, wenn sie das ansieht.

E: Ist das eine Zeiterscheinung, dass man damals dachte, so etwas ist überhaupt möglich? Oder meinst du, dass ist eigentlich intregal für so eine künstlerische Produktion, dass man so denken muss?

W: Jedenfalls gab es da einen totalen Gegensatz zur offiziellen Kultur. Man bewegte sich ganz strickt in einem Gegenkulturbereich, der eigene Gesetzmäßigkeiten hat. Das offizielle Feuilleton, wie FAZ oder wie Oper, Theater, was die da machten, war alles geklautes, unkreatives billiges Zeugs. Da lief nichts Wirkliches mehr ab. Selbst im Theater haben sie alles von Jack Smith abgekupfert, oder von Richard Foreman. Das schwappte so richtig rüber ins deutsche Theater, Stück für Stück. Das kann man richtig bezeugen. Mit vier Jahren Verzögerung tauchte das als neue Innovation dann auf und wurde alles als Politgulasch verramscht. Diese offizielle Kultur hatte etwas extrem Minderwertiges. Ich habe mich immer als Teil einer Gegenkultur gefühlt. Das kam natürlich aus dieser 68er Romantik heraus, in der die Kreativität eine eigene Dynamik hatte.

E: Aber auf der andern Seite war da auch gleich dieses Zielgruppengequatsche von den Politfilmern. Da gab es dann auch extreme Spaltungen, zum Beispiel auch in der Hamburger Filmcoop. Mir ist es passiert, dass man als "bourgeoiser Flaneur" abgekanzelt wurde, der nicht richtig über die Massen nachzudenken versteht.

W: "Bourgeoiser Flaneur" war nicht das Vokabular. Als "zickiger Spinner", als "esoterischer Spinner" wurde man eher bezeichnet.

E: Man kann ja noch einmal eine Kritik von Klaus Kreimeier nachlesen. Da wurde man als...

W: Flaneur?

E: Doofer, bourgeoiser Flaneur.

W: Der hat Benjamin gelesen und das dann abgeklatscht.

E: Ich glaube, den hatte er nicht genug gelesen. Der hat sich dann später auch entschuldigt.

W: Ach, wirklich? Aus den 68ern gab es dann 1970 diese Spaltung in diesen Hardcore-Politzweig. Mit Zielgruppen, sozialistischem Lehrzentrum, Mao-Indoktrination auf allen möglichen Ebenen. Dann gab es die Kommunenbewegung die ganze Zeit weiter. Das spaltete sich aber. Ich hatte den Text Dr. Mabuse, der Spinner für eine dieser Zeitschriften geschrieben. Darin steht der Satz: „Mit einer Axt spaltete er das Dingsbums der Bewegung in eine rote und eine grüne Hälfte." Bevor es die Grünen gab.

E: Meine Güte, war das visionär.

W: Furchtbar, aber diese Spaltung war ganz massiv. Die habe ich auch am eigenen Leibe gespürt, als ich in der Filmcoop wohnte. Alfred Hilsberg wollte zunächst die Coop-Filme auf 35mm in alle Kinos der Welt bringen und hat irgendwelche Kredite aufgenommen. Als das nicht lief, hatte die Coop, die unsere Filme verliehen hat, hunderttausend Mark Schulden. Er hat dann gekündigt und mit dem Politteil der Filme einen neuen Verleih aufgemacht. Die "Ästheten" saßen dann auf dem Schuldenberg. Das war dann das Ende des Verleihs. Danach musste man alle Sachen selbst verleihen.

E: Er hat es dann mit der Musik versucht, als neues Betätigungsfeld.

W: Ja, er war sehr unternehmungslustig.

E: Auch sehr erfolgreich. Nochmal zur Ideologie der K-Gruppen. Als die dann merkten, dass ihr Zugriff auf die Massen vielleicht doch nicht so leicht herzustellen ist, haben sie sich aufs Imaginäre gestürzt. Viele von ihnen sind in der Fernsehlandschaf die schlimmsten Redakteure geworden.

W: Ja, ja. Oh Gott!

E: Mit ihren Kriterien im Kopf. Das ist mir in den 80er Jahren aufgefallen, als man eigentlich nichts mehr durchsetzen konnte.

W: Die Dynamik der Biographien hat ja etwas Gespenstischen, gerade auch in Bezug auf die Politik.

E: Na ja, der Personalmangel ist so groß, dass man sie alle immer wieder antrifft, auf anderen Posten.

W: Dann bist du also aus diesem deutschen Sumpf gerettet worden, in dem man nur verrückt werden konnte und bist plötzlich nach Amerika gekommen. Was war denn das?

E: Das war prima. Das war das Nest, das Larry Gottheim dort aufgebaut hatte in Binghamton.

W: Wo liegt Binghamton?

