Die Wiese der Sachen: Seite 2 von 5

Hilka NordhausenKritiken

„Man möchte Ähnlichkeiten zwischen Fernando Pessoa, dem Autor des ‘Buchs der Unruhe’, und Heinz Emigholz feststellen, ohne sofort überprüfen zu müssen, ob der Vergleich standhält: die Assoziation drängt sich auf. Die Resultate beider sind unterschiedlich genug; aber es ist die (Erzähl)-Haltung, die den Vergleich zu gestatten scheint: sich eine als äusserst fremd empfundene Welt aneignen, indem sie einem ideolektischen Modus der Beschreibung und der Reflexion unterworfen wird.
Mit DIE WIESE DER SACHEN hat Emigholz nach NORMALSATZ und DIE BASIS DES MAKE-UP seine Langfilm-Trilogie über die 70er Jahre abgeschlossen. Wie schon in den zwei vorangegangenen Filmen dominiert in der Wiese der Sachen der Konflikt ‘Innen/Außen’ den Aufbau der Erzählungen. Es ist die existenzielle Fragestellung nach der Position des eigenen Ichs, das sich der grundsätzlichen Andersheit dessen, was sich als gesellschaftliche Wirklichkeit organisiert, bewußt wird. Was dabei Pessoa gedämmert haben mag, hat sich bei Emigholz zur Gewißheit verdichtet: ‘Die Menschen als zu Lebzeiten abgestoßene Leichenteile einer sich auf ewig weiterteilenden Gesellschaft.’ Dieser Konflikt läßt sich in alle Ebenen der Erzählung hinein verfolgen, die aus einem zusammengetragenen Splitterwerk besteht wie jene Scheiben, in denen das Alter Ego des Narrators in der ersten Sequenz wühlt.
Ein Telefon läutet, unmittelbar neben einem Fenster, das den Blick auf die Großstadt draußen (‘Clonetown 1974-1979’ wird sie genannt) freigibt. Jemand hebt ab, legt den Hörer neben den Apparat: Emigholz wird uns seine Fragmente aus großer Ferne berichten, aus Vancouver, Kanada, und tot sei er auch schon, seit dem 9. Oktober 1979, wie man erfährt.
Da ist zunächst die ‘Kämpfende Einheit Bernard Buffet’, die Mercedeshändler kidnappt und gegen Lösegeld wieder freiläßt. Deren Letzter hat freilich Pech: als der Bundeskanzler sich weigert, einen After-Eight-Spot aus dem Volksgefängnis im Werbefernsehen zu senden, wird er lebendig begraben: Emigholz’s ironischer Kom-mentar zum Individualterrorismus ... Dessen Drama machte es aus, die Kluft zwischen dem Innen des eigenen moralischen Anspruchs und dem Außen der gesellschaftlichen Realität nicht ertragen zu haben; ein gescheiterter Versuch, das eine über die übermächtige andere stülpen zu wollen. Der Erzähler selbst ist abgesprungener Terrorist; wohl nachdem er einen Stapel Postkarten mitgebracht hatte und ‘vor den Augen der Gruppe die Motive für den Erwerb jeder einzelnen Karte offenlegen’ mußte. Nun flüchtet er durch die diversen Hotelzimmer. Bevor er sich auf die Suche nach einer neuen Identität begibt, läßt er seine früheren Wohnstätten Revue passiere: im Film Zeitrafferaufnahmen; die einzelnen Kader langzeitbelichtet und auf der optischen Bank wieder vervielfältigt; schemenhaft die Silhouetten der Menschen in den ‘Räumen der Vergangenheit: darin unsere Geister’. Noch einmal tauchen die Identitäten des Erzählers auf: der megalomanische Künstler aus NORMALSATZ, der perverse Teppichhändler aus der BASIS DES MAKE-UP (die anderen Ichs, auch das ein Motiv bei Pessoa); aber die eigenen Konstrukte der Phantasie bieten keinen Fluchtpunkt mehr...
Immer wieder wechselt Emigholz auf die Ebene sarkastischen Humors. Dennoch überwiegt die Diagnose des endgültigen Verlusts jeder Art von Zufluchtsmöglichkeit. In der Schlußsequenz finden sich die Menschen im Keller wieder. Auf rohen, hölzernen Regalen voll Stroh haben sie ihre Leiber abgelegt. Nicht mal der Blick nach draußen ist ihnen geblieben. Knallrot die Fensterscheibe. Der Blick nach draußen ist leer.
In DIE WIESE DER SACHEN hat Heinz Emigholz seine Erzähltechnik - formal wie inhaltlich - noch weiter perfektioniert. Seine Arbeiten will er ais Aussagen über die Realität verstanden wissen, das Medium Film soll ihm dabei als Mittel dienen, nicht als Thema für sich (das Etikett des ‘strukturellen Filmemachers’, wie es besonders für sein frühes Werk gerne verwendet wird, weist er kategorisch zurück). Allerdings ist es auch die formale Komposition seiner Bilder und ihrer Verkettung, die deren eminente Qualität ausmachen. So hat Emigholz eine filmische Weise urbanen Erzählens entwickelt, wie man sie kaum sonst wo zu finden vermag. Gemessen an ihm wirkt jede Schuß-Gegenschuß-Abfolge wie der unerträgliche Ausdruck einer heimeligen Dorfidylle, wie sie nicht einmal für die tiefste Provinz mehr gültig sein kann. Das Fragmentierte des Raumes seiner Kamera, die keine verbindlichen Koordinaten mehr kennt, die zertrümmerte Zeit unter den isoliert wirkenden Sätzen, die sich fast nur gewaltsam zu einer einiger-maßen tragfähigen Kohärenz des Nacherzählbaren zusammenfügen lassen: seine Filme spiegeln das klaustrophobische einer Bedrohung, in der nahezu jeder Raum zu eng geworden ist: das Innen welcher Ideologie auch im-mer, das Außen jeder Art von öffentlicher Inszenierung: ‘Die Welt platzt nicht gleich auseinander, wenn das Gedankenkostüm nicht mehr paßt, in das ,man sie gepreßt hat. Die Menschen sind ihr völlig gleichgültig’, denn: ‘Aus-nahmslos alle sind austauschbar’. Und so seine Bewegung nach vorne: auf jene borderline dazwischen, von der aus alles, was den Anschein des Festen, Verläßli-chen und Gültigen sich zu geben versucht, obsolet erscheint.“
Peter Tscherkassky, BLIMP, Nr. 11, 1989

