Die Basis des Make-Up

Die Basis des Make-Up

Image: 

Zeichnung (458) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

Ein grau melierter Mann mit Badekappe duscht unter einem gekachelten Betonpilz, von dem schweres, schwarzes Wasser herabsprudelt. Zwei prall gefüllte Würste ragen beidseitig von oben ins Bild. Am linken Wurstzipfel hängt die Venus von Willendorf, ein cirka dreißig Tausend Jahre altes Artefakt. Und an der rechten Wurst hängt ein an den Beinen aufgeknüpfter Stier, der seine Hörner in den Sandboden rammt. Der Mann unter der Dusche kontempliert den Zustand der Geschlechter im Jahr 2007, eine relative Balance. Er geht von einer vorübergehenden Erscheinung aus, die seine Sinne vernebelt. Der Glaube an machbare Revolutionen ist ihm abhandengekommen, geschehen sie doch eh von selbst. Vor seinem Oberkörper ragt ein Stahlbügel aus dem Wasser, an dem er sich festhalten könnte, aber der Mann zieht es vor, es nicht zu tun. Er schließt seine Augen, rutscht auf einem Stück Seife aus und bricht sich beide Beine. Aber das ist die Zukunft, die man weder beschwören noch vorhersagen sollte, um in den Lauf der Geschichte einzugreifen.

(2007) 

Image: 

Zeichnung (160) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Der brasilianische Fußballspieler Leonardo Nascimento de Arauja im Weltmeisterschaftsspiel Brasilien gegen Chile, 1998. Er hebt seine Hände hoch und streitet damit ein Handspiel ab. Oben links und unten rechts umarmen US-Präsidentschaftskandidaten auf der Bühne nach einer öffentlichen TV-Diskussion ihre Trophy-Frauen, so als ginge es noch um ein geordnetes und ziviles Leben. Ein römischer Mosaikfußboden mit Darstellungen von Meeresfrüchten aus Pompeji, viermal um neunzig Grad versetzt: 1. Schwarz, 2. Grau, 3. Mit Zeichnung, 4. Weiß, und das Ganze schwarz durchkreuzt. Das römische All-over-Design bestimmt den Gesamteindruck der Zeichnung, ebenso wie das Konstrukt „Rom“ in den Demokratien der Neuzeit wieder sein Haupt erhoben hat. Die Relativierungstruppen stehen Gewehr bei Fuß, die Sklaverei hat nur vorübergehend an Ansehen eingebüßt und floriert auf allen Erdteilen. Wird sich das Wir-sind-das-Volk–Volk den Raubmord wieder als politisches Ziel setzen? Nichts Anderes verheißt die Logik eines nationalen Sozialismus." (Aus: arsenal, märz 19).

 

(1999) 

Image: 

Zeichnung (415) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Der brasilianische Fußballspieler Leonardo Nascimento de Arauja im Weltmeisterschaftsspiel Brasilien gegen Chile, 1998. Er hebt seine Hände hoch und streitet damit ein Handspiel ab. Oben links und unten rechts umarmen US-Präsidentschaftskandidaten auf der Bühne nach einer öffentlichen TV-Diskussion ihre Trophy-Frauen, so als ginge es noch um ein geordnetes und ziviles Leben. Ein römischer Mosaikfußboden mit Darstellungen von Meeresfrüchten aus Pompeji, viermal um neunzig Grad versetzt: 1. Weiss, 2. Grau, 3. Mit Zeichnung, 4. Schwarz, und das Ganze weiß durchkreuzt. Das römische All-over-Design bestimmt den Gesamteindruck der Zeichnung, ebenso wie das Konstrukt „Rom“ in den Demokratien der Neuzeit wieder sein Haupt erhoben hat. Die Relativierungstruppen stehen Gewehr bei Fuß, die Sklaverei hat nur vorübergehend an Ansehen eingebüßt und floriert auf allen Erdteilen. Wird sich das Wir-sind-das-Volk–Volk den Raubmord wieder als politisches Ziel setzen? Nichts Anderes verheißt die Logik eines nationalen Sozialismus." (Aus: arsenal, märz 19).