E: Binghamton liegt ungefähr vier Stunden mit dem Auto upstate New York in der Nähe von Ithaka, den Hudson River hoch und dann nach links. Er hatte mich eingeladen, dahin zu kommen. Er hatte da eine Filmabteilung. Da waren Nicholas Ray, Ken Jacobs, Ernie Gear. Und als Studierende Jim Hoberman, David Marc, Art Spiegelmann, Marcia Bronstein, Steve Anker. Die kommen ja alle aus diesem Nest. Nach einer Woche schon habe ich viele von denen kennengelernt, und bin dann nach zwei Wochen nach NYC gezogen. Da waren dann Jim Jennings, Sheila Mclaughlin in der Hudsonstreet. Das war dann so ein komisches Nomadendasein für mich bis Ende der 80er zwischen New York und Hamburg. Wir haben uns dann ja auch in Brooklyn 1975 getroffen, weil du in Binghamton einen Job hattest. Da wohnte ich mit Jim in Brooklyn. Du fragst, was ist denn das Wesentliche daran gewesen? Dass man weiß, es gibt es noch eine andere Welt, und da leben sehr vernünftige Personen, die über das nachdenken, was mich auch interessiert, und ich bin nicht der Freak.

W: Ich lache mich immer tot über das Amerika-Bashing, Amerika sei doch so eine blöde Kultur, die hätten doch alle keine Ahnung. Und dann hat man dort dieses extreme Intellektuellen-Biotop. Was total kreativ war, wenn man  da drin war. Dagegen war Deutschland totale Wüste.

E: Das hat natürlich auch mit New York zu tun. Die meisten unserer Freunde kamen aus der jüdischen Kultur, die es hier nicht gab. Da gab es eine absolute Neugier. Das war ja hier das widerlichste Vakuum, das man sich vorstellen konnte. Und verdrängerisch bis in die Puppen. Das war dort völlig anders, und es hatte eine große Attraktivität, da zu bleiben und Wurzeln zu schlagen.

W: Man hat eigentlich nie begriffen, was es eigentlich bedeutet, dass wir den Krieg verloren haben.

E: Wir haben den Krieg verloren? Ich habe keinen Krieg verloren.

W: Na ja, gut, Deutschland hat den Krieg verloren. Und was das für Deformationen in den Psychen auslöste, also als Folgeschäden, auch in unseren.

W: Ich sehe das gleichzeitig als Privileg an, so bei Null anzufangen. Ich konnte, seit ich acht war, machen, was ich wollte, weil mein Vater sich nicht dafür interessiert hat, wenn ich sage, ich gehe nicht zur Schule. Dann bin ich nicht zur Schule gegangen. Da gab es nicht die Autoritätsperson, und ich fand das prima. Zuerst habe ich gedacht, wieso werden alle anderen geschlagen nur ich nicht. Das kam mir richtig peinlich vor. Das kam erst später, dass ich dankbar dafür war. Er war eine gebrochene Gestalt. Dann ging ich nicht zur Schule, weil ich einen Beruf lernen wollte. Dann wollte ich den Beruf nicht mehr machen und wieder zur Schule gehen. Das mussten sie auch noch ertragen. Und nachher brach ich das Studium ab. Keiner aus der Familie hatte jemals vorher studiert, und jetzt bricht dieser Heini auch noch das Studium ab. Das war schon alles brutal, was man machen konnte, immer auf diesem Weg der Selbstfindung. Da war niemand, der die Autorität gehabt hätte zu sagen, du machst das jetzt anders. Du musst Nazipimpf werden und in der Partei aufsteigen.

W: Gnade im Stadium des Besiegtseins.

E: Du hast darunter gelitten? Ich fand das irre interessant.

W: Ich weiß nicht, ob ich darunter gelitten habe. Das Wort "leiden" ist völlig absurd in diesem Zusammenhang. Es stellt nur eine Deformation dar gegenüber der üblichen Sozialisation in anderen Ländern. Das ist ja ganz offensichtlich. Das wird mir immer klarer, je älter ich werde, gar keine Frage.

E: Auf jeden Fall.
 
W:Alles bezieht man irgendwo auf diese Sache. Es ist wichtig, wie man reagiert. Man wagt, bestimmte Sachen nicht zu formulieren.

E: Wir sind dann öfter nach Bremen gefahren. Als Kind wirst du nach Bremen mitgenommen, um etwas einzukaufen. Und da siehst du eine völlig zerstörte Stadt.

W: Das erinnerst du?

E: Bremen war zum Teil noch Ruine Anfang der 50er Jahre. Bei uns zuhause, das war 20 Kilometer vor Bremen an so einer Bahnstrecke, war ein riesengroßer Schrottplatz, wo die Schrottteile von den zerstörten Häusern hingebracht wurden. Eine merkwürdige Welt. Dann wurde alles wieder aufgebaut. Im Laufe eines Lebens baut sich eine ganze Stadt wieder auf, und dann verschwinden die Schrottplätze. Wirklich merkwürdig. Was ist denn das für eine Gesellschaft?

W: Biologischer Darwinismus.

E: Das hat ja wohl sonst kaum jemand miterlebt. Für uns als Kinder war das völlig normal, in Ruinen zu spielen.