„Reimte sich NORMALSATZ auf Neugier, so DIE BASIS DES MAKE-UP auf Denkmal, kahl und kalt wie die Schädelknochen unter der geschminkten Maske.
Diese Antithesen werden in DIE WIESE DER SACHEN in Ironie aufgehoben. Ein ausgestiegener Terrorist ruft an, redet aus dem alleingelassenen Hörer. Erzählt von seinem Haß auf Mercedes-Limousinen, der ihn zum Verbrecher gemacht hat. Erzählt vom Leben, das in jeder Sekunde verloren geht, lacht über Leiden an der Leichtigkeit des Lebens.
Zum Off-Text zeigt Emigholz die Räume, in denen sein Schweiß verdampft ist und die Fenster, die sein Atem beschlug. Zeitraffer-Sequenzen, in denen die Zeit als Bewegung über die Oberfläche der Dinge fließt: Fotografie der Geister, die wie Schatten in der platonischen Höhle durch ihre vorzeitigen Gräber huschen.
Denn die Wirklichkeit draußen ist bloß albern. Ein Fernsehreporter erklärt das IBM-Haus an der Ost-West-Straße zum Monument der Lochkarte, von der schon keiner mehr weiß, wie sie aussieht, und die Kachelwände der U-Bahnstation Messberg als fäkalen Dank des Architekten an seine Mutter: ein Haufen Scheiße in einem Meer aus Pisse.
Der ästhetische Terrorist träumt dabei von Sätzen, die wie Zeitbomben wären. Die sich im Gehirn niederlegen, um bei der nächsten Gelegenheit zu platzen und ihre Sporen zu verteilen.“
Uwe Ruprecht, TAZ, 21. April 1979

„Seine Filme erfinden zwar, sie situieren Figuren, Handlungen und Gespräche. Trotzdem haben sie nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem klassischen Erzählkino. Im Gegenteil: Dessen verlogene Illusion einer kontinuierlichen Handlung sowie natürlicher Charaktere, deren Gefühle sich in aufdringlicher Expressivität äußern, verursachen Emigholz physische Schmerzen. Sein Gegenentwurf entspringt deshalb nicht einer intellektuellen Laune. Er ist Ausdruck körperlicher Notwenidigkeit, die auf der Erfahrung von Kontingenz anstelle der Kohärenz beharren.’“
Mathias Heybrock, FRANKFURTER RUNDSCHAU, 2. März 1996