(1999) 

Image: 

Zeichnung (37) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Der einbalsamiert aufgebahrte Leichnam Elvis Presleys zwischen einem Spalier kleiner Zehen. Statt 'Hide in the hall' verstand ich in seinem1960er Song Stuck On You: 'I am the wall'. So lernte man damals Englisch, trial and error beim Abhören der Hitparade des British Forces Network in Norddeutschland. Ich habe am Bahndamm gestanden, als Elvis 1958 mit dem Fliegenden Roland von Bremerhaven aus nach Süddeutschland transportiert wurde. Bill Wyman leistete gerade seinen Militärdienst in Oldenburg ab. Abdriftende Babybeine symbolisieren Elvis’ Seele. Ein Karussell mit toten Fischen an seinen Ketten drehte die Runden zu seinen Songs. In der 'Raupe' begannen die Jugendlichen zu knutschen. Ganz Wagemutige trugen hellblaue Seidenblousons mit einem eingestickten Tiger auf dem Rücken. Ich verliebte mich in einer jungen englischen Soldaten namens Storky, der bei uns hinter dem Bahndamm eine Militärübung ableisten mußte und in einem Kettenfahrzeug wohnte. Ich schenkte ihm Birnen aus dem Garten und bekam nichts dafür zurück." (Aus: arsenal, februar 19).

(1983) 

Image: 

Zeichnung (471) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Der einbalsamiert aufgebahrte Leichnam Elvis Presleys zwischen einem Spalier kleiner Zehen. Statt 'Hide in the hall' verstand ich in seinem1960er Song Stuck On You: 'I am the wall'. So lernte man damals Englisch, trial and error beim Abhören der Hitparade des British Forces Network in Norddeutschland. Ich habe am Bahndamm gestanden, als Elvis 1958 mit dem Fliegenden Roland von Bremerhaven aus nach Süddeutschland transportiert wurde. Bill Wyman leistete gerade seinen Militärdienst in Oldenburg ab. Abdriftende Babybeine symbolisieren Elvis’ Seele. Ein Karussell mit toten Fischen an seinen Ketten drehte die Runden zu seinen Songs. In der 'Raupe' begannen die Jugendlichen zu knutschen. Ganz Wagemutige trugen hellblaue Seidenblousons mit einem eingestickten Tiger auf dem Rücken. Ich verliebte mich in einer jungen englischen Soldaten namens Storky, der bei uns hinter dem Bahndamm eine Militärübung ableisten mußte und in einem Kettenfahrzeug wohnte. Ich schenkte ihm Birnen aus dem Garten und bekam nichts dafür zurück." (Aus: arsenal, februar 19).

(1983) 

Image: 

Zeichnung (92) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Der Maler (P) mit Zeigepinsel in der Hand und sein Modell (M), einem VW-Käfer entsteigend, zu einer Zeit, als die Abkürzung „Vauweh“ ihren zivilen Charme noch nicht verloren hatte, und das Wort „Volkswagen“ bei mir noch kein Grauen erregte. Zwischen beiden Personen liegen Berge geordnet gestapelter Unterwäsche und eine Straße aus Tee. Gemalt wurde die Erscheinung eines schwarzen Wollhandschuhs als weißes Nachbild. Zu der Zeit, also 1974, bestanden wir darauf, daß ein Kalauer die Welt in ihren Beziehungen am Verläßlichsten darstellen könne. Die Spötterdämmerung begann erst später, obwohl ich schon 1968 das Angebot, Pardon-Redakteur zu werden, abgelehnt hatte, um Philosphie zu studieren, was vorerst auch im Sande verlief. Noch waren Fotografien rohe Sätze und alberne Beweisstücke. Die Sprache, die die fotografischen Abbilder in der Lage waren zu konstruieren, erschien uns erst drei Jahre später als Möglichkeit, dank Alexander Rodchenko. Aber schon immer war klar: Nie im Leben würde ich mir ein deutsches Auto kaufen." (Aus: januar 19).