W: Es gab ja immer eine organische Entwicklung zum Besseren bis jetzt. Das ist ja wunderschön dieses Deutschland, die Städte sind herrlich.

E: Ach, wirklich?

W: Überall gibt es wunderbare Restaurants. Man kann DVDs kaufen, das ganze Kulturangebot, Billigflüge überall in die Welt. Deutschland war niemals schöner als jetzt, das steht doch außer Frage.

E: Sagst du so.

W: Wie teuer waren eigentlich diese Schenec-Tady-Filme? Worin bestand der Kapitaleinsatz, wenn es überhaupt einen gab?

E: Weiß ich nicht mehr. Da war die Kamera. Für alle sieben Filme, über die wir reden, gab es kein Geld. Da gab es diesen Herrn Peters in der Hamburger Kulturbehörde. Der hat mir mal ein Klebegerät spendiert.

W: Also hundert Euro, oder was?

E: Ja, so in dem Dreh. Dann ist man ständig Betteln gegangen im Kopierwerk. Darf ich das mal mitkopieren?

W: Im Kopierwerk entstanden die größten Kosten. Ein Tausender oder so etwas hat es gekostet.

E: Ich habe keine Ahnung mehr. Aber es gab keine Förderung für diese Filme. Du hattest mal einen Fernsehfilm?

W: Ich hatte vier Fernsehfilme in dieser Zeit. Das war auch eine sonderbare Geschichte. Ich war insofern der Privilegierte. Die haben mir nie reingeredet.

E: Das war ja auch noch eine andere Zeit, mit dem Herrn Stein.

W: Ja, mit dem Stein. Beim Szenischen Opfer, dem letzten Film, wurde es allerdings radikal. Da habe ich es irgendwie nicht geschafft, eine Tonfassung hinzukriegen. Das war ein Ruhrgebiets-Film, und ich sagte, ich finde den auch stumm ganz gut. Ich habe ihn mal so gezeigt bei Hilka im Buchladen. Na gut, haben sie gesagt, dann senden wir den auch stumm. Dann wurde der als 50-Minuten-Flackerfilm gesendet. Was dann in der Bildzeitung auf Seite Eins als größte Bild- und Tonstörung des Fernsehens bezeichnet wurde. Daraufhin haben sie keine Filme mehr von mir produziert.

E: Es hieß ja damals, jeder habe drei Schüsse frei.

W: Und ich hatte vier. Ich konnte mich überhaupt nicht beschweren.

E: Ich hatte Herrn Stein Demon gezeigt. Da bin ich zum ZDF gefahren, und da sagte er, "Aber, Herr Emigholz, für die machen wir das doch" und zeigte mit dem Finger auf die Fernsehantennen.

W: Ach, die Fernsehantennen.

E: Da wollte ich nämlich Normalsatz machen. Also, den hat er nicht mitproduziert. Aber nach Normalsatz haben sie Die Basis des Make-Up gemacht. Da hat er allerdings gesagt, das sei der schlechteste Film, den sie jemals produziert hätten. Du bist dann höchstens der Zweitschlechteste gewesen.

W: Dann hat er sein Gedächtnis ...

E: Und ich solle da nie wieder etwas hinschicken. Ich habe dann etwas hingeschickt, das kam aber sofort wieder zurück. Ist ja auch egal, man sollte sich nicht beklagen. Die haben auch alle ihr Leben und ihre Zeit.

W: Man muss sogar, wenn es mal klappt, dankbar sein. Es ist sinnlos zu verlangen, dass man mit seinen privaten Obsessionen, auch die allgemein Ästhetischen, subventioniert wird.

E: Durch diese Filmemacherei, alles grundlegend anzufangen, ergab sich ja aus der Coopbewegung später das Hamburger Filmbüro oder diese Selbstorganisation.

W: Das war erst ab 1980.

E: Bist du sicher? Ich war in der Zeit in Amerika.

W: Ganz sicher. In der Zeit, über die wir sprechen, waren wir völlig autonom, praktisch eigene Unternehmen.

E:  Normalsatz hatte auch nichts mit dem Filmbüro zu tun.

W: Für was für ein Publikum hast du das eigentlich gemacht? Deine Filme, die eigentlich nichts gekostet haben.

E: Vielleicht für Leute, die sich eine ähnliche Wirkung davon versprochen oder bekommen haben, wie ich selbst. Du hast vorhin das Wort Meditation erwähnt. Es war ein extremes Zeiterlebnis, was man da haben konnte, und dafür war Film für mich das geeignete und überhaupt das Medium, das man benutzen sollte, um solche Energien in die Welt zu setzen. Demon ist ja auch eine Literaturverfilmung, aber eine, die völlig anders agiert, als eine normale Umsetzung eines Stoffes. Zum Beispiel dein Film Bartleby, der wurde ja im Zippelhaus gedreht, wo diese Filme damals auch entstanden sind.

W: Ja, das ist ein Powerhaus gewesen, das Zippelhaus.

E: Dies war das Zimmer, wo wir Demon gedreht haben. In Bartleby sind ja auch extreme Entscheidungen drin. Was können wir überhaupt nehmen, was ist denn überhaupt eine Literaturverfilmung? Das wird da ja auch thematisiert. Ich kann mir vorstellen, dass es Bartleby-Filme gibt, wo dann wirklich jemand diesen Bartleby spielt, ganz traurig aus der Wäsche guckt und so.

W: Ja, da lief gerade so ein Ding.

E: Da haben wir früher gesagt, das ist der letzte Schrott. So etwas sagt man heute vielleicht nicht in dieser Schärfe, aber damals war man super radikal gegenüber diesem Schrott. Das ging ja hin bis zu Fassbinder, dass man sagte, Keine Lust mehr, mir das anzugucken.

W: Ja, das ist richtig. Das war zu aufwendig. Irgendwie schien das keinen Sinn zu machen, in diese Dekorationen so viel Geld reinzustecken, ohne daß sich die Essenz verstärkte.

E: Du hast ja vorhin selbst das Projekt angesprochen, einen Idealzuschauer im Sinn zu haben, nämlich den, der das vielleicht auch gebrauchen kann für seine Gehirnwellen. Warum geht man denn ins Kino? Weil man an einem konzentrierten Ort Energien geliefert bekommen will. Wenn ich Energien da lassen muss, dann bleibe ich lieber gleich zu Hause. Aber gute Filme, die übertragen ja Energien. Und deshalb wird man süchtig, sich die anzugucken, weil sie in eine Frequenz reingehen, auf der ich agiere und auf der ich auch weitermachen möchte. Das war natürlich immer das Motiv, überhaupt Filme zu machen.

W: Dann gab es Abspielstellen, für die man produzierte. Das Collective For Living Cinema oder das Anthology. Das waren Orte, für die man Filme machte, um sie dort zu zeigen. Es war auch selbstverständlich, dass sie gezeigt wurden. Da brauchte man nicht groß rumzubetteln. Wir waren da in einer sehr priviligierten Situation, über die ich mich heute übrigens wundere, dass wir da so leicht in New York Fuß fassen konnten.

E: Ich war ja längere Zeit da. Es war damals der absolute Neugierfaktor. Wir waren die ersten jungen Deutschen, die sich in der Szene getummelt haben. Und da wurde man neugierig empfangen. Bis dahin auch, dass gesagt wurde, jetzt musst du weggehen, meine Großmutter kommt gleich, und die erlaubt nicht, dass hier ein Deutscher zu Hause rumläuft. Gleichzeitig war die Neugier beidseitig. Da kam ein Interesse zustande, die bis heute anhält, zwischen diesen Leuten.

W: Ich erinnere mich, du hattest eine Vorführung von Schenec-Tady, als das Collective For Living Cinema noch uptown war. Ich weiß nicht mehr genau wo.

E: Das war so ein Gemeindesaal.

W: So ein großer dunkler, schöner Raum. Da hast du plötzlich ein ganzes Programm gemacht. Vorher wusste ich nur, daß du einen Film gemacht hattest. Als ich dann selbst nach Amerika kam, habe ich dich plötzlich als Autor mit einem vollem Programm wahrgenommen. Kurz danach kam auch Ulrich Gregor nach New York und wollte dich einladen für die Berlinale.

E: Nein, das war anders. Der kam nach 1977. Der hatte Demon im Millennium gesehen und mich danach angesprochen. Wer aber trotzdem schon meine Filme in Berlin gezeigt hat, als ich noch gar nicht dabei war, war Alf Bold. 1974 und 75 hat er Schenec-Tady und Arrowplane gezeigt. Das hat er mir überhaupt erst später erzählt. Ich hatte gar keine Ahnung, dass es da so etwas gibt wie das Forum.

W: Richtig. Alf hat auch von mir da Filme gezeigt. Das Forum existierte eigentlich noch gar nicht als öffentliches.

E: Die haben damals angefangen, irgendwann.

W: Da gab es nie Kritiken oder so etwas. Das lief da irgendwie.

E: Warte mal, ich habe da noch den Zettel.

W: Genau, man hat so ein Zettel gemacht, und ansonsten ist das verrauscht.

E: Internationales Forum 1974. 1975 war das Fünfte. Die haben 1970 angefangen. Da ist Schenec-Tady gelaufen. Da war ich aber nicht dabei. Das hat Alf Bold organisiert. Was du sagtest mit der langen Show, das kann nichts mit Hamburg zu tun gehabt haben. Ich hatte viele Diaserien machte, auch mit Ton. Die habe ich da eingebaut, auch einzelne Dias. Ich hatte damals ein Programm, mich selbst ins Spiel zu bringen, weil ich nicht fähig war, öffentlich aufzutreten. Deshalb habe ich mich dazu gezwungen, also Sets gebaut, in denen ich auftreten musste. Als ich an der Uni anfing, hier in Berlin, habe ich etwas Ähnliches gemacht und jede Woche einen öffentlichen Vortrag über einen Film gehalten, den ich mag. Das habe ich ja dann sieben Jahre gemacht. Da lernt man viel.

W: Eine innere Therapie praktisch.