(1976) 

Image: 

Zeichnung (583) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Ein Raumschiff in der Form eines geschliffenen Diamanten transportiert Wasser auf einen ausgetrockneten Felsenplaneten. Jemand umarmt einen Baum und horcht auf die Geräusche des im Stamm aufsteigenden Wassers. Gabriele d’Annunzio liest in der Uniform eines Feldpredigers aus seinen Tagebüchern vor: 'Bei uns gibt es nur einen politischen Weg: Zerstören. Was jetzt ist, ist nichts, ist Moder, ist der Tod, ist gegen das Leben.' Er versucht vergeblich, Kontakt mit den Außerirdischen aufzunehmen. Das Wasser verzieht sich zu einer Fratze, als es von d’Annunzio gelobt wird: 'Vorzüglich ist das Wasser.' Es kann auf falsche Freunde verzichten. D’Annunzio blödelt weiter vor sich hin: 'Vorhin sah ich aus dem Fenster die Hühner meiner Haushälterin. Wäre ich eines von ihnen, würde mich keiner daran hindern, mein Ei zu legen', um dann weiter zu toben: 'Warum bin ich nur ein Mann? Warum bin ich nicht ein ganzes Heer? Meine Kühnheit ist gegenwärtig grenzenlos.' Das Wasser zieht es vor zu schweigen." (Aus: arsenal, dezember 18).

(2007) 

Image: 

Zeichnung (251) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Ein Raumschiff in der Form eines geschliffenen Diamanten transportiert Wasser auf einen ausgetrockneten Felsenplaneten. Jemand umarmt einen Baum und horcht auf die Geräusche des im Stamm aufsteigenden Wassers. Gabriele d’Annunzio liest in der Uniform eines Feldpredigers aus seinen Tagebüchern vor: 'Bei uns gibt es nur einen politischen Weg: Zerstören. Was jetzt ist, ist nichts, ist Moder, ist der Tod, ist gegen das Leben.' Er versucht vergeblich, Kontakt mit den Außerirdischen aufzunehmen. Das Wasser verzieht sich zu einer Fratze, als es von d’Annunzio gelobt wird: 'Vorzüglich ist das Wasser.' Es kann auf falsche Freunde verzichten. D’Annunzio blödelt weiter vor sich hin: 'Vorhin sah ich aus dem Fenster die Hühner meiner Haushälterin. Wäre ich eines von ihnen, würde mich keiner daran hindern, mein Ei zu legen', um dann weiter zu toben: 'Warum bin ich nur ein Mann? Warum bin ich nicht ein ganzes Heer? Meine Kühnheit ist gegenwärtig grenzenlos.' Das Wasser zieht es vor zu schweigen." (Aus: arsenal, dezember 18).

(2007) 

Image: 

Zeichnung (55) aus DIE BASIS DES MAKE-UP

"Eine schräg in den Fußboden gerammte Kommode aus der Gründerzeit war 1988 Teil meiner Ausstellung Der Untergang der Bismarck in der Berliner Zwinger Galerie, die die Bismarcksche Sozialgesetzgebung und das Schicksal der Schlachtschiff-Besatzung zum Thema hatte. Der abgesägte Teil des Möbelstücks hing darüber an der Wand, die rustikalen Beschläge der Rednertribüne des Bonner Bundestages an der Decke. Petra Nettelbeck im Rollstuhl, gezeichnet mit einer Maus in der damaligen, noch pixiligen Version von MacPaint, dreht sich auf dem obersten Absatz der verhaßten Treppe zum Büroraum der Galerie um. Schwarz gezeichnet die Grundrisse zweier Höhlen in der Südpol-Passage des Arthur-Gordon-Pym–Romans von Edgar Poe. Wenn der Staat dein Leben einfordert und dich absaufen läßt, hat das Demokratie-Spiel ein Ende. Opfergänge und Auflösungen von Rätseln, die kurz bevorstehen, aber niemanden mehr interessieren. Zu früh, zu spät, und nicht auf dem Punkt: die Revolutionen, die ohne uns stattfinden." (Aus: arsenal, november 18). 

(1988) 

Seiten

RSS - Die Basis des Make-Up abonnieren