E: Oder ein Lernprozess, wie auch die Schauspielerei. Deshalb war mir später auch Schauspielerei völlig Wurst. Ich mochte es gern oder auch nicht gern, auf jeden Fall war das nicht so, dass ich dachte, das ist jetzt ein Ausnahmezustand, für den man sich unglaublich vorbereiten muss. Zur Schauspielschule gehen, und was weiß der Teufel was tun. Es fing damals an mit Praxis, weil du ja eigentlich nicht dabei sein mußt, wenn Filme gezeigt werden. Wenn du aber eine Diaserie machst, dann musst du selbst anwesend sein, um die auszulösen.

W: Da erinnere ich mich an diese Diaserie, die stieß auf großes Interesse, die du in der Hudson Street gemacht hast. Das war so ein Kulminationsort für künstlerischen Aktivitäten, oder?

E: In der Hudson Street gab es ein leeres Bürogebäude in der Nähe des World Trade Centers. Der Nordturm des World Trade Centers ist erst1975 ganz fertig geworden.

W: Das war alles eine Baustelle in der Gegend?

E: Das World Trade Center hatte ein Vakuum erzeugt in den alten Büroräumen. Die Mieter sind alle ins Trade Center gezogen, und dann gab es viele dieser schönen, alten Bürohäuser, die dann keine Nutzung mehr hatten. Die Vermieter haben dann Künstler da reingenommen. Viele Künstler sind damals rund ums World Trade Center gezogen. Ein ganzes Haus voll, dieses Hudson Street 100. In den 80er Jahren ist das gentrifiziert worden. Da sind jetzt natürlich Highclass Börsenmakler Lofts drin.

W: Und in diesem Ding hattest du eine kleine Wohnung, oder was? Das ist da aus dem Fenster?

E: Nein, ich hatte eine riesige, ausgebrannte Büroetage, ohne Wasser, und Heizung nur am Tag und nicht am Wochenende. Aber die hat nur 125 Dollar Miete gekostet. Das war sehr wenig. Jim Jennings und Sheila Maclaughlin waren da auch. Und dann konnte man da noch nachts in die noch bestehenden Büros einbrechen und Überseetelefonate führen.

W: Überseetelefonate? Mit wem hast du da telefoniert?

E: Zum Beispiel nach Deutschland. Ich glaube, es ist jetzt verjährt. Aber Sheila ist dann auch einmal erwischt worden und wurde verfolgt wegen dieser wahnsinnig hohen Telefonrechnungen, die immer nachts zustandekamen. Am Jahresende 1974/75 wurden wir alle rausgeschmissen und sind nach Brooklyn gezogen.

W: Wo ist denn dieser Stuhl jetzt hier? Der ist doch aus der Hudson Street, oder?

E:  Das ist Hudson Street.

W: Der war auch im Zentrum dieser Diashow. Die waren einerseits ganz aus dem privaten Bereich, diese Dias, die du da gemacht hast. Andererseits hatte das überhaupt nichts Soziologisches, und das war total gut.

E: Was meinst du mit "soziologisch"?

W: Was weiß ich, ich habe ja vorher mal 1970 so einen Kommunefilm gemacht. Deswegen weiß ich, was Scheiße ist. Der hieß Rot war das Abenteuer, Blau war die Reue.

E: Interessant ist ja, dass das Geld sofort dazu verleitet, so kommunikative Akte machen zu wollen.

W: Da hat Rüdiger Neumann Kamera gemacht. Ich habe den Schneidetisch gehabt. Das wurde eine ganz ordentliche Produktion. Wenn man nicht allzu doof ist, kriegt man da ja irgendetwas hin, wenn man so einen soziologischen Background hat. Dann war da auch noch ein Artikel im Spiegel. Erst bei Die Geburt der Natur habe ich soviel Souveränität gehabt, dass es mir völlig egal war, was die Leute beim Fernsehen über die Sache denken. Ab da habe ich dann einfach meinen Stiefel weiter durchgezogen.

E: Aber gerade auch Die Geburt der Nation ist dann ja auch sehr anerkannt worden in Amerika. Jim Hoberman hat sofort einen sehr guten Artikel darüber geschrieben. Das war ja auch eigentlich ein struktureller Film. Du hast da eine Disposition gemacht und die wieder auseinandergenommen. Also, der Film analysiert sich selbst.

W: Was man später als Dekonstruktion bezeichnete, wird da schon beispielhaft vorgeführt.

E: Noch einmal zurück zu diesen Shows. Sich selber einbringen, anwesend sein müssen, sich selber auf die Bühne zwingen. Das ging dann intensiv so in Hamburg eine ganze Weile. Und auch in Amerika, mit Peter Blegvad. Nico war auch eine Weile dabei. Wir haben da diese komischen Touren gemacht, mit Henry Cow und John Grieves.

W: Ich bin einmal mit nach Washington gefahren. Da war in so einem Theater. Fred Frith hat etwas gemacht, und du so einen Zwischenakt. Aber ich weiß es nicht mehr genau, was das war.

E: Das war auch in New York City, im Mudd Club, im Zu Club, man konnte damit Geld verdienen. Es war sehr interessant, dass wir immer Geld dafür bekamen, weil ich ja keines hatte. Da war der Zusammenhalt mehr mit Musikern. Die hatten dann da irgendeinen German Freak auf der Bühne sitzen, der irgendetwas machte, womöglich auch noch auf deutsch. Als ich zum ersten Mal in Amerika war, kriegte ich von dir einen Brief, Wir machen eine Zeitschrift, schick doch mal ein paar Zeichnungen. Das war 1974/ 75.

W: Das fing an mit einer Nummer. Die wurde irgendwie rezipiert, und dann habe ich dich gefragt, ob du da mitmachst. Dann hast du etwas geschickt, und es wurde immer mehr. In Nr. 3 habe ich dann einen 30 Seiten langen Artikel über Filmtheorie da drin gehabt

E: Stimmt.

W: Weil Silke Grossmann und du da Teil genommen haben, hat das plötzlich ein Niveau gekriegt. Ich wusste ja von Amerika, was gutes Niveau ist. Hilka Nordhausen hatte eine Buchhandlung in der Marktstraße, in der sie von Citylights das ganze Programm übernommen hat, alle Beatnik Dichter. Da stand dann plötzlich die beste Bibliothek Europas in den Regalen. Alle modernen Dichter bis Anne Waldman waren da vorhanden.

E: Die kamen dann ja auch zu Besuch.

W: Anne Waldmann hat bei mir in der Wohnung gelebt.

E: Bob Dylan hat ihr damals Geld gegeben, um eine Weltreise zu machen.

W: Jedenfalls war da in der Buchhandlung das Beste von der Beatnik-Literatur versammelt. Dann hat es sich ergeben, daß Hilke sagte, Wir machen hier einmal in der Woche eine Veranstaltung, in dem wir unser Zeugs, das nicht in der Literaturzeitung ist, vorführen. Eine Mischung aus Dichterlesungen, Performances und Filmen. Wir hatten ja viele Filme inzwischen. Da entstand auch wieder so ein Produktionsdruck.

E: Interessant, dass Hilka das gemacht hat. Eigentlich auch, um aus dem Kunstgefängnis rauszukommen und eine Öffentlichkeitsstelle zu errichten.

W: Das mag sein.

E: Das wurde ja dann auch zur Anlaufstelle. Kippenberger, Oehlen und Büttner haben da alle ihre Wandbilder gemalt. Seltsam fand ich dann in den späten 70ern, dass so eine Konkurrenz aufkam. Die Maler fanden damals, die Filmemacher sind zu berühmt. Sie mussten unbedingt dagegen rebellieren.

W: Ja, irgend so etwas war da.

E: Da war eine komische Stimmung. Daß sie dann durch hohe Berühmtheit bestraft wurden, ahnten sie da vielleicht noch nicht. Aber vielleicht wollten sie das ja auch.

W: Wie kam es dann zum Sprung von diesem Schwenkfilm zu Hotel. Das war ja praktisch ein ganz neues Genre für dich. Dass war ja so, als ob du vorher Western gemacht hättest und jetzt Sternberg.

E: Ich hatte immer die Nizo dabei. Ich bin übrigens gerade jetzt an einem Film, der das ganze Material noch mal wieder neu aufarbeitet. Ich hatte vorher auch mit der Nizo Tests gemacht für die Schenec-Tady-Filme. Eines Tages ist es mir in San Diego etwas passiert, als ich die Straße entlang ging. Da liefen zwei Menschen vor mir her, ein Weißer und ein Schwarzer, und ich da so mit der Kamera in der Hand und habe mir das anguckt. Ich habe das gefilmt, gar nicht durchgeguckt, sondern die Kamera so an der Wand entlanggeführt. Das erzeugte dieses Koordinatensystem Straße, Wand, Personen, Verkehr, Gehen, und ich dachte, Das ist ja wahnsinnig. Komischerweise ist das für andere vielleicht eine ganz banale Einstellung. Aber von da aus ging es für mich los, Realzeit auseinander zunehmen und wieder zusammenzusetzen.

W: Ja, das war ein dramatischer Stilwechsel. 

E: Ja, das andere war erledigt als Programm. Ich hätte natürlich ewig weitermachen können.

W: Hotel erinnere ich komischerweise nicht mehr besonders gut. Wie war da die Reihenfolge der Motive?

E: Der war quasi didaktisch aufgebaut. Gang in San Diego von A nach B.

W: Das war schwarzweiß?

E: Das war alles schwarzweiß. Blick aus dem Fenster Hudson Street, Autos.

W: Das ist diese hier.

E: Nein, das ist die Totale, die kam danach. Erstmal nah, die Autos auf den cobble stones und die fahren in die Unschärfe meines Fenstersimses. Dann gibt es die Totale mit dem Hotdog-Stand und dann plötzlich den Wechsel ins Zippelhaus, wo Silke und ich am Frühstückstisch sitzen. Dann gibt es diese Transformationspassage mit Ton, wo die zwei Räume sich ineinanderschieben, zwei Aufnahmen sich quasi immer schneller ineinandersetzen, bis zwei Räume gleichzeitig stattfinden.

W: Wo ist das Flugzeug?

E: Das ist in Demon. Danach wurde das durchdekliniert das Material, das vorher gezeigt wurde. Also positiv-negativ,  seitenverkehrt, und dann von A nach B Gehen und gleichzeitig von B nach A Gehen.

W: Das war noch praktisch eine Referenz auf die Filmform davor?

E: Ja, aber die anderen Filme hatten gar nichts mit Realaufnahmen zu tun. Und dieser benutzt selbstproduziertes Found Footage. Was dann bearbeitet wurde, auf einem primitiven optischen Printer, den Rüdiger gebaut hatte.

W:  Den haben wir für den Häuserfilm gebaut.

E: Das war so ein großes Gestell.

W: Das hast du auch genutzt?

E: Ja, um das überhaupt abfilmen zu können. Demon ist da etwas ganz Anderes. Da geht es wirklich um die Sprachebene.

W: Warum hieß der Film Hotel?

E: Weil ich das Gefühl hatte, wir leben alle in einem Hotel, wir sind alle Touristen irgendwo, und man ist nirgendwo zuhause. Das kam aus dem Lebensgefühl. Das ist ein komischer, literarischer Titel. Er ist aber auch zweisprachig, das fand ich damals immer wichtig. Demon ist auch zweisprachig, so daß man da keine Übersetzungsarbeit leisten muss. Das Gefühl, wir wohnen mal hier und mal da, das Nomadische am Hotel eben. Räume benutzen und dann wieder verlassen. Deshalb heißt das Hotel.

W: Demon war dein nächster Film. Das war ja ein radikaler Aufbruch zu etwas Anderem, würde ich sagen. Weil der Rhythmus von der Sprache und vom Text selbst generiert wurde.

E: Es heißt auf französisch der „Dämon der Analogie“. Das Analogische, die Assoziation oder das Entsprechende, das wollte ich thematisieren. Ich habe damals sehr viel übersetzt, und Übersetzung war Thema. Wegen der Zweisprachigkeit, in die man da reingekommen ist, mit den vielen Leuten.

W: Das kenne ich auch. Weil du da so ein zweisprachiges Gehirn entwickelt hast?

E: Ja, man fing dann an, auf Englisch zu träumen. Das weiß man ja, das ist ja jetzt nichts Besonderes. Aber der Film wollte quasi etwas abfilmen oder repräsentieren, was es nicht gibt, nämlich die Lücke zwischen den Sprachen. Also einen Nicht-Ort filmen.

W: Das habe ich aber nicht so empfunden.

E: Das kannst du ja auch nicht empfinden. Aber die Struktur kam daher.

W: Der hat diese Sprache, die springt einen an. Weil es durch die Bilder so gestützt wird. Also jedes Wort kriegt da so Ballerkraft.

E: Dann kamen da auch diese absurden Geschichten rein, das Wasser und dann der Instrumentenladen. Was der Werkzeugladen bei uns an der Ecke war. Im Mallarmé-Text geht jemand die Straße entlang und denkt an einen Palmenzweig und sieht irgendwo eine Geige.

W: Daß die triviale Wirklichkeit dannverwandelt, was beim eigenen Spaziergang auch auftaucht. Das ist ja schön.

E: Dieses Erstaunen und Erschrecken, dass das, was im Gehirn ist, auch plötzlich in der Wirklichkeit ist.

W: Das ist erstaunlich, dass bei Mallarmé immer noch diese Lyrismen auftauchen. Aber dieser Sprung in die unmittelbare Umgebung, das fand eigentlich erst durch die amerikanische Dichtung statt.

E: Bei Mallarmé gibt es natürlich diesen Würfelwurf, Coup de dés. Zur gleichen Zeit haben ja Straub/Huillet diesen Mallarmé-Film gemacht, auch 1977.

W: Der ist mir gar nicht präsent.

E: Frieda Grafe hat die mal beide zusammen gezeigt. Aber die haben das eh so gemacht, wie die das immer machen. Die Schauspieler stehen vor der Mauer, an der die Kommunarden erschossen wurden sind, weißt du. Mehr so, dass da etwas repräsentiert wird.

W: Die historische Maschine.

E: Da wird der Ort noch einmal zitiert. Das ist hier natürlich eine andere Methode, etwas in Gang zu setzen. Mallarmé ist ja philosophisch äußerst interessant, weil er sagt, der Würfelwurf wird den Zufall nicht außer Kraft setzen. Aber du wirfst den Würfel, und dann ist die Wirklichkeit da. Also, der lässt sich dann auch nicht mehr aus der Welt schaffen. Dieses Gefühl im Film, eine Setzung zu machen durch diese höchstkomplizierten Raumkombinationen, die dann grammatikalische Figuren vertreten oder Satzzeichen. In Normalsatz gibt es eine Passage mit dem Stück The Interpretation of Facts von Lynne Tillman. Da wird das Thema von Demon noch einmal aufgenommen. Das ist mit Kiev Stingl, und die sitzen alle im Schlafzimmer und rezitieren den Text „The interpretation of facts is a beautiful thing“. Da taucht das noch einmal wieder auf.

W: Ich sehe gerade das Foto von Demon. Marcia Bronstein entdecke ich, Silke Grossmann, Hannes Hatje, mich selbst. Wie heißt die?

E: Gabriele Kreis ist das. Die hat dann später Bücher geschrieben über Exilliteratur. Das ist Christoph Derschau.

W:  Das ist eben irre, wenn man sah, wie das so zerhackt wurde, durch diese Idee des Balletts. Das sieht aus wie so ein Modern Dance Arrangement, wie bei Yvonne Rainer. Wie das dann praktisch durch den Schnitt so eine sprunghaftige Zerhacktheit bekam. Das war eine Ausdehnung der Idee des Balletts auf die Zeit.

E: Na ja, ihr ward ja alle ziemlich unbegnadete Tänzer in diesem Zusammenhang. Aber ihr wusstet, was ihr zu tun hattet. Da waren Wörter an der Wand geschrieben und dann, wenn dieses Wort vorne gesprochen wurde, musstet ihr etwas tun. Also, man musste zuhören.

W: Das weiß ich gar nicht mehr.

E: Ihr musstet euch umdrehen, oder was weiß der Teufel was.

W: Als Schauspieler vergisst man alles.

E: Glücklicherweise waren das keine Schauspieler

W: Das ist ja das Furchtbare am Schauspielerberuf, dass der Moment, in dem da gefilmt wird, so kurz ist, und dann macht man da so viele andere Sachen.

E: Es gibt Schauspieler, die können dir jede Szene, die sie je gespielt haben, zitieren.

W: Wirklich, auch von den Dreharbeiten? Ach, das behalten sie auch?

E: Ihr musstet ja nichts sagen.

W: Ich kann mich da nicht mehr an deine Anweisung erinnern. Warum sitzt denn da Marcia auf dem Stuhl?

E: Das ist der englische Stuhl. Sie spricht gerade. Wer in der Mitte sitzt, spricht.

W: Durfte ich auch mal auf dem Stuhl sitzen?

E: Nein, nur die Frauen durften sprechen.

W: Verstehe. Ich fand jedenfalls an dem Film immer ganz toll, wenn ich ihn gesehen habe, diesen Sprung auf den sogenannten Antiquitätenladen mit den Spaten und Gartengeräten. Das ist immer so ein erheiternder Schnitt gewesen. Und dann war diese Schlusspassage mit dem Flugzeug toll, wie das Flugzeug da so reingeschnitten wurde.

E: Das Flugzeug kam zuerst auf als Entsprechung zu "Palmenzweig". Immer wenn das Wort "Palmenzweig" kommt, gibt es ein kleines Stück Flugzeug. Dieser Film hat zum Schluss immer größere Inserts. Und dann auf einmal startet das Flugzeug durch.

W: Ja, das ist toll.

E: Und dann kommt das Flugzeug noch einmal im Negativ und fängt noch einmal an zu starten. Dann kommt noch ein drittes Flugzeug dazu, und es gibt eine totale Kollision von Flugzeugen.

W: Das ist ganz tolles Ballett. Was am Anfang Modern Dance Ballett ist, verwandelt sich dann in ein Ballett für Spaten und Flugzeuge. Ein ganz extremes Ding.

E: Ist aber die Entsprechung für die Kompliziertheit eines Palmenwedels.

W: Ja, richtig. Ich glaube mit dem Film sind wir dann irgendwann zusammen nach Hyères in Südfrankreich gefahren. Ich glaube, ich habe dort Pictures Of The Lost Word gezeigt. Ist da nicht auch Demon gelaufen?

E: Der ist da gelaufen und hat auch einen Preis bekommen. Da sind wir in einem VW-Bus hingefahren. Dann hat mich der gute Martin Langbein später angerufen und gesagt, er hätte in der Zeitung gelesen, der Film hätte einen Preis gekriegt. Da wußte ich aber nichts von. Wir sind vorher abgereist, glaube ich, und haben wir bei Martin in Freiburg Station gemacht. Da war dieses Erdbeben.

W: Oh ja, Erdbeben in Freiburg. Meine Güte.

E: Man sagt ja, Erdbeben in Süddeutschland gibt es immer dann, wenn Max Ernst in Stuttgart eine Ausstellung macht. Das war auch so. Und dann rief Martin an und sagte, Du hast da einen Geldpreis gewonnen. Martin, Du kannst doch so gut Französisch, schreib da doch mal hin, dass sie mir das Geld schicken sollen. Ein halbes Jahr später kam der Scheck, aber er war nicht gedeckt.

W: Ach, der war nicht gedeckt. Ja, die Franzosen, die Lieben. Immerhin haben sie uns Mallarmé und Baudelaire geschenkt, und ein bisschen auch Godard.